"Abwasser-Monitoring": Erbärmliche Zwischenbilanz für Lauterbach

Kleine Anfrage

Kathrin Vogler hat sich nach dem Stand des Aufbaus eines flächendeckenden "Abwassermonitorings" für Deutschland erkundigt. Das Frühwarnsystem für Viren- und sonstige gesundheitliche Belastungen in der Bevölkerung wäre dringend nötig, auch um einen validen Überblick zum tatsächlichen Stand der Corona-Infektionen zu bekommen.

Mit Implementierung des RKI-"Pandemie-Radars" im Sommer wurden erstmals Daten zur Coronavírus-Belastung im Abwasser ("Abwassersurveillance ") veröffentlicht. Mehrere Forschungsprojekte liefern inzwischen Daten aus Stichproben an einzelnen Orten, allerdings ohne statische Repräsentativität. oder tatsächlicher Relevanz für eine Bewertung des Pandemiegeschehens. Während in anderen europäischen Staaten, auch in den USA und Kanada, das Abwassermonitoring eine zunehmend wichtige Rolle im Gesundheitsmanagement einnimmt, Teststrukturen ausgebaut und die Datenanalysen verfeinert werden, hält das RKI das Abwassermonitoring derzeit nicht für einen relevanten Indikator im Pandemiegeschehen.

Tatsächlich werden derzeit aus maximal 25 Orten Stichproben gezogen, obwohl schon über 100 Orte in Deutschland regionales Abwassermonitoring betreiben. Etwa 250 bundesweit verteilte Messstationen wären nötig, um hier z.B. mit den Niederlanden mithalten zu können, wo die Abwasseruntersuchung inzwischen das wichtigste, kostengünstigste und schnellste Instrument ist, um die Corona-Infektionslage zu überschauen. Laut den Antworten der Bundesregierung auf Kathrin Voglers Kleinen Anfrage mangelt es bei uns an allem: es gibt kein einheitliches Messsystem, keine vernetzte Datenkommunikation zwischen den Messpunkten und dem RKI und vor allem fehlt die nötige politische Beschleunigung, um dieses wichtige Projekt zeitnah, bundesweit und flächendeckend voranzutreiben.

Trotzdem nutzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach das Thema aber immer wieder gerne und gibt ihm eine operative Wichtigkeit im Pandemie-Management, die objektiv nicht begründbar ist - wofür das BMG selbst verantwortlich ist. Lauterbach im  Interview am 22.11.2022: "Wir sehen jetzt sehr viel früher, wie die Lage sich entwickeln kann. Daher wissen wir zum Beispiel, dass wir in den nächsten Wochen keine große zusätzliche Covid-Belastung der Kliniken zu erwarten haben – denn das würde sich jetzt bereits in der Viruslast im Abwasser widerspiegeln. Wir sind durch das relativ strenge Infektionsschutzgesetz gut vorbereitet für den Winter, wenn es notwendig wird."

 

Kathrin Vogler mit einer kurzen Bewertung der Antworten der Bundesregierung auf ihre Kleinen Anfrage "Stand der Abwassersurveillance zur Beobachtung und Voraussage der Pandemieentwicklung in Deutschland":

Wie wir aus der internationalen wissenschaftlichen Evaluation wissen, ist das Abwassermonitoring ein schnelles, genaues, mit wenig strukturellem Aufwand und vergleichbar geringen Kosten zu realisierendes Messinstrument. Deshalb hatte die EU-Kommission auch schon bereits Mitte März 2021 den EU-Mitgliedsstaaten empfohlen, das Abwassermonitoring als zusätzliches diagnostisches Mittel für das COVID-19-Management einzusetzen. Während viele andere europäische Staaten inzwischen schon sehr weit sind mit einer flächendeckenden Umsetzung der Abwassersurveillance, verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine Fragen nach dem diesbezüglichen Stand bei uns auf den aktuellen Wochenbericht des RKI , wonach im November Daten aus 12 bis 25 Messstandorten erhoben worden sind; die Grafik im ‚Pandemie-Radar‘ des RKI gibt für die Messwochen von Juni bis November zwischen fünf und 19 Standorte an, aus denen Daten in die Darstellung der Viruslast aufgenommen wurden. Bei insgesamt bundesweit ca. 10.000 Kläranlagen ist das eine erbärmliche Zwischenbilanz.

Mir ist unverständlich, warum das bei uns nicht funktioniert. Die Bundesregierung listet in ihrer Antwort über 100 Standorte in Deutschland auf, die 'derzeit kontinuierlich systematische Untersuchungen des Abwassers auf SARS-CoV-2'  durchführen. Diese Standorte werden teils aus europäischen, teils aus Bundes- oder Landesmitteln finanziert. Warum ist es der Bundesregierung in zwei Jahren immer noch nicht gelungen, sie als Basis zu nehmen, zu vernetzen und darauf aufzubauen? So hätte man ein Instrument an der Hand, das die Bevölkerung kaum belastet und ihr trotzdem mehr Sicherheit durch ein vorausschauendes und evidenzbasierten Pandemie-Management gibt. Bemerkenswert ist zudem, dass ein solches Frühwarnsystem auch nach Corona noch ausgesprochen nützlich sein kann, um andere potentielle Epidemien schon in ihrer Ausbruchsphase aufzuspüren. Zum Beispiel können so auch Erreger, die Grippe, Atemwegserkrankungen wie RSV oder Magen-Darm-Infekte auslösen, gefunden werden. In einigen Ländern werden seit vielen Jahren Abwasseranalysen auf Polio durchgeführt. Wie sinnvoll das ist, zeigte sich letzten Sommer, als in London und New York City besorgniserregende Mengen von Polioviren im Abwasser gefunden wurden und daraufhin umgehend Impfkampagnen gestartet werden konnten, um eine weitere Ausbreitung der bis heute unheilbaren Kinderlähmung einzudämmen.

Dass der Aufbau des Abwassermonitorings bei uns so schleppend verläuft, erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort mit der üblichen Bräsigkeit: Weder weiß das Gesundheitsministerium genau, wie viele bzw. welche Labore Abwasserproben auswerten, noch welche Corona-Viruslast-Grenzwerte den Untersuchungen zugrunde liegen - beides sei Ländersache. Zu meiner Frage, inwieweit der Aufbau einer bundesweiten digitalen Infrastruktur geplant ist, die die über die Abwassersurveillance regional erhobenen Daten zentral sammelt und dann für die zeitnahe Beobachtung der bundesweiten epidemischen Lage auswertet, hieß es, es gebe seit August eine Dateninfrastruktur für die über das europäische ESI-CorA-Projekt in Deutschland erhobenen Daten, an dem aktuell nach Auskunft der Bundesregierung nur 20 Standorte beteiligt sind. Einen 'darüber hinausgehenden Bedarf' sieht man nach eigenen Worten derzeit nicht. Es ist also offenbar gar nicht vorgesehen, die anderen derzeit ca. 80 Messstellen in nächsten Zukunft systematisch miteinzubeziehen. Anstatt alles dafür zu tun, mit der Abwassersurveillance eine repräsentatives, bundesweit flächendeckendes Frühwarnsystem zu etablieren, werden die Daten vieler Kommunen, die inzwischen teils sogar in Eigeninitiative das Abwassermonitoring für ihre Einzugsgebiete nutzen, weiterhin nicht berücksichtigt.

Es geht einfach alles nicht schnell und beherzt genug. Nun, so die Bundesregierung, will man trotz aller weltweit bestätigten positiven Erfahrungen mit der Abwassersurveillance und dem objektiven Handlungsdruck, unserer Bevölkerung einen sicheren und wissenschaftlich fundierten Zustandsbericht des Pandemiegeschehens zu gewährleisten, erst einmal auf den Evaluationsbericht des ESI-CorA-Projekts warten, der zwanzig der bestehenden ca. hundert Messstationen in Deutschland erfasst und erst im Frühjahr 2023 vorgelegt werden soll. Bis dahin ist also kaum damit zu rechnen, dass es mit dem Ausbau eines bundesweit funktionierenden Abwassermonitorings voran geht. Der von Gesundheitsminister Lauterbach beworbene ‚Pandemie-Radar‘ wird demnach auch in Zukunft nicht abbilden, was er abbilden soll: einen wissenschaftlich fundierten aktuellen Stand des Infektionsgeschehens. Die von meiner Fraktion DIE LINKE seit Sommer nachdrücklich geforderte bessere Vorbereitung auf den kommenden Pandemie-Winter ist so nicht möglich. Die einzig halbwegs validen Indikatoren werden in den nächsten Monaten die Zahlen zu hospitalisierten und an oder mit Corona verstorbenen Patient*innen sein. Das ist nicht nur traurig, diese Daten sind auch für ein frühzeitiges, präventives Reagieren völlig nutzlos. Auch, wenn wir alle hoffen, dass es in den nächsten Monaten nicht zu einer neuen schlimmen Corona-Welle kommt, ist es inakzeptabel, dass die Bundesregierung immer noch nicht bereit oder in der Lage ist, ihre Verantwortung wahrzunehmen und darauf hin zu arbeiten, dass wir uns in diesem - dritten – Pandemie-Winter bestmöglich auf das, was kommt, vorbereiten können.

 

Medien-Echo