Mit allgemeiner Impfpflicht auf den nächsten Herbst vorbereiten

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Zur aktuellen Debatte um die Einführung der allgemeinen Impfpflicht positionieren sich DIE LINKE Bundestagsabgeordneten, Kathrin Vogler, Anke Domscheit-Berg, Cornelia Möhring, Martina Renner.

Sie halten dabei fest: „Eine allgemeine Impfpflicht lehnen wir zwar im Grundsatz ab, aber im Ausnahmefall ist sie zur Überwindung der Corona-Pandemie unumgänglich, um Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Daseinsvorsorge abzuwenden.“

Sie betonen allerdings gleichzeitig: „Dass wir heute in einer Situation sind, in der eine gesetzliche Verpflichtung dafür notwendig ist, dass Menschen sich selbst und andere durch die Impfung schützen, ist auch Ausdruck einer irrlichternden und immer wieder fehlerhaften Pandemiepolitik in den letzten zwei Jahren.“  

Die Positionierung im Wortlaut:

„Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt und das Gesetz, das befreit.“

(Jean-Jaques Rousseau)

Eine allgemeine Impfpflicht lehnen wir zwar im Grundsatz ab, aber im Ausnahmefall ist sie zur Überwindung der Corona-Pandemie unumgänglich, um Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Daseinsvorsorge abzuwenden. Es wäre sehr viel besser, wenn die Gesundheitsämter finanziell und personell so ausgestattet wären, dass sie auch bei steigenden Infektionszahlen Kontakte nachverfolgen könnten. Statt immer wieder wirtschaftliche Interessen vor den Gesundheitsschutz zu stellen, hätten Wellen mit entschlossenen vorübergehenden Schließungen nicht notwendiger Wirtschaftsbereiche bei gleichzeitigen Kompensationen und sozialen Hilfen abgemildert werden können. Und es wäre sehr viel besser, wenn eine ausreichende Zahl von Menschen sich aus Selbstverantwortung und Solidarität mit ihren Mitmenschen freiwillig impfen ließen, um sich selbst und andere vor einer schweren Erkrankung mit teilweise langfristigen Gesundheitsfolgen zu schützen. Dass wir heute in einer Situation sind, in der eine gesetzliche Verpflichtung dafür notwendig ist, dass Menschen sich selbst und andere durch die Impfung schützen, ist auch Ausdruck einer irrlichternden und immer wieder fehlerhaften Pandemiepolitik in den letzten zwei Jahren.

Insgesamt sind seit dem ersten bekannt gewordenen COVID-19-Fall vor gut zwei Jahren in Deutschland über 10 Millionen Personen nachweislich infiziert gewesen und über 120.000 im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben. Expert*innen gehen von bis zu 10% der Betroffenen aus, die langfristig unter gesundheitlichen Folgen der Erkrankung leiden (werden), das wären dann jetzt schon bis zu 1 Mio. Betroffene.

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie haben erhebliche soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Folgen. Schulschließungen, ob geplant oder ungeplant, treffen besonders Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. Eltern, deren Betreuungsmöglichkeiten immer wieder ungeplant wegbrechen, sind mit ihrer Kraft am Ende. Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können oder auch mit Impfung keinen ausreichenden Immunschutz aufbauen können, werden zur Selbstisolation gezwungen.

Besuchseinschränkungen als Schutzmaßnahme für besonders gefährdete Menschen in Einrichtungen verstärken deren Einsamkeit, Traurigkeit und Depressionen. Viele Kulturschaffende und kleine Gewerbetreibende stehen trotz staatlicher Hilfspakete beruflich vor dem Aus, Arbeiterfamilien, Studierende und Rentner*innen leiden unter dem Wegbrechen von Zuverdiensten. Berichte über häusliche Gewalt und eine Zunahme psychischer Erkrankungen häufen sich.

Beschäftigte im Gesundheitswesen, die schon vor der Pandemie am Limit waren, sind heute weit darüber hinaus. Und Patient*innen mit schweren und chronischen Erkrankungen haben unter der Bedingung der Pandemie nur begrenzten Zugang zu notwendigen Untersuchungen und Therapien.

In einer solchen Situation kann die Gemeinschaft von jedem Mitglied verlangen, jeden zumutbaren Beitrag zur Beendigung dieser und vieler anderer Einschränkungen zu leisten.

Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe sind sehr sicher und verhindern auch bei Vorherrschen der Omikron-Variante eine Vielzahl schwerer Verläufe und Todesfälle. Aktuell sind nahezu alle Intensivpatient*innen mit COVID-19 ungeimpft und die Todesraten in Bundesländern mit niedriger Impfquote sind erheblich höher als in den Ländern mit höherer Quote.

Unsere zentrale Forderung nach Freigabe der Patente für Impfstoffe gegen Covid19 entspringt wie die Impfpflicht für Erwachsene der gleichen Grundannahme: global wie hier müssen möglichst alle, für die eine Impfung medizinisch möglich ist, auch geimpft werden. Dagegen kann weder Profit noch Egoismus ein triftiges Argument sein.

Im Herbst 2022 erwarten wir sicher eine erneute Infektionswelle - mit welchem Erreger und welchen Eigenschaften, das wissen wir jetzt noch nicht. Ein dreifacher Kontakt zum Virus durch Impfung oder Genesung bietet bei allen bisher bekannten Varianten einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen. Über den Selbstschutz hinaus bietet er auch Fremdschutz, da mehrfach Geimpfte in der Regel kürzer ansteckend sind und selbst bei gleicher Virenlast diese weniger verbreiten als Ungeimpfte. Ein hoher Anteil von Geimpften ist die beste Vorsorge, um den Übergang von der Pandemie in die Endemie mit möglichst wenig gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden zu erreichen.

Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe haben ein sehr gutes Nutzen-Risiko-Profil. Sie sind zwar nicht frei von Nebenwirkungen, aber schwere Nebenwirkungen sind sehr selten und der gesundheitliche Vorteil der Impfung überwiegt in allen Altersgruppen das Risiko der Impfung. Diese Impfstoffe gehören wohl zu den am besten überwachten in der Geschichte der Medizin. Auf jeden Fall sind die Risiken einer Infektion ohne vorherige Impfung sehr, sehr viel höher als die Risiken der Impfung. Seit Februar steht zudem ein weiterer Impfstoff zur Verfügung, der weder auf der Vektor- noch auf der mRNA-Technologie beruht und für Menschen, die Bedenken gegen diese Technologien haben, eine wirksame Alternative bietet.

Um auf den nächsten Herbst besser vorbereitet zu sein, müssen wir Frühjahr und Sommer nutzen, um die Impflücken bei Erwachsenen zu schließen. Wir sehen aus dem bisherigen Verlauf der Impfkampagne, dass die Impfbereitschaft immer zusammen mit den Inzidenzen ansteigt. Das bedeutet aber, dass bei den aktuell abnehmenden Inzidenzen und erst recht in den Sommermonaten die Impfbereitschaft bisher Ungeimpfter gering sein wird. Dazu kommt die Aufhebung aller Zugangsbeschränkungen (2G/2G+) ab dem 20. März, wodurch ein weiterer individueller Anreiz zum Impfen wegfällt.

Um einen ausreichenden Immunschutz aufzubauen, ist es erforderlich, mit Abständen zwischen den einzelnen Impfungen dreimal zu impfen. Das braucht Zeit und kann nicht aufgeschoben werden, bis die Inzidenzen wieder steigen.

Wir unterstützen daher den Gesetzentwurf zu einer allgemeinen Impfpflicht ab 18, die begleitet wird von einer Aufklärungs- und Beratungskampagne durch die Krankenversicherungen. Bis zum 15. Mai informieren diese ihre Versicherten über die Gefahren von COVID-19, den Nutzen der Impfungen sowie Beratungs- und Impfangebote. Die Versicherten, die bereits dreimal geimpft oder genesen sind, weisen dies ihrer Krankenkasse nach. Alle anderen erhalten die Möglichkeit, sich bis Ende September dreimal impfen zu lassen. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden kann, ist selbstverständlich von der Impfpflicht befreit, muss aber ein Attest über diese Gründe vorlegen.

Ab ersten Oktober melden die Krankenversicherungen die bis dahin nicht geimpften Versicherten bei den zuständigen Gesundheitsämtern, die dann ein Bußgeldverfahren einleiten. Auch ein bereits verhängtes Bußgeld kann durch die nachträgliche Vorlage des Impfnachweises noch abgewendet werden. Uns war besonders wichtig, dass die Verhängung von Erzwingungshaft im Gesetzentwurf ausgeschlossen ist. Niemand wird ins Gefängnis müssen, weil er oder sie die Impfpflicht nicht erfüllt. Zudem ist das Gesetz bis Ende 2023 befristet und soll alle drei Monate vom Bundestag evaluiert werden. Sollte sich also etwa herausstellen, dass SARS CoV2 keine Gefahr mehr für Leben und körperliche Unversehrtheit sowie für die Funktionsfähigkeit lebenswichtiger Einrichtungen bedeutet, kann der Bundestag die Impfpflicht wieder aufheben.

Es bleibt aber dabei, dass die Impfpflicht nicht zum Placebo werden darf, um die notwendigen Verbesserungen im Gesundheitswesen weiter nicht in Angriff zu nehmen. Dafür reicht auch keine einmalige „Pflegeprämie“, über deren konkrete Ausgestaltung sich die Koalition noch immer nicht verständigen konnte. Unser Gesundheitssystem muss der Profitlogik entzogen werden. Krankenhäuser müssen sich nicht „rechnen“, sie müssen auf Dauer solide finanziert und mit genug Personal auch in den nichtärztlichen Bereichen ausgestattet sein. Dazu müssen die Fallpauschalen fallen und die Löhne steigen. Die Beschäftigten brauchen planbare Arbeitszeiten, ausreichend Zeit für die Patient*innen und Arbeitsbedingungen, die ihre Gesundheit schützen. Nur so werden wir auch auf künftige Pandemien gut vorbereitet sein.

Berlin, den 21.2.2022

Kathrin Vogler

Anke Domscheit-Berg

Cornelia Möhring

Martina Renner

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