Kathrin Vogler: Die Bundesregierung muss mit dem kolonialen Erbe brechen!

Kathrin Vogler

19.11.2020 - Dass die deutsche Außenpolitik bis heute nicht glaubwürdig mit dem „kolonialen Erbe“ bricht, ist völlig inakzeptabel. Verantwortung übernehmen für koloniales Unrecht heißt für uns: Bundeswehr abziehen, gerechte Wirtschaftsbeziehungen ermöglichen und Friedensprozesse zivil unterstützen.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich bedanke mich für den Antrag der Grünen. Er bietet viel Futter für die Ausschussarbeit und die weitere Beratung, und es steht viel Vernünftiges drin.

Wie erschütternd tief wir selber noch im Sumpf des kolonialen Denkens stecken, das bewies der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, im Oktober 2018, als er in einem Zeitungsinterview sagte, der Sklavenhandel sei zwar „schlimm“ gewesen, doch die europäische Herrschaft in Afrika habe „dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“. Und da ist sie doch wieder: die rassistische, koloniale Ideologie vom weißen Mann, der wohltätig ordnend angeblich unterlegenen Völkern seine Kultur bringt und sich dafür das Recht herausnehmen darf, fremde Länder auszubeuten, fremde Völker zu unterjochen und jeden Widerstand brutal zu unterdrücken; das ist es ja, was getan wurde.

(Dr. Marc Jongen [AfD]: Tausend Jahre Sklavenhandel!)

Das ist eine Schande. Das ist eine Verhöhnung der Millionen Opfer und ihrer Nachfahren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Merkel, ich wiederhole meine Forderung von vor zwei Jahren: Lösen Sie Herrn Nooke endlich ab!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP])

Dass die deutsche Außenpolitik bis heute nicht vollständig und glaubwürdig mit dem kolonialen Erbe bricht, ist völlig inakzeptabel. Wenn etwa in den Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung festgestellt wird: „… die meisten afrikanischen Länder haben große Fortschritte bei der Bewältigung von Herausforderungen gemacht“, dann darf doch nicht darüber geschwiegen werden, dass ein Großteil dieser Herausforderungen zu tun hat mit Jahrzehnten der Ausplünderung und den bis heute anhaltenden total ungerechten Wirtschaftsbeziehungen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir stehen heute in der Pflicht, nicht mehr mit dem Gestus der Überlegenheit, sondern mit Demut auf die afrikanischen Gesellschaften zuzugehen, um Vergebung zu bitten und womöglich Wiedergutmachung zu leisten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katrin Budde [SPD])

Die Einrede der Bundesregierung, der Völkermord an den Herero und Nama, aber auch der vielfältige Landraub im Zuge des Kolonialismus seien völkerrechtlich betrachtet kein Unrecht, weil die Rechtsgrundlagen damals noch andere gewesen seien, überzeugt mich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das heutige Völkerrecht noch immer koloniale Verbrechen legitimiert, dann muss es überarbeitet werden, um endlich auch die Perspektive der Opfer aufzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dem Antrag der Grünen vermisse ich eine Positionierung zu der schlimmsten Form der Fortsetzung des kolonialen Unrechts in der heutigen Zeit, zu den Militäreinsätzen, etwa in der Sahelzone, wo die Bundeswehr mithilft, Frankreichs Zugriff auf die Uranvorkommen zu sichern und die militarisierte Flüchtlingsabwehr der Europäischen Union vom Mittelmeer bis tief in den Kontinent hineinzuverlagern. Verantwortung für koloniales Unrecht, das heißt für uns: Truppen abziehen, gerechte Wirtschaftsbeziehungen ermöglichen, Friedensprozesse zivil unterstützen und nicht, wie die Fraktionsvorsitzende der Grünen vorschlägt, Militär sogar ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)