Liebe Leserin, lieber Leser,
was wollt ihr zuerst? Die gute oder die schlechte Nachricht? Ok, also zuerst die schlechte, nicht ganz unerwartete: Ich werde nicht Bürgermeisterin von Emsdetten. Mit 959 Stimmen, das macht 5,3% habe ich es am 13. September nicht in die Stichwahl geschafft. Trotzdem war es ein toller Wahlkampf, in dem ich wahnsinnig viel positive Resonanz für unsere politischen Ideen bekommen habe und in dem ich wieder mal mit sehr vielen Leuten über ein paar grundsätzliche Fragen diskutieren konnte: Was braucht es für ein gutes Leben? Wie schaffen wir genug bezahlbaren Wohnraum? Warum braucht man auf dem Land ein eigenes Auto? Und wofür zur Hölle soll das gut sein, wenn Krankenhäuser schwarze Zahlen schreiben müssen, damit Aktionär:innen Dividenden einsacken können? Können wir uns bessere Rettungspakete für die Kleinunternehmen und Soloselbstständigen wirklich nicht leisten? Und wie wichtig sind uns die Kultur und die Kulturschaffenden? Reicht es eigentlich, jedem Kind ein Tablet in die Hand zu drücken, damit Bildungschancen besser werden? Und, und, und ... Alles in allem hat es wahnsinnig viel Spaß gemacht, vor allem die Zusammenarbeit mit meinem tollen Wahlkampfteam, das vor immer neuen Ideen nur so gesprudelt hat. Trotzdem, zufrieden können wir mit den Ergebnissen der Kommunalwahl nicht sein, weder im Kreis Steinfurt, noch in ganz NRW. Nicht alles ist hausgemacht, aber doch einiges davon. Dass die meisten Menschen noch immer die Grünen mehr mit Klimaschutz identifizieren als DIE LINKE, ist wahrscheinlich nicht so leicht zu ändern. Das hat mit dem Image der Grünen als Umweltpartei zu tun und das bleibt bestehen, auch wenn die Grünen ihrem Ruf oft gar nicht gerecht werden, siehe der Autoministerpräsident von Baden-Württemberg oder die Landratskandidatin mit dem Herz für subventionierte Vielfliegermeilen im Kreis Steinfurt. Mein persönliches Highlight war ja die Wählerin, die zu mir an den Infostand kam und mich für meinen Auftritt bei der Online-Debatte zu loben, nur um dann zu fragen: „Frau Vogler, warum sind Sie eigentlich nicht bei der CDU?“ Als ich ihr dann erklärte, das könne ich als Pazifistin nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, weil doch die CDU dafür verantwortlich ist, dass Deutschland immer mehr Waffen in alle Welt verkauft, auch in Kriegs- und Krisenregionen, da war sie ganz entsetzt: Ob das denn wirklich so sei? Davon habe sie ja noch nie gehört. Empörend sei das!
Ja. Die allermeisten Wählerinnen und Wähler sind halt doch ziemlich unpolitisch und voreingenommen. Und es wird nicht besser mit der politischen Bildung zu Zeiten, in denen YouTube und Facebook die Medien sind, aus denen die Menschen sich am ehesten über Politik informieren.
Und dann sind wir natürlich noch immer zu schwach, zu wenig in den Vereinen, Gewerkschaften und Betrieben verankert, um von den Menschen auch außerhalb von Wahlkämpfen wahrgenommen zu werden. Daran müssen wir arbeiten, auch an unserer Öffentlichkeitsarbeit. Aber auch dafür haben wir gute neue Ideen, wartet es ab!
Und was ist nun die gute Nachricht? Ganz einfach: Bis zum nächsten Wahlkampf ist es nicht mal mehr ein Jahr. Und in diesem Jahr haben wir jetzt die Gelegenheit, den Wähler:innen deutlich zu machen, warum wir im nächsten Bundestag eine starke Linke brauchen.
Was ich dafür überhaupt nicht nützlich finde, ist eine Debatte, welche unserer Kernforderungen wir vielleicht schon jetzt mal aufgeben oder relativieren sollten, um uns für eine Regierungsbeteiligung hübsch zu machen. Als Gewerkschafterin weiß ich: Wer mit einer schwachen Forderung in eine Tarifrunde geht, wird mit weniger als nichts herauskommen. Denn erstens kann er seine Mitglieder und Unterstützer so nicht mobilisieren und zweitens merkt die andere Seite, dass du billig zu haben bist. Wenn wir wirklich was rausholen wollen, dann dürfen wir nicht zu bescheiden sein. Ganz abgesehen davon beobachte ich schon seit Beginn dieser Wahlperiode einen intensiven Flirt der Grünen mit der Union. Wer sich traut, kann mit mir wetten: Ich wette eine Flasche Rotkäppchen auf eine schwarz-grüne Koalition nach der nächsten Wahl. Und dann wird es nichts mit der dringend nötigen Umverteilung, sondern dann wird der Kapitalismus ein bisschen moderner und ökologischer gemacht und ansonsten bleibt alles beim Alten. Die Atombomben bleiben, die Rüstungsexporte gehen weiter und die öffentliche Daseinsvorsorge wird weiter privatisiert. Also lohnt es sich schon, um andere Mehrheiten zu kämpfen und auch auf Bundesebene mit der CDU das zu tun, was wir in Emsdetten gerade getan haben: Sie in die Opposition zu schicken.
Apropos Opposition: Wer ja nun gar keine Opposition erträgt und es für eine schwere Zumutung hält, sich öffentlich mit einem Gegenkandidaten auseinandersetzen zu müssen, ist der aktuelle US-Präsident. Das erste TV-Duell hat er wohl durch seine unnachahmlich unseriöse und unanständige Art eher nicht gewonnen. Kein Wunder, dass Teile der US-Öffentlichkeit auf seinen Tweet, dass er und seine First Lady sich mit dem Corona-Virus angesteckt haben, zynisch und ungläubig reagiert haben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ... und in Sachen Corona hat Trump schon zig mal gelogen. Zuerst hat er das Virus heruntergespielt. Dann hat er den Chinesen die Schuld an den inzwischen über 200.000 US-Toten gegeben. Dazwischen hat er immer wieder betont, man habe alles im Griff oder das Virus werde von selbst wieder verschwinden. Weitere Verletzte und sogar Tote verursachte sein Vorschlag, mit Desinfektionsmittel zu gurgeln. Jetzt meinen manche, er habe sich die Infektion nur ausgedacht, um nicht mehr zu TV-Debatten gehen zu müssen oder seine Desinformationskampagne, nach der die Wahl, so er sie verlieren sollte, gefälscht sein müsste, zu untermauern. Andere halten es für einen Schachzug, um Mitleid zu erregen oder um kurz vor der Wahl gesund und munter wieder aufzutauchen und zu sagen: „war gar nicht schlimm, ihr müsst keine Angst davor haben. Alles nur Fake!“
Ich glaube ja nicht an göttliche Rache oder ausgleichende Gerechtigkeit. Und ich weiß, dass dieser adipöse 74-jährige Risikopatient deutlich bessere Chancen hat, die Infektion gut zu überstehen, als ein kerngesunder 60-jähriger Landsmann aus der Bronx. Stupid, it’s the economy. Der Präsident, der allgemeine Krankenversicherung und öffentliche Kliniken für kommunistisches Teufelszeug hält, wird auch diese Infektion mit Hilfe bestens bezahlter und top ausgestatteter Ärzte überstehen. Und leider wird er auch daraus nichts lernen. Wollen wir hoffen, dass sein Volk lernfähig ist und nicht noch einmal auf ihn hereinfällt.
Passt auf euch auf, bleibt achtsam und gesund!
Eure Kathrin
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