1. Juni in Düsseldorf: Rettet den INF-Vertrag! Reden statt rüsten – Abrüstung schafft Sicherheit!

Frieden

Kathrin Vogler in ihrer Rede auf der Protestveranstaltung in Düsseldorf am 1 Juni 2019: "Heute vor 31 Jahren, am 1. Juni 1988, ist der Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion in Kraft getreten. Und weil US-Präsident Trump Anfang dieses Jahres beschlossen hat, diesen Vertrag aufzukündigen, stehen wir nun an der Schwelle zu einem neuen atomaren Wettrüsten. Wir müssen also alles dafür tun, dass diese Schwelle nicht überschritten wird. Wir sagen NEIN zu neuen Atomwaffen in Europa! Der INF-Vertrag muss bestehen bleiben!" (Es gilt das gesprochene Wort.)

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wir stehen hier heute vor dem Konsulat eines Landes, dessen Regierung gerade dabei ist, die gesamte Architektur von Abrüstung, Rüstungskontrolle und Begrenzung, die Generationen von Politiker*innen und Diplomat*innen auf diesem Planeten über Jahrzehnte entwickelt haben, Stück für Stück zu zerstören. Wir stehen hier nicht gegen die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern gegen eine Politik ihrer Herrschenden, die in höchstem Maß verantwortungslos und unerträglich ist.

Wir demonstrieren hier gegen einen US-Präsidenten, dessen Außenpolitik die Welt in ein gigantisches neues Wettrüsten und an den Rand eines alles zerstörenden Atomkriegs treibt. Dieser Präsident hat in der ersten Hälfte seiner ersten Amtszeit schon mehr internationale Vereinbarungen gebrochen oder gekündigt als jeder andere US-Präsident in zwei vollen Wahlperioden: etwa das Pariser Klimaabkommen, das Atomabkommen mit dem Iran, den internationalen Vertrag zum Waffenhandel und einen Vertrag der internationalen Schiffahrtsorganisation zur Reduzierung giftiger Abgase bei Seeschiffen. Ausgetreten sind die USA unter Trump aus dem UN-Menschenrechtsrat, aus der UN-Kulturorganisation UNESCO, aktuell steht der Austritt aus dem Weltpostverrein auf der Tagesordnung. 

Heute vor 31 Jahren, am 1. Juni 1988, ist der Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion in Kraft getreten.

Und weil US-Präsident Trump Anfang dieses Jahres beschlossen hat, diesen Vertrag aufzukündigen, stehen wir nun an der Schwelle zu einem neuen atomaren Wettrüsten.

Wir müssen also alles dafür tun, dass diese Schwelle nicht überschritten wird.

Wir sagen NEIN zu neuen Atomwaffen in Europa!

Der INF-Vertrag muss bestehen bleiben!

Dieser Vertrag sorgte erstmals für die tatsächliche Verschrottung eines ganzen Waffentyps.

Er war das Ergebnis des massiven Widerstandes von Millionen Menschen, die seit Anfang der 80er Jahre weltweit in der Friedensbewegung gegen die Vorbereitung eines Atomkrieges kämpften.

Damals, in der Hochzeit des Kalten Krieges, bedrohten über 70.000 Atomsprengköpfe die Existenz der Menschheit.

Damals schon produzierten die Militärstrategen in Washington und die NATO-Strategen in Brüssel das, was man heute Fake News nennen würde: Mit neuen Mittelstreckenwaffen und Raketenabwehrsystemen wollten sie den Atomkrieg führbar und gewinnbar machen. Die Bevölkerung sollte durch einen Ausbau des Zivilschutzes darüber hinweg getäuscht werden, dass die Atomwaffen das zerstören, was sie angeblich verteidigen sollen.

Aber immer mehr Menschen glaubten das nicht mehr und standen auf gegen den atomaren Wahnsinn.

1981 auf der Demonstration „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen“, sagte der Theologe und Friedenskämpfer Helmut Gollwitzer vor 300.000 Menschen:

„Jetzt wird das Volk störrisch und erkennt, dass der Frieden zu wichtig ist, dass man ihn den Politikern überlassen dürfte. .... Friedensfähig aber ist nur, wer abrüstungsfähig ist, das müssen jetzt die Völker ihren Politikern beibringen durch konsequente Rüstungsverweigerung und Rüstungsverhinderung.“ (1) Das gilt heute genauso wie damals: Wir müssen störrisch sein gegen alle jene, die Aufrüstung predigen und praktizieren, weil nur Abrüstung und Verständigung in er Lage sind, Sicherheit zu schaffen.

In einem Aufsehen erregenden Appell stellten sich 1982 rund 300 US-Bischöfe gegen die Atomkriegs-Doktrin der NATO und fragten: „Ist atomare Abschreckung unmoralisch?“

„Wir befinden uns in einer äußersten Krise, denn der Atomkrieg bedroht die Existenz unseres Planeten. Diese Bedrohung ist verheerender als alles, was die Welt je erlebt hat. Es ist weder erträglich noch notwendig, daß wir verdammt sein sollen, unter solchen Bedingungen zu leben.“

Damals stand die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr der US-amerikanischen Atomwissenschaftler, auf vier Minuten vor Zwölf.

Tatsächlich veränderte der weltweite Widerstand auch das Denken und Handeln der Herrschenden. Die Forderung der Friedensbewegung nach „Kooperation statt Konfrontation“ wies den Weg aus der Vernichtungsspirale und führte letztendlich zum INF-Vertrag, in dem sich Ronald Reagan und Michail Gorbatschow für ihre Staaten verpflichteten, die Mittelstreckenraketen in Europa abzubauen und zu vernichten.

Die Doomsday Clock wurde auf sechs Minuten vor Zwölf zurückgestellt.

Auf den INF-Vertrag von 1988 folgten weitere Abrüstungsvereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion, der START-Vertrag 1991 zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen und der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1968 wurde 1995 auf unbestimmte Zeit verlängert.

Heute steht die Doomsday Clock erstmals seit 1953 wieder auf zwei Minuten vor Zwölf. 1952 hatten die USA und die UdSSR erstmals Wasserstoffbomben getestet. Die Herausgeber der Doomsday Clock schrieben damals in ihrem Statement: „Nur noch wenige Pendelschläge und Atomexplosionen von Moskau bis nach Chicago werden das Ende der westlichen Zivilisation bedeuten.”

 Heute schreiben sie, dass „die Hauptakteure der Atomwaffenstaaten an der Schwelle zu einem neuen Wettrüsten stehen, das sehr teuer sein wird und die Wahrscheinlichkeit von Unfällen und Fehleinschätzungen erhöht".

Warum wollen die USA und auch Russland den INF-Vertrag eigentlich auflösen? Trump und Putin werfen sich schon lange gegenseitig vor, mit neu entwickelten Atomwaffen gegen diesen Vertrag zu verstoßen. Aber anstatt diesen wichtigen Vertrag mit einem gemeinsamen Überprüfungsregime und in vertrauensbildenden Gesprächen in gemeinschaftlicher diplomatischer Anstrengung zu retten, treiben sie die Welt auf ein neues atomares und konventionelles Wettrüsten zu. Gerade aus Sicht der NATO ist das absurd, denn sie ist jedem möglichen Gegner militärisch dermaßen überlegen, dass auch neue Waffensysteme daran nichts ändern werden.

Nicht nur der INF-Vertrag, auch die anderen Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle stehen inzwischen auf der Kippe wie New Start und der Vertrag zur Nichtweiterverbreitung.

Die US-Regierung hat angekündigt, bis 2029 etwa 400 Milliarden Dollar in neue Atomwaffen zu investieren. Dazu gehören auch so genannte „Low-Yield“-Waffen“ mit einer Sprengkraft von bis zu 20 Kilotonnen.

Damit können ganze Städte ausgelöscht werden.

Die Atombombe auf Hiroshima hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen.

Auch die neuen russischen Raketen vom Typ SSC-8 sollen in der Lage sein, in fast ganz Europa Hauptstädte und kritische zivile und militärische Infrastruktur mit geringer Vorwarnzeit treffen.

Und in Büchel will die USA neue digital gesteuerte B61-12-Nuklearwaffen stationieren, die als bunkerbrechende Bomben tief in Erdreich oder Beton eindringen können, um die Waffen des Gegners in ihren Lagerstätten zu zerstören.

Damit will sich die USA die Erstschlagsfähigkeit erhalten, also die Fähigkeit die gegnerischen Vergeltungsstreitkräfte auszuschalten.

Es geht also wieder darum, Atomkrieg möglich zu machen und die Illusion zu verbreiten, er könne gewonnen werden.

Was können wir tun?

Am 18. Oktober 2018 hat der Bundestag einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion „Dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten – Atomwaffen abziehen!“ mit den Stimmen der Großen Koalition abgelehnt.

Dabei hatte der Bundestag bereits vor neun Jahren, am 26. März 2010, dafür gestimmt, die Lagerung und Stationierung von Atomwaffen in Deutschland zu verbieten.

Aber anstatt ihn umzusetzen, konterkariert die Bundesregierung diesen Beschluss jetzt mit blinder NATO-Bündnistreue und setzt sich damit auch über den Willen der Bevölkerung hinweg:

Nach einer Umfrage von April 2019 wollen tatsächlich nur 18 Prozent der Bundesbürger*innen, dass die USA weiterhin Atomwaffen in Deutschland stationiert.

70 Prozent der Bundesbürger sind dafür, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt.

Ich sage jetzt als Politikerin: der Frieden ist zu wichtig, dass man ihn den Politikern überlassen dürfte!

Also: Werden wir störrisch!

  • 25 deutsche Städte haben inzwischen per Ratsbeschluss erklärt, dass sie den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen 2017 unterstützen. Und sie fordern die Bundesregierung auf, den UN-Atomwaffenverbotsvertragvertrag zu unterzeichnen. Auch Düsseldorf gehört dazu. Diese Entwicklung macht Mut!
     
  • In Büchel demonstrieren von März bis August Menschen in einer Dauerpräsenz für den Abzug der Bomben aus Deutschland. Aktivist*innen dringen in das Gelände ein und blockieren die täglichen Übungsflüge, auf denen Bundeswehrsoldaten den Abwurf von Atombomben trainieren. Sie tun dies, weil die Übungsflüge der Bundeswehr, mit denen der Atomkrieg trainiert wird, rechtswidrig und falsch sind. Wir senden ihnen unsere solidarischen Grüße.

Wir müssen die Bundesregierung dazu zwingen, sich aktiv dafür einzusetzen, dass die USA und Russland Abrüstungsgespräche aufnehmen. Deutschland ist zur Zeit als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Wenn die Bundesregierung diese Rolle ernst nimmt, muss sie alles tun, damit der INF-Vertrag erhalten wird!

Sie muss für das Verbot aller Atomwaffen einstehen und dafür eintreten, dass alle Atomwaffen von dieser Erde verschwinden!

Solidarität, Zivilcourage und gewaltfreier Widerstand sind die Stärken der Friedensbewegung.

Seien wir also störrisch und widerständig!

Wir sagen NEIN zu einer neuen atomaren Aufrüstung in Mitteleuropa!
 
Hände weg vom INF-Vertrag!

Das UN-Atomwaffenverbot durchsetzen!

Abrüsten statt Aufrüsten!

 


(1) Bonn 10.10.1981, Friedensdemonstration für Abrüstung und Entspannung (Hg.: ASF/AGDF), 1981, S. 72.

Foto: Joachim Schramm