Die Waffen nieder! Rede beim Ostermarsch in Münster

Rede von Kathrin Vogler bei der Kundgebung vorm Rathaus im Rahmen der Oster-Fahrradtour für den Frieden in Münster. 

Die Rede im Wortlaut: 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Fassungslos steht die westliche Welt heute vor den Terroranschlägen in Belgien, genau wie  vor denen in Paris im November 2015. Hunderte wurden verletzt und getötet, viele weitere traumatisiert. 

Diese Anschläge sind verbrecherisch und kriminell und wir sind im Herzen bei den Opfern und ihren Angehörigen. 

Über der berechtigten Empörung und dem Entsetzen dürfen wir aber nicht vergessen, dass die meisten Opfer des djihadistischen Terrors in Afrika, Asien und dem Nahen Ostens zu beklagen sind. Weltweit hat sich die Zahl der bei Anschlägen getöteten Menschen seit dem Jahr 2000 verzehnfacht. 2014 kamen mehr als 32.000 Menschen zu Tode, die meisten in Irak, Afghanistan, Pakistan, Syrien und Nigeria. 

Und es gibt noch eine weitere Form von Terror, die meist im wahrsten Sinn des Wortes unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung segelt: 

Das "Bureau of Investigative Journalism“ hat Medienberichte und offizielle Statements des US-Militärs zu Drohneneinsätzen ausgewertet. Daraus hat es die Schätzungen abgeleitet, dass von 2002-2015 zwischen 3.600 bis etwa 6.000 Menschen allein in Pakistan, Afghanistan, Jemen und Somalia durch Drohnen ums Leben gekommen sind. Die Nicht-Regierungsorganisation Reprieve geht davon aus, dass auf einen gezielt getöteten Kämpfer 28 "unbekannte Personen" getötet werden. Unbekannte Personen - das sind Männer, Frauen und Kinder, die einfach nur das Pech hatten, am falschen Ort zu sein. 

Dieser Drohnenterror ist für viele Menschen in den betroffenen Ländern ebenso real wie für uns der Terror in Brüssel oder Paris. 

Und dem so genannten "Krieg gegen den Terror“ sind noch viel mehr Menschen zum Opfer gefallen. Der „Body Count-Report“ der IPPNW vom März 2015 wertet Zählungen und Studien zur Anzahl der Kriegstoten in den Ländern Irak, Afghanistan und Pakistan aus. Die Studie zeigt, dass seit Beginn 2001 zwischen einer und zwei Millionen Menschen getötet wurden.

Die Flüchtlinge, die nun verzweifelt versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen sind die Boten einer aus den Fugen geratenen Welt. Weltweit sind etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Bürgerkrieg und terroristischer Gewalt, aber auch vor Armut und Umweltzerstörung.

Der „Krieg gegen den Terror“, den die USA und ihre Verbündeten 2001 nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon erklärten, ist gescheitert. Er hat die Welt überhaupt nicht sicherer, sondern im Gegenteil viel unsicherer gemacht. Er hat die Djhadisten nicht geschwächt, sondern radikalisiert und gestärkt. 

In vielen islamisch geprägten Ländern erleben die Menschen Unterdrückung durch mehr oder weniger mit dem Westen verbundene Regime, in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien zusätzlich direkt durch völkerrechtswidrige Aggressionen. Diese Unterdrückung und Gewalt hat es den Djihadisten ermöglicht, sich als Widerstandskämpfer darzustellen, der „Krieg gegen den Terror“ hat ihnen massenhaft neue Kämpfer zugetrieben. Schon das müsste genügen, um ihn zu beenden. 

Der „Krieg gegen den Terror“ kostet weit mehr Menschen das Leben, als durch den Terrorismus selbst ums Leben kommen. Und: Die Kriegshandlungen haben nicht dazu geführt, die Zahl der Anschläge gegen die Zivilbevölkerung, der Morde, der Vergewaltigungen und Verstümmelungen, zu reduzieren oder sie gar zu beenden. Wir müssen uns eines klar machen: In Wirklichkeit ist der "Krieg gegen den Terror" ein Herrschaftsinstrument zur Absicherung von Machtsphären oder zur Kontrolle von Rohstoffen und Handelswegen.

Es ist also höchste Zeit umzudenken und umzukehren. Nur ein Ausstieg aus der Gewaltspirale kann Da'esh und anderen radikalislamischen Gruppen die Legitimität und den Zulauf entziehen. Die Selbstdarstellung als gute, gottesfürchtige Kämpfer gegen die "Gottlosen" muss als das entlarvt werden, was sie ist: eine Rechtfertigungslüge. Wenn man dem IS den Krieg erklärt, dann wertet man ihn politisch auf. Damit hätte er sein wesentliches politisches Ziel erreicht: die de-facto Anerkennung als Staat, gegen den andere Staaten Krieg führen. Ich sage: Da'esh ist eine kriminelle Organisation, kein Staat.

Im Übrigen sind Leute, die den Terror von Da'esh missbrauchen, um eine Diskriminierungskampagne gegen alle Muslime zu starten, Kinder desselben Geistes. Wer Brüssel zum Anlass nimmt um #Stopislam zu posten, der hätte auch die Morde des KuKluxKlan zum Anlass nehmen müssen, das gesamte Christentum zu verdammen. Ich bin dafür, dass wir einen neuen Hashtag ausrufen, der heißt #Stopheuchelei! 

Die Bundesregierung setzt nun auf die Türkei und Saudi-Arabien als Partner im Kampf gegen den IS. Damit macht sie den Bock zum Gärtner. 

Insbesondere die Türkei hätte die Verantwortung und die Möglichkeit, den Ölverkauf des IS über ihr Gebiet sowie Transfers von Waffen und Geld an islamistische Terrormilizen zu stoppen. Aber stattdessen lässt Erdogan Journalisten verfolgen, die geheime Lieferungen über die Türkei aufdecken. 

Merkels Plan, die türkische Regierung zu stärken und die Türkei zum Puffer gegen die weitere Fluchtbewegung nach Europa zu machen, ist ein großer Fehler. Das Geld, das sie Erdogan versprochen hat, wäre in der Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen besser aufgehoben. 

Während die EU mit der Regierung schmutzige Deals zur Flüchtlingsabwehr schmiedet, führt die türkische Armee im Südosten einen blutigen Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden. Und die Friedensnobelpreisträgerin EU schaut tatenlos zu. Derselbe Erdogan, der Frau Merkel die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge vom Halse halten soll, der produziert im eigenen Land gerade die nächste große Flüchtlingswelle. Mit Verantwortung oder nur mit Vernunft hat das wenig zu tun, das ist ein Skandal! 

Wenn die Bundesregierung ein ernsthaftes Interesse hat, eine neue, wirksamere Strategie gegen den Terrorismus zu verfolgen, muss sie die Anschläge zum Anlass nehmen, die bisherige Praxis des „Kriegs gegen den Terror“ zu beenden. Krieg ist nicht nur ein völlig ungeeignetes Mittel zur Bekämpfung des Terrors, er ist auch viel zu teuer. Deshalb fordern wir die Beendigung aller Militäreinsätze! 

Und ich sage: Schluss mit dem Drohnenkrieg der USA, der über den Militärstützpunkt in Ramstein gesteuert wird. 

Deutsche Militärs und Geheimdienste dürfen sich nicht an der Zielsuche für Drohnen- und Luftangriffe beteiligen, bei denen quasi Todesurteile vollstreckt werden, ohne dass es auch nur ein Gerichtsurteil gibt. Wir wollen keine Kampfdrohnen für die Bundeswehr.

Wer die Gewalt im Nahen und Mittleren Osten stoppen will, muss auch damit aufhören, die Region immer weiter aufzurüsten. Deswegen sagen wir: Rüstungsexporte stoppen und zwar sofort! Das verlangen wir von allen Regierungen, aber zu allererst von unserer eigenen.

Insbesondere Sigmar Gabriel hat hier große Versprechen abgegeben. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie er vor der Bildung der Großen Koalition landauf landab durch die SPD-Ortsvereine gezogen ist und überall eine Reduzierung des Waffenhandels versprochen hat. 

Ja, er hat die Rüstungsexporte etwas transparenter gemacht. Aber Transparenz ist noch keine Reduzierung. Im Gegenteil: im ersten Halbjahr 2015 lieferten deutsche Rüstungsunternehmen fast so viele Waffen und Rüstungsgüter wie im gesamten Vorjahr - mit Genehmigung durch die Bundesregierung. Unter anderem Saudi-Arabien, Kuwait und Katar wurden bedient, aber auch Algerien und Israel. Es wird jetzt Zeit, ihn an seine Versprechen zu erinnern: Herr Gabriel, treten Sie auf die Waffenhandel-Bremse! 

Die Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel schätzt, dass alle 14 Minuten irgendwo auf dieser Welt ein Mensch von einer Kugel getroffen wird, die aus dem Lauf einer Waffe von Heckler und Koch kommt. Wir sind also Teil des Problems. Werden wir endlich Teil der Lösung! 

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Bertha von Suttner, der großen Pazifistin des 19. Jahrhunderts. Dieser Satz ist von erschreckender Aktualität: 

"Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden."

Stoppen wir den Kreislauf der Gewalt: DIE WAFFEN NIEDER!