"Wirtschaftliche und politische Rüstungsprofiteure stoppen!" SIPRI-Bericht: Rüstungsausgaben 2017 um 1,1 Prozent gestiegen

Am 2. Mai hat das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI seine jährliche Statistik der weltweiten Rüstungsausgaben veröffentlicht. Auf einer Pressekonferenz des International Peace Bureaus (IPB) am 4. Mai in Berlin haben Kathrin Vogler (Die Linke), Antje Heider-Rottwilm (Kirche und Frieden e.V.), Marco Bülow (SPD), Reiner Braun (IPB) und Michael Bloss (Bündnis 90/Die Grünen) die neuen Zahlen einer ersten Bewertung unterzogen.

Kathrin Vogler stellte in ihrem Beitrag die steigenden Rüstungsausgaben den dringend notwendigen Investitionen in sozial-ökologische Sicherheit und Nachhaltigkeit gegenüber. Sie forderte eine neue Kultur des Dialogs und der Kooperation weltweit: „Abrüstung wird es nur durch das aktive Handeln vieler Menschen gegen die Interessen weniger wirtschaftlicher und politischer Rüstungsprofiteure geben!“

Kathrin Voglers Redebeitrag vom 4. Mai 2018 (es gilt das gesprochene Wort):

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine Erhöhung der weltweiten Militärausgaben um 1,1% scheint auf den ersten Blick gar nicht so viel, obwohl sie in der Summe mit mehr als 120 Milliarden Dollar die Höhe der Haushalte von mehr als 50% der Länder dieser Erde übersteigen.

Abstrakte Zahlen konkret nachgefragt, zeigen eben ein anderes Bild: Die Bundesregierung gibt 2017 ungefähr 1,3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aus. Dies sind ca. 35 Milliarden Euro. Zwei Prozent des BIP würde bei einer angenommenen Steigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts um 1,5% pro Jahr eine faktische Verdoppelung dieser Rüstungsausgaben auf ca. 65 bis 70 Milliarden Euro bedeuten. Selbst bei einer leichten Erhöhung des Bundeshaushaltes würde der Ansatz für den „Verteidigungsetat“ von bislang 9% auf 15 bis 20% wachsen.

Dieses wäre aus dem Haushalt nur zu finanzieren, wenn die Steuern massiv angehoben oder die Ausgaben für andere Ressorts drastisch gesenkt würden.

Zwei Prozent, das sind mindestens weitere 30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen. So bei Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern, öffentlichem Nahverkehr, kommunaler Infrastruktur, Alterssicherung, ökologischem Umbau, Klimagerechtigkeit und internationaler Hilfe zur Selbsthilfe.

Einige Zahlen, die diese Aussage untermauern:

  • Um den massiven Investitionsstau in der Infrastruktur (u.a. Bahn, Radwege, Brücken) abzubauen, sind in den nächsten Jahren nach Meinung des DGB mindestens 50 Milliarden Euro notwendig.
  • Um den Wohnraummangel in Deutschland zu beheben, müssten jährlich 450.000 neue Wohnungen gebaut werden, viele davon mit einer starken Sozialbindung; Kostenpunkt: 20 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren.
  • Allein der Einstieg in eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft (der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umwelt WBGU spricht von der Notwendigkeit einer „großen Transformation“) würde jährlich Milliarden kosten, wenn dieser Wandel gerecht und sozial durchgeführt werden soll.
  • Schulen und Hochschulen stehen auf der Kippe. Ein Modernisierungsprogramm muss in einem ersten Schritt auf zehn Jahre angelegt sein. Damit verbunden ist ein jährlicher Investitionsbedarf von 3,2 Milliarden Euro für die Schulen und von einer Milliarde Euro für die Hochschulen.

Auch angesichts dieser dringend notwendigen Investitionen zugunsten von sozial-ökologischer Sicherheit und Nachhaltigkeit können wir uns die von der Bundesregierung angestrebte Hochrüstung nicht mehr leisten.

Täglich wird uns gesagt: für eine tragfähige Rente, für ein menschenwürdiges System der sozialen Sicherung, ein gerechtes Gesundheitssystem und höhere Löhne sei angeblich kein Geld da. Wenn die NATO ruft und Frau von der Leyen den Mund aufmacht, klingeln die Kriegskassen. Einundfünfzig Milliarden Euro haben die bisherigen Interventionskriege von Afghanistan über Somalia bis Mali gekostet. Das Ergebnis ist nicht mehr, sondern immer weniger Sicherheit - auch bei uns. Wir brauchen ein neues Sicherheitsparadigma. Sicherheit kann nur noch so buchstabiert werden: sozial und ökologisch, kooperativ und abgerüstet in einer gerechteren Welt.

Es geht aber nicht nur um die Aufrüstung unseres Landes: Die weltweiten Ausgaben für den Rüstungssektor liegen 2017 bei 1,7 Billionen US Dollar, davon gibt die NATO jetzt schon über 800 Milliarden US-Dollar aus, knapp die Hälfte, China ca. 200 Milliarden, Russland ca. 65 bis 70 Milliarden.

Bei 2 % Ausgaben in allen NATO-Staaten würden diese Ausgaben in den NATO-Ländern auf ca. 1 bis 1,2 Billionen US-Dollar steigen. Exakte Daten sind schwer vorherzusagen, da der rüstungswahnsinnige US-Präsident Trump den US-Rüstungsetat von 2017 auf 2018 alleine um 65 Milliarden US-Dollar auf dann ca. 700 Milliarden als „Basishaushalt“ erhöhen will.

Was für eine Vergeudung von Ressourcen! Welche Unmenschlichkeit steckt hinter diesen Zahlen: Jeden Tag gehen fast eine Milliarde Menschen hungrig zu Bett.

Im Jahr 2016 verabschiedete die UNO ihre „Sustainable Development Goals“ (SDG), aber so großartig die Pläne der UN gegen Hunger, Armut, für gerechten Wasserzugang und Erziehung für alle sind, ohne Finanzierung ist alles fast nichts. Die UN beziffert die Ausgaben für die Realisierung dieser ambitionierten Ziele auf ca. 300 Milliarden Dollar pro Jahr.

Die Herausforderungen der Klimaveränderungen sind täglich weltweit stärker spürbar. Für die Lösung dieser Herausforderungen haben die Vereinten Nationen einen „Green Climate Fund“ zur Anpassung an die globalen Krisenveränderungen aufgelegt. Ab 2020 soll die internationale Gemeinschaft 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr in diesen Topf einzahlen. Bis jetzt gibt es Zusagen von 37 Milliarden. Woher soll das Geld für die Ärmsten der Armen kommen, wenn nicht von der Rüstung?

Abrüstung ist also die weltpolitische Herausforderung.

Wir brauchen Abrüstung auch, weil sich eine friedliche Philosophie durchsetzen muss: Abrüstung bedingt Kooperation, Dialog und Gemeinsamkeit mit dem potentiellen „Feind“. Aufrüstung bedingt Konfrontation (heute aktuell und besonders mit Russland). Niemand kann ernsthaft glauben, dass Abrüstung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer Konfrontationspolitik möglich ist. Die Rüstungsausgaben Russlands betragen im Vergleich nur 10 Prozent des NATO-Etats. Die Kräfteverhältnisse zwischen den vermeintlichen Kontrahenten wecken auch deshalb erhebliche Zweifel an den Bedrohungsannahmen des westlichen Bündnisses.

Abrüstung ist immer auch ein Teil der Forderung nach einer gemeinsamen, gerechten Welt. Abrüstung ist immer ein Sieg der Vernunft und der Humanität über den Aberglauben an Krieg und Sieg.

Abrüstung und weitere antimilitaristische Schritte hin zu einer Welt ohne Militärblöcke und Krieg wird es nur durch das aktive Handeln der Menschen - vieler Menschen - gegen die Interessen weniger wirtschaftlicher und politischer Rüstungsprofiteure geben.

Deswegen findet der internationale Aufruf „Disarm!“ auch die Unterstützung meiner Partei. Wir brauchen mehr und vernetzte politische Aktivitäten, um den Aufrüstungswahnsinn zu stoppen.

 

 

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