Eine Schneise der Hoffnungslosigkeit geht durch den Nahen Osten

Die Situation war schon grandios: In Kathrin Voglers Berliner Büro arbeitet seit einigen Wochen Dina Kukali, die in diesem Jahr als eine der über hundert Stipendiatin*innen aus 44 Nationen am Internationalen Parlamentsstipendium (IPS) des Bundestages teilnimmt. Dina ist Palästinenserin und kommt aus Bethlehem. Gerade dorthin, nach Palästina, Jordanien und in den Libanon führte die einwöchige Delegationsreise, zu der Kathrin Vogler aufbrach, kurz nachdem sich Dina im Büro eingerichtet hatte. Als stellvertretende Vorsitzende nahm sie vom 28. April bis 3. Mai an einer Informationsreise der Parlamentariergruppe der arabisch-sprachigen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens teil, die sie u.a. nach Beirut, Amman, Ramallah, Hebron und Bethlehem führte. Nach ihrer Rückkehr berichtete Kathrin Vogler im Gespräch mit Dina Kukali, wie sie die Lage in der Konfliktregion bewertet.

Dina: Es ist so schön, dass Du in Palästina warst und Dir vor Ort ein Bild von der Situation in meinem Land gemacht hast. Was war das Ziel Deiner Reise?

Kathrin: In der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe betreuen wir unter anderem Syrien, Irak, Jordanien, Libanon, die palästinischen Gebiete und Jemen. In den Parlamentariergruppen sind Abgeordnete nicht nur aus der Außenpolitik, sondern aus allen Ausschüssen vertreten. Hierfür melden sich aus allen Fraktionen jeweils die Abgeordneten, die sich besonders für ein Land oder eine Region interessieren. Für mich sind die arabisch-sprachigen Staaten des Nahen und Mittlerer Osten besonders wichtig. Hier gibt es viele Konflikte, mit denen ich mich im Unterausschuss Zivile Krisenprävention und im Auswärtigen Ausschuss auseinandersetze. Auch die Friedensbewegung hat ein großes Interesse daran, herauszufinden, was man von Deutschland aus zu Bewältigung dieser Konflikte beitragen kann. Deshalb fand ich unsere Reise, die uns in den Libanon, nach Jordanien und Palästina führte, sehr spannend, hochpolitisch und ganz aktuell.

Dina: Werden nach dieser Reise irgendwelche Anträge eingebracht oder neue Entscheidungen getroffen, oder ging es nur darum, sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen?

Kathrin: Die Reisen der Parlamentariergruppen führen in der Regel nicht zu parlamentarischen Initiativen. Natürlich kann ich die Informationen und Anregungen, die ich mitgenommen habe, in Kleine Anfragen und Anträge einfließen lassen. Aber in erster Linie geht es bei solchen Reisen darum, sich ein Bild von der Lage vor Ort zu zu machen, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen und Kontakte zu knüpfen. Wir haben in Beirut zum Beispiel die Kollegen aus dem libanesischen Parlament zu uns eingeladen, um die dort begonnenen Gespräch fortzusetzen.

Dina: Du warst vor 15 Jahren das letzte Mal in Palästina. Wie war Dein Eindruck, als Du das Land jetzt wieder besucht hast? Hat sich viel geändert?

Kathrin: Als ich jetzt mit dem Delegationsbus über die Allenby-Brücke in Richtung Ramallah gefahren, war ich wirklich schockiert, wie tief sich die Besetzung inzwischen - in Form von Mauern, abgesperrten Zonen und neuen Siedlungen - in das Land gegraben hat. Als ich vor 15 Jahren in Palästina war, gab es viel weniger Absperrungen und Mauern und die israelischen Siedlungen waren deutlich kleiner. An vielen Orten, an denen in den letzten Jahren Siedlungen entstanden sind, konnten sich die Palästinenserinnen und Palästinenser damals einigermaßen bewegen. Heute ist die Bewegungsfreiheit weitaus  mehr eingeschränkt. Ich fand das schon erschreckend.

Dina: Du hat eben erwähnt, dass du über die Allenby-Brücke eingereist bist: Habt Ihr am Checkpoint den Durchgang für die Palästinenserinnen und Palästinenser genommen oder den für die Ausländer? Da ist nämlich ein großer Unterschied.

Kathrin: Wir sind an den Checkpoints mit unseren Diplomatenwagen fast immer gut durchgekommen. Aber selbst bei uns und bei den Diplomaten, die sich eigentlich mit ihren Diplomatenkennzeichen frei bewegen können, war das ein großes Thema: Wo kann man heute lang fahren, welcher Checkpoint ist verstopft, oder an welchem Checkpoint hat es  vielleicht Ärger gegeben? Wir haben also selbst erlebt und natürlich auch erzählt bekommen, wie sehr diese Einschränkungen das Leben der Menschen in Palästina erschweren.

Dina: Wenn wir diese Grenzen überqueren, ist es immer schwierig und auch gefährlich. Konntest Du beobachten, wie die palästinensische Bevölkerung an den Grenzübergängen behandelt wird?

Kathrin: Nein, weil unsere Botschaft einen VIP-Service gebucht hatte: Für 115 US-Dollar gibt es einen besonderen Shuttle-Dienst, der fast überall schnell durchkommt.

Dina: Ja, sie machen das extra teuer, weil sie wissen, dass nicht alle sich das leisten können. Du hast drei verschiedene Städte in Palästina besucht: Ramallah, Hebrón und Bethlehem mit Beitjala. Wo war die israelische Macht am stärksten zu spüren, wo gab es mehr Checkpoints, mehr Siedlungen?

Kathrin: Am schlimmsten ist es natürlich in Hebron, obwohl die Siedlungen da eher klein sind. Wie wir erfahren haben, sind gerade dort die Siedler besonders radikal und gewalttätig. Sie terrorisieren und schikanieren die palästinensische Bevölkerung wo es nur geht. Wir waren mit Einheimischen unterwegs, die uns unter anderem eine seit längerem geschlossene Apotheke in der Altstadt gezeigt haben. Die Tochter des Inhabers hat auch Pharmazie studiert und betreibt eine Apotheke in Hebron. Ihr Ziel ist es, die Apotheke in der Altstadt wieder zu öffnen, aber das geht nicht, weil die Straße, in der sie liegt, abgesperrt ist. Obwohl es inzwischen ein Gerichtsurteil gibt, dass die Israelis die Straßensperrung aufheben müssen, tut sich nichts. Solche Geschichten führen einem schon sehr drastisch vor Augen, wie sehr die palästinensische Bevölkerung der Willkür der Siedler ausgesetzt ist.

Interessant war, zu erfahren, wie wichtig der Tourismus für die Menschen in Bethlehem ist. Mehrere Millionen Besucher*innen aus aller Welt kommen inzwischen jedes Jahr in die Stadt. Zum einen bedeutet das für die Palästinenser*innen, hier können sie ein bisschen Geld verdienen; zum anderen bewirken die vielen ausländischen Besucher in der Stadt, dass sich das Militär sehr zurückhält. Innerhalb Bethlehems gibt es zum Beispiel keine Checkpoints, auch wenn es immer noch sehr schwer ist, überhaupt in die Stadt zu kommen.

Dina: Hast du die Mauer gesehen?

Kathrin: Die Mauer habe ich vor 15 Jahren zum ersten Mal gesehen und sie ist wirklich eindrucksvoll. Man ist in Bethlehem quasi in einer umschlossenen Enklave. Als ich das letzte Mal dort war, sind wir auch durch den Checkpoint gefahren und damals hat mich das an frühere Erfahrungen mit dem Grenzübergang in die DDR erinnert. Wenn man damals als Westdeutsche in der Friedrichstraße über die Grenze in die DDR wollte, musste man auch seine Reisedokumente abgeben, man wurde prüfend angestarrt  und auch durch Gänge und Tunnels geschleust. Daran hat mich die Situation erinnert: Es war wie früher in Berlin am Grenzübergang Friedrichstraße.

Dina: Ja, es ist sehr schlimm, dass man das bei uns immer noch erleben muss. Was würdest Du der Bundesregierung über Deine Reise sagen?

Kathrin: Ich würde sagen, dass die Politik von Donald Trump und Bibi Netanyahu eine schreckliche Schneise der Hoffnungslosigkeit durch den Nahen Osten schlägt. Die Bundesregierung muss deutlich und klar sagen, dass sie sich dieser Politik nicht anschließt. Alle unsere Gesprächspartner*innen haben immer wieder betont, dass, wenn jetzt Netanyahu und Trump diesen sogenannten „ultimativen Jahrhundertdeal“ mit Palästina aushandeln wollen, Deutschland das auf gar keinen Fall unterstützen sollte. Für Trump und Nethanyahu ist die Zwei-Staaten-Lösung vom Tisch. Ihnen geht es darum, die Zustimmung der Palästinenser zu erkaufen, sie bieten finanzielle Unterstützung statt Souveränität, also Dollars statt Staat. Deutschland muss auf die Einhaltung des Völkerrechts bestehen, und darauf, dass die UNO im Jahr 2012 Palästina mit der Resolution 67/19 mehrheitlich des Status eines Staates zuerkannt hat. Es wäre fatal, mit diesem „Deal“ hinter diese Beschlusslage zurückzufallen.

Dina: Was denkst Du, wie es jetzt nach der Parlamentswahl in Israel mit dem Friedensprozess weitergeht?

Kathrin: Ehrlich gesagt, kann ich bis jetzt keinen Friedensprozess erkennen, was mich wirklich sehr betroffen macht. Allerdings fand ich es ermutigend, dass viele Palästinenser*innen, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass sie sich wünschen, dass es möglichst bald freie Wahlen in Palästina gibt, damit das palästinensische Volk wieder eine legitimierte Stimme hat. Dafür müssen jedoch einige Bedingungen erfüllt werden: Erstens muss Israel erlauben, dass die Menschen, die in Ostjerusalem wohnen, auch mitwählen können. Zweitens muss die Hamas sich bereit erklären, dass auch in Gaza gewählt werden kann. Ich halte es ebenfalls für absolut notwendig, dass in Palästina eine neue Vertretung und ein Parlament gewählt wird. Dann können Entscheidungen getroffen werden, die demokratisch legitimiert sind. Dass die Menschen Deiner Generation noch nie die Möglichkeit hatten, mitzuentscheiden, was eigentlich in ihrem Land geschieht, ist nicht akzeptabel. Ihr seid die Zukunft Palästinas und Ihr müsst mitentscheiden, wo es hingehen soll. Man muss Euch auch das Vertrauen entgegenbringen und die Chance geben, für Mandate zu kandidieren. Aus meiner Sicht braucht das palästinensische Volk dringend junge engagierte Menschen, mit denen sich auch die jüngere Bevölkerung identifizieren kann und die positive Vorbilder für ein aktives Empowerment sind.

Dina : Ja, ich merke das gerade, wenn ich hier in Berlin mit meinen israelischen und arabischen Mitstipendiat*innen spreche. Wir können über alles reden und haben die „alten“ Vorbehalte nicht. Auch deshalb ist dieses IPS-Stipendium eine großartige Erfahrung. Uns hilft das wirklich, weil wir eine Ahnung davon bekommen, dass dieser Konflikt gemeinsam und friedlich zu überwinden ist.

Kathrin: Deswegen bin ich auch so froh, dass jetzt mit Euch zwei junge Leute aus Palästina im IPS-Programm sind. Euer Volk braucht Leute wie Euch, die jung und engagiert sind, die ein bisschen in der Welt herumgekommen sind und wissen worüber sie reden. Ihr habt den Mut, über unbequeme Dinge zu sprechen und Euch nicht alles von den alten Leuten gefallen zu lassen.

Dina: Danke dir, Kathrin, dass Du mein Land besucht hast und dafür, dass Du für den Frieden in Palästina kämpfst!