Lagebeschreibung: Wo bleibt Lauterbachs Versorgungskonzept?
Die Unionsfraktion hat einen Antrag „ME/CFS-Betroffenen sowie deren Angehörigen helfen“ zur Abstimmung vorgelegt, der viele Forderungen enthält, die auch von Seiten der Selbsthilfeorganisationen und Fachgesellschaften erhoben werden. Kathrin Vogler hat in einem Statement die Position ihrer Fraktion zum Thema Long Covid und ME/CFS zusammengefasst
DIE LINKE im Bundestag macht ME/CFS seit 2013 immer wieder zum Thema
Die Linksfraktion unterstützt den Antrag der CDU/CSU und hat ihm im Gesundheitsausschuss zugestimmt. Das tun wir auch trotz der Frage, warum die Union nun als Opposition Forderungen erhebt, die sie aber während ihrer 16-jährigen Regierungszeit und 8-jährigen Zeit mit CDU-Bundesgesundheitsministern nicht angegangen ist (vgl. auch die enttäuschende Antwort des unionsgeführten Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Jahr 2019, Drucksache 19/12632). Bedenklich ist auch, dass die Unionsfraktion alle Forderungen „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“ erhebt, was vermuten lässt, dass die geforderte Forschung und Versorgung bei einer unionsgeführten Bundesregierung entweder gar nicht finanziert würde oder stattdessen andere Maßnahmen im Gesundheitssystem gestrichen würden. Dieser „Haushaltsvorbehalt“ stellt bei der Prioritätensetzung doch erhebliche Fragezeichen.
Meine Fraktion beschäftigt das Thema ME/CFS seit vielen Jahren. Bereits 2013 haben wir die Versorgungslage in einer parlamentarischen Anfrage thematisiert. Wir haben 2021, noch zur Regierungszeit der Union, in einem Antrag gefordert, dass mehr Forschungsmittel für ME/CFS und Long COVID zur Verfügung gestellt werden sollten. Dies ist jedoch mit den Stimmen von Union, SPD und AfD bei Enthaltung der FDP gegen unsere und die Stimmen der Grünen abgelehnt worden.
Bei Long COVID und ME/CFS mangelt es an Verständnis - medizinisch und politisch
Es ist beschämend für die Bundesregierung, dass die große Aufmerksamkeit für Long COVID erst notwendig war, um das Thema ME/CFS als Ganzes wahrzunehmen. Noch immer ist die Datenlage zur Zahl und zur Situation bis hin zur Gesundheitsversorgung der ME/CFS-Erkrankten desolat. Der Informationsstand in der Ärzt*innenschaft hat sich nach unserer Wahrnehmung seit der Corona-Pandemie zwar etwas verbessert, ist aber immer noch katastrophal niedrig. Die Bundesregierung und die Koalition wiegeln dieses Problem mit fehlender Zuständigkeit ab und verweisen auf die Ärztekammern, Fachgesellschaften oder den Gemeinsamen Bundesausschuss. Doch wir meinen: Wenn das System hier nicht funktioniert, muss die Politik eingreifen. Es darf nicht sein, dass eine häufige und so stark einschränkende Erkrankung ein weißer Fleck im Behandlungsgeschehen bleibt. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich die im Koalitionsvertrag versprochenen Kompetenzzentren ME/CFS voranzubringen und zu fördern. Die Aus- und Weiterbildung muss verpflichtend den großen Rückstand bei der Verbreitung des Wissens um ME/CFS aufholen.
Die Bundesregierung muss energisch darauf hin arbeiten, dass die vielen Fehlbehandlungen in der Praxis wegen fehlendem Verständnis für die Krankheit aufhören und die Betroffenen schneller an eine korrekte Diagnose sowie Behandlung nach Stand des Wissens kommen. Sehr kritisch sehen wir die immer noch weit verbreitete Praxis, wonach Aktivierung als Therapieoption empfohlen wird, obwohl das nach vielen Berichten von Patient*innen und ärztlichen Expert*innen der falsche Weg ist.
Mehr nichtkommerzielle Arzneimittel- und Methodenforschung - auch für ME/CFS-Erkrankte
Unserer Fraktion ist das große Problem bewusst, dass es für die vielen Betroffenen von ME/CFS nach wie vor keine ursächliche Therapie und keine biologischen Marker gibt. Nicht nur für diese Krankheit würde es helfen, wenn mehr nichtkommerzielle Gesundheitsforschung vom Bund gefördert würde. Dies fordern wir seit vielen Jahren in einem Volumen vom 2 Milliarden Euro pro Jahr immer in den Haushaltsberatungen des Bundes. Damit soll nichtkommerzielle Arzneimittel- und Methodenforschung gefördert werden. Das wäre deswegen so wichtig, weil für viele Krankheiten die konventionelle kommerzielle Forschung offenbar nicht in der Lage ist, Ergebnisse zu liefern. Das gilt in besonderem Maße auch für ME/CFS. Allerdings wird dieser Änderungsantrag in jeder Haushaltsberatung regelmäßig von der jeweiligen Regierungsmehrheit abgelehnt.
Wo bleibt das Versorgungskonzept für Menschen mit Long Covid?
Zu Long COVID haben wir im Juli 2022 in einem Antrag gefordert, Hilfen für Betroffene aus einem Pandemiefonds zu finanzieren sowie ausreichend finanzielle Mittel zur Stärkung der Gesundheitswissenschaften bereitzustellen, insbesondere für Projekte der Public Health-Forschung und der nichtkommerziellen klinischen Forschung. Dabei sollen insbesondere auch die Erforschung von Langzeit- und Folgesymptomen sowie die Therapieforschung zur Behandlung von Long-COVID eine hervorgehobene Rolle spielen. Auch dieser Antrag wurde leider von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Dass Gesundheitsminister Lauterbach Anfang 2023 angekündigt hat, 100 Millionen Euro für die Entwicklung eines "optimalen Versorgungskonzepts für Menschen mit Long Covid" bereitzustellen, weckte in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und Hoffnungen bei den Betroffenen. Allerdings gibt es bis heute keine weiteren Informationen aus dem Gesundheitsministerium, wann und wem dieses Geld zur Verfügung gestellt werden soll.
Wir begrüßen sehr, dass es die Nationale Klinische Studiengruppe (NKSG) ME/CFS gibt und dass der Bund hierfür Forschungsgelder bewilligt hat. Wir setzen uns dafür ein, dass die Forschungsmittel auch über den bisherigen Genehmigungszeitraum hinaus bewilligt werden.
Politische Blockaden überwinden und aktiv werden!
Mit dem Abschluss des ME/CFS-Antrags der CDU/CSU haben zwar alle Fraktionen des Bundestages im Gesundheitsausschuss die Dringlichkeit des Themas anerkannt. Leider haben die Koalitionsfraktionen die Initiative aber trotzdem abgelehnt. Wir werden weiter Druck machen und bieten unsere Kooperation allen demokratischen Parteien an. Wir finden es sehr bedauerlich, dass die Koalitionsfraktionen auch in dieser wichtigen Frage nicht über ihren Schatten springen und wenigstens ihrerseits fundierte Vorschläge zur Verbesserung der Situation von ME/CFS-Betroffenen vorgelegt haben.
Foto (von links):
Nicole Gohlke, Kathrin Vogler und Ates Gürpinar besuchten die Aktion der Initiative #NichtGenesen mit einem Meer von Liegen am 19. Januar 2023 von dem Bundestag.