Keinen Frieden für die Sahelzone, nichts gelernt aus Afghanistan

Kathrin Vogler schreibt über den Einsatz in Mali und das Risiko, dass sich das Scheitern des "vernetzten Ansatzes", mit dem die Bundesregierung den Waffengang in Afghanistan bis zum fluchtartigen Abzug der Bundeswehr präsentiert hat, im Sahel wiederholt. Der Beitrag erscheint als Gastkommentar im Juni-Journal des "WeltTrends"-Verlags.

Die Bundeswehr beteiligt sich mit EUTM Mali seit acht Jahren aktiv an der Ausbildung und Ausstattung malischer Streitkräfte, der Einsatztruppe der G5-Sahel-Staaten sowie der Streitkräfte in Burkina Faso, Mauretanien, Tschad und Niger, wo z.B. Kampfschwimmer der Bundes-wehr nigrische Spezialkräfte trainieren. Zugleich haben sich die Sicherheitsprobleme in der Region dramatisch verschärft. Seit 2016 hat sich in Burkina Faso, Mali und Niger die Zahl der Terroranschläge verfünffacht, in Burkina Faso stieg die Zahl der Gewaltopfer von 80 (2016) auf über 1.800 Tote im Jahr 2019. Auch die von der Bundeswehr ausgebildeten Militärs verüben immer wieder Gräueltaten, lassen Menschen verschwinden, verüben extralegale Hinrichtungen und Massaker. Allein die UN-Mission MINUSMA hat inzwischen 589 von malischen Soldaten begangene Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Das UNHCR berichtet von 60.000 malischen Geflüchteten im Sahel. In Mali selbst lei-den Hunderttausende an den Folgen von Krieg und Gewalt. Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sind zusammengebrochen. Angesichts der wachsenden Verelendung schließen sich immer mehr junge Männer den Milizen im Sahel an. EUTM, MINUSMA und damit auch die Bundes-wehr haben dazu beigetragen, dass die hochkomplexe Konfliktlage in Mali eskaliert und sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen auf die ganze Sahel-Region ausgeweitet haben.

Viele Menschen in Mali zweifeln daran, dass die internationalen Militäreinsätze ihnen Frieden bringen. Zum Beispiel waren nach einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende 2019 fast 80 Prozent der MalierInnen nicht mit der Arbeit von MINUSMA zufrieden. Sie erleben tagtäglich, dass die fremden Militärs ihnen nicht mehr Sicherheit verschaffen. Die ausländischen SoldatInnen werden als Besatzungstruppen und verlängerter Arm der Regierung gesehen. Das liegt nicht nur an der früheren Kolonialmacht Frankreich, sondern auch daran, dass die Bevölkerung keine Verbesserung ihrer sozialen, ökonomischen oder Sicherheitslage sieht. Es gibt in Mali eine große Akzeptanz internationaler Entwicklungszusammenarbeit und großes Interesse an Unterstützung für den Friedensprozess. Augustin Cissé, Generalsekretär des malischen zivilen Friedensdienstes ORFRED, sagt ganz klar: „Die internationale Gemeinschaft ist aber zu sehr auf das Militär fixiert. Das entmutigt und schwächt die malische Zivilgesellschaft. Der Frieden muss sich von unten aufbauen. Wenn von Anfang an mehr Mittel in die Zivilgesellschaft investiert worden wären, wenn man lokale Organisationen gestärkt, geschult und finanziell unter-stützt hätte, wären wir einem dauerhaften Frieden wesentlich näher als jetzt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ehrliche Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes nötig!

Hätte die Bundesregierung den Kriegseinsatz in Afghanistan ab 2001 einer ehrlichen Evaluation unterzogen, so müsste sie feststellen, dass der „vernetzte Ansatz“, in dem politische, zivile und militärische Maßnahmen miteinander verbunden sein sollen und der in Afghanistan entwickelt wurde, krachend gescheitert ist. Aber genau diesen Ansatz nimmt man jetzt wieder zur Begründung der Mali-Mandate. Aber der größte Fehler – in Afghanistan wie in Mali – ist, dass die Bundesregierung keine Idee hat, wie man wieder herauskommen kann.

Aus Afghanistan hätte man auch lernen können, dass man früher oder später mit allen bewaffneten Akteuren reden muss, ganz gleich, ob es die Taliban in Afghanistan oder die Tuareg und die mit ihnen verbündeten Islamisten in der Sahelzone sind. Im Fall Malis bedurfte es erneut eines Militärputsches, der die in weiten Teilen des Landes unbeliebte Regierung des ebenfalls durch einen Putsch an die Macht gekommenen Präsidenten Keita nach Aufständen aus dem Amt fegte und diese Gespräche ermöglichte. In Afghanistan war es die zermürbende Erfahrung, dass selbst die massive Militärpräsenz der USA nicht in der Lage war, die Taliban nach-haltig zu vertreiben.

Nach 20 Jahren Krieg in Afghanistan sollte die Bundesregierung verstanden haben, dass die Bundeswehreinsätze zwar ein sichtbares, aber auch teures und letztlich unwirksames Instrument der Außenpolitik sind. Und sie sollte erkennen, dass sie mit jedem Euro, den sie in lokale Friedensinitiativen und Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen steckt, mehr für Sicherheit und Stabilität in Afrika tut. Aber eine präventive und deeskalierende Außenpolitik gehört leider nicht zu den Kernkompetenzen der Regierung. Als die NATO 2011 in Libyen Gaddafi stürzte, trieb sie die Tuareg-Milizen zurück nach Mali und entfachte diesen Konflikt. Quer zu dieser Gemengelage kommen noch wirtschaftliche und geostrategische Interessen der EU: die Migrations- und Flüchtlingsabwehr, das Zurückdrängen des chinesischen Einflusses, die französische postkoloniale Agenda und der Zugriff auf die Uranvorkommen im Niger. Dabei muss man nicht mitmachen, dazu kann und muss man Nein sagen!

Europas Grenze in die Sahelzone verlegen?

Mali ist ein wichtiges Transitland auf der Migrationsroute von Westafrika über Libyen und das Mittelmeer nach Europa. Zwar argumentiert man, es gehe darum, mit Bundeswehreinsätzen Fluchtursachen zu mindern. Tatsächlich trägt man dazu bei, weitere Fluchtursachen zu schaffen, indem einer Bevölkerung, die seit Jahrhunderten in und von Migrationsbewegungen lebt, die Existenzgrundlage entzieht. Stattdessen investieren Deutschland und die EU Hunderte Millionen Euro, um die EU-Außengrenzen vom Mittelmeer mitten in die nordafrikanische Wüste zu verlagern. Ein Instrument der Flüchtlingsabwehr ist die auf EU-Initiative 2017 gegründete „G5 Sahel Joint Force“, eine 5.000 Mann starke Einsatztruppe aus Soldaten und Polizisten aus fünf Staaten der Sahelzone. Militärische Unterstützung bekommt die Einheit von EUTM Mali. Die „G5 Sahel Joint Force“ soll entlang der Grenzen der fünf Länder gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und Menschenhandel vorgehen und Fluchtbewegungen nach Libyen aufhalten. Der UN-Sicherheitsrat mahnte mehrfach die Einhaltung der Menschen-rechte an und das, obwohl die Bundesregierung stets behauptet, gerade die Ausbildung durch europäische SoldatInnen sichere die Beachtung menschenrechtlicher Standards. Das malische Militär besteht heute nur noch aus Personen, die eine europäische Schulung hinter sich haben. Wenn das der Kern der Ausbildung wäre, müssten Soldaten der malischen Armee die besten Menschenrechtsverteidiger des Kontinents sein. Aber darum geht es nicht. Viel wichtiger ist es Deutschland, Frankreich und der EU, ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss zu festigen und die unvollkommenen kolonialen Grenzen nun in einer postkolonialen Anstrengung zu härten und undurchlässig zu machen, jedenfalls in Richtung Norden.

WeltTrends. Das außenpolitische Journal ist eine monatlich im WeltTrends-Verlag Potsdam erscheinende Zeitschrift für internationale Politik, globale Entwicklungen und Herausforderungen der deutschen Außenpolitik im 21. Jahrhundert.