Persönliche Erklärung zum Bevölkerungsschutzgesetz

Erklärung nach § 31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages der Abgeordneten Kathrin Vogler (DIE LINKE.) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite.

Ich lehne den vorgelegten Gesetzesentwurf ab, weil ich die darin enthaltenen Regelungen unzureichend finde, um die SARS-CoV-2 Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Ich befürchte daher länger dauernde Einschränkungen von Grundrechten, obwohl dies durch eine konsequente Pandemiebekämpfung vermieden werden könnte. Zudem werden aus meiner Sicht Millionen Menschen wenige Wochen vor einer möglichen Impfung, einem vermeidbaren und erheblichen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Die Lastenverteilung der Maßnahmen ist ungerecht. Das kann und will ich nicht unterstützen.

Deutschland befindet sich in der Dritten Welle der SARS-CoV-2-Pandemie. Die deutlich ansteckendere und gefährlichere Virusvariante B.1.1.7 hat sich durchgesetzt. Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, steigt und damit auch die Belastung des medizinischen und pflegerischen Personals. Vielerorts arbeiten die Beschäftigten am Limit. „Das Robert-Koch-Institut schätzt aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen und des aktuell beschleunigten Wiederanstiegs der Inzidenz die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung mit zahlreichen Ausbrüchen in Privathaushalten, Kitas und zunehmend auch in Schulen sowie dem beruflichen Umfeld erfordert die konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen sowie massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten“ (COVID-19 Lagebericht vom 20.04.2021, Robert-Koch-Institut). Dem wird dieser Gesetzentwurf nicht gerecht.

„Oberstes Ziel“ ist laut Gesetzesbegründung „die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen sowie das exponentielle Wachstum zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems insgesamt zu vermeiden und die medizinische Versorgung bundesweit sicherzustellen“. Dieses Ziel ist unambitioniert und unzureichend. Eine mittel- und langfristige Strategie fehlt; Erkenntnisse und Warnungen aus der Wissenschaft werden ignoriert. Jede Covid-19-Erkrankung ist eine zu viel. Das Ziel muss daher sein, die Zahl der Infektionen Richtung Null zu senken – auch um die Zirkulation des Virus gering zu halten, um das Risiko der Entstehung von immunresistenten Virusmutationen so weit wie möglich zu senken.

Der Gesetzesentwurf sieht eine bundesweit verbindliche "Notbremse" ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner vor. Diesen Wert halte ich für zu hoch. Sobald die Regeln der „Notbremse“ bei einer geringfügigen Unterschreitung des Inzidenzwerts von 100 außer Kraft treten, ist nach kurzer Zeit ein erneutes Ansteigen der Infektionen zu befürchten, so dass ein Jojo-Effekt eintritt, was nachhaltige Öffnungen in weite Ferne rückt und somit die wirtschaftliche Notlage vieler kleiner Unternehmen und Soloselbstständigen weiter verschlechtert. Eine Nachverfolgung von Infektionsketten ist den Gesundheitsämtern mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln oberhalb einer Inzidenz von 35 nicht möglich.

Wechselunterricht ab einer Inzidenz von 100 und Präsenzunterricht bis zu einer Inzidenz von 165 ignoriert die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (vgl. Präventionsmaßnahmen in Schulen während der COVID-19-Pandemie, Empfehlungen des RKI vom 12.10.2020). Die Bundesregierung hat hier willkürliche Inzidenzwerte gewählt, die sie nicht inhaltlich begründen kann. Bei einer hohen Inzidenz ist eine große Zahl von ungeplanten Quarantänemaßnahmen einschließlich notwendigen Schließungen von Schulen zu befürchten. Schon ein infiziertes Kind in der Schule kann dazu führen, dass ein Vielfaches an Kindern und Erwachsenen in Quarantäne müssen. Kurzfristig verhängte Quarantänemaßnahmen können Kinder und Eltern deutlich stärker belasten als geplanter aber geregelter Distanzunterricht. Hinzu kommt, dass auch Kinder an Covid-19 erkranken und von langen gesundheitliche Beeinträchtigungen betroffen sein können (Long Covid, Chronisches Fatigue Syndrom). Kinder und ihre Familien dürfen keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt werden. Sie müssen besonders geschützt werden und das Recht auf Bildung muss für alle Kinder sichergestellt sein.

Schulen und Kindertagesstätten sind nicht nur Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, sondern auch Arbeitsstätten von Lehrkräften und Erzieherinnen und Erziehern. Auch sie haben ein Recht auf bestmöglichen Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Betriebe und Einrichtungen, die die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregeln nicht umsetzen und die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht schützen, müssen unter Androhung von Sanktionen zur Einhaltung des Infektionsschutz angehalten werden und sind notfalls so lange zu schließen, bis dies sichergestellt ist.

Wer von den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besonders betroffen ist, muss vom Staat unbürokratisch unterstützt werden. Das muss insbesondere für diejenigen gelten, die ein geringes Einkommen haben, sich in schwierigen Lebenslagen befinden oder weniger privilegiert sind.

Ich halte eine Niedriginzidenz-Strategie für zielführend, um Gesundheit, Leben, Kultur, Bildung, berufliche Existenzen und Wirtschaft zu schützen, Öffnungen mit schnellem Testen, schneller Kontaktnachverfolgung und konsequenten Quarantänemaßnahmen abzusichern und erforderliche Eingriffe in Grundrechte so kurz wie möglich zu halten (No-Covid-Strategie).

Berlin, 21. April 2021