Liebe Leserin,
lieber Leser,
wie gerne würde ich in der Weihnachtszeit frohe, Hoffnung spendende Botschaften verkünden, aber das fällt mir dieses Jahr schwer wie nie. Letztes Jahr um diese Zeit waren wir voller Hoffnung auf die neuen Impfstoffe, die ein Leben ohne Lockdown erwarten ließen. Und 2021 sehen wir, wie eine neue Virusvariante die Welt erobert und ihre Wirte – also uns Menschen – erneut in die Isolation nötigt. Die Natur lässt sich von uns eben nicht so leicht austricksen. Vielleicht ist es ein kleiner Trost zu wissen, dass es uns ohne Viren wohl gar nicht gäbe und dass wir noch heute in jeder unserer Zellen in den Mitochondrien Teile von Viren mit uns tragen, die die Entstehung von tierischem und menschlichem Leben überhaupt erst ermöglicht haben.
Wenn, wie Hermann Hesse schrieb, jedem Anfang ein Zauber innewohnt, dann hat die Ampel- Regierung sich gleich selbst entzaubert. In seiner unnachahmlich bräsigen und langweiligen Art trug Bundeskanzler Olaf Scholz in quälenden 90 Minuten seiner ersten Regierungserklärung vor, was sich die neue Bundesregierung für die nächsten Jahre vorgenommen hat. Man hatte den Eindruck eines Buchhalters, der den Jahresabschluss der Firma vorträgt und Aufbruchstimmung wollte sich partout nicht einstellen. Wenige Stunden später der mit Vorschusslorbeeren überhäufte Gesundheitsminister bei seinem ersten Auftritt in der Bundespressekonferenz: Wie ausgewechselt war der eloquente Professor, der Dauergast in Talkshows und Satiremagazinen da. Karl Lauterbach unsicher, stotternd, sich selbst ständig korrigierend, konnte keine Klarheit in die Geschichte vom Impfstoffmangel bringen, die er selbst in die Welt gesetzt hatte und mit der er viele Menschen tief erschüttert hat. Dass das Pandemiemanagement der alten Regierung von vielen Pleiten und Pannen begleitet war, ist offensichtlich, aber ob Lauterbach als Gesundheitsminister das ändern kann, muss er erst noch beweisen. Als linke Opposition werden wir im Gesundheitsausschuss auf eine rationale und wirksame Pandemiebekämpfung drängen.
Gleichzeitig erschien der neueste Armutsbericht des Paritätischen, der bestätigt, was wir alle eigentlich längst fühlen: Die Pandemie war ein weiterer Booster für die Armut: Einer von sechs Menschen in unserem Land lebt inzwischen in Armut. Dem Thema Armutsbekämpfung widmete Olaf Scholz nicht mal eine Minute seiner eineinhalbstündigen Lesung. Das zeigt, wo die Prioritäten der Ampel eben gerade nicht liegen. Es bleibt die Aufgabe der LINKEN im Bundestag, die Stimme derjenigen zu sein, die sonst übersehen, überhört und übergangen werden. Das erfordert aber, dass wir damit aufhören, ständig widersprechende Botschaften in die Öffentlichkeit zu senden. Ob Corona-Krise, Klimawandel oder Gefährdung des Friedens – wir brauchen klare Antworten auf die Fragen der Zeit. Gerade in existenziellen Krisen mögen die Menschen keine Doppeldeutigkeiten. Gleichzeitig sollten wir uns davor hüten, in die Populismusfalle zu tappen und unsere Botschaften nur noch danach auszusuchen, wovon wir glauben, dass es „das Volk“ hören will. Gerade in der Corona-Krise geht es an vielen Stellen auch um ethische Fragen: der Mangel an Pflegekräften, Engpässe beim Impfen und die Angst der Regierung vor Querdenkern und Wirtschaftsverbänden können uns in eine Situation bringen, in der die Krankenhäuser überlaufen und Menschen allein zuhause sterben werden – ohne ärztliche und pflegerische Betreuung. Wer soll in einer solchen Situation das letzte Intensivbett bekommen? Der junge Familienvater, der sich entschieden hat, auf eine Impfung zu verzichten, oder die ältere, an Diabetes erkrankte Rentnerin, die vergeblich alles versucht hat, um sich zu schützen? Und können wir einen Menschen, bei dem noch nicht alle Hoffnung verloren ist, wochenlang an eine Beatmungsmaschine anschließen, wenn auf dem Flur jemand stirbt, dem diese Maschine mit hoher Wahrscheinlichkeit in wenigen Tagen das Leben gerettet hätte? Wer hätte gedacht, dass eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt durch eine simple Virusinfektion derart aus der Bahn geworfen werden kann?
Aber teuer allein ist eben nicht immer stabil. Die Profitorientierung im Gesundheitswesen hat ja nicht nur dazu geführt, dass Renditeerwartungen über Patientenbedürfnisse gestellt werden, sondern auch das Misstrauen in das System als Ganzes geschürt. So hören wir häufig von Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, dass sie weder der Wissenschaft noch der Politik noch ihren Ärzt*innen und natürlich schon gar nicht der Pharmaindustrie vertrauen. Letzteres ist natürlich nachvollziehbar, denn die Skandale etwa um neuartige Blutverdünner, die nicht nur viel teurer waren als die alten sondern sich am Ende auch als lebensgefährlich für die Patient*innen erwiesen, sind ebenso wenig vergessen wie die unverschämt hohen Preise, die die US-Firma Gilead für ihr Medikament „Sovaldi“ verlangte, das erstmals Hepatitis C heilen konnte. Manipulierte Studien, gekaufte Expertisen und korrupte Werbepraktiken sind ja keine Erfindungen der selbst ernannten Querdenker, all das hat es ja wirklich gegeben und gibt es weiter. Und wahrscheinlich hat kaum etwas das Vertrauen so sehr beschädigt wie der Umgang mit der angeblichen Schweinegrippen-Pandemie 2009/2010, als die Bevölkerung in irre Panik versetzt wurde wegen eines Virus‘, der sich hinterher als weitgehend harmlos erwies und Milliarden Steuergelder verschwendet wurden, zum Beispiel für den Ankauf eines Medikaments, das sich hinterher als weitgehend unwirksam erwies.
Das neue Coronavirus SARS-CoV2 hingegen ist alles andere als harmlos und mit der Omikron-Variante, die in Kürze auch in Europa vorherrschen wird, kommt eine neue Welle von Infektionen und Erkrankungen auf uns zu, die vermutlich nicht beherrschbar sein wird. Dabei wissen wir doch jetzt, was zu tun ist: Impfen, Boostern und Kontaktbeschränkungen, nicht nur für Ungeimpfte, sind wirksame Mittel, um die nächste Welle niedrig zu halten. Wir sollten uns darauf vorbereiten – und zwar jetzt. Die neue Bundesregierung könnte zumindest eine Chance auf eine vorausschauende Pandemiepolitik sein, die nicht erst wartet, bis die Zahl der Toten die Kapazitäten der Krematorien sprengt.
Als Obfrau der Linksfraktion im Gesundheitsausschuss werde ich darauf drängen, dass gehandelt wird. Wenn es sein muss, auch in der Weihnachtszeit. Die Pandemiebekämpfung darf nicht immer wieder hinter wirtschaftlichen Interessen zurückgestellt werden.
Euch wünsche ich eine geruhsame und schöne Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Solidarische Grüße
Eure Kathrin
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