Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Sitzungswoche, die auch meine letzte war, muss ich erstmal verarbeiten. Am Mittwoch hat die CDU/CSU einen Entschließungsantrag mit den Stimmen der AfD beschließen lassen. Am Freitag konnte knapp verhindert werden, dass sie zusammen mit FDP, BSW und AfD einen in weiten Teilen rechtswidrigen und auf jeden Fall unmenschlichen Gesetzentwurf durchbringt. Dazu muss man wissen, dass die Union nach dem Ampel-Aus mit SPD, Grünen und FDP verabredet hatte, dass keine Anträge und Gesetzentwürfe zur Abstimmung gebracht werden, bei denen man nicht vorher weiß, dass man sie ohne Stimmen der AfD durchbekommt. Deswegen wurden auch Anträge der Linken in den Ausschüssen blockiert und konnten nicht im Plenum abgestimmt werden, zum Beispiel unsere Anträge für eine bessere Gesundheitsversorgung, für einen Mietendeckel oder für ein kostenloses, vollwertiges Mittagessen in Kitas und Schulen.
Friedrich Merz hat sich also entschieden, die Migrationsfrage zum Hauptwahlkampfthema zu machen und dabei auch die Brandmauer zur AfD abzureißen. Dass er nicht nur den demokratischen Konsens damit beschädigt, sondern auch seine eigene Partei einer Zerreißprobe aussetzt, scheint ihm scheißegal zu sein.
Der Lautsprecher des Kapitals, die INSM, hat auch schon verlauten lassen, man solle doch nach der Wahl über eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung nachdenken, die sich von der AfD tolerieren lässt. Und tatsächlich wird es nach diesem Tabubruch schwerer, eine Koalition zusammenzubringen, die sich den wirklichen Herausforderungen zuwendet.
Ich höre derzeit nichts von den großen Parteien dazu, wie wir uns auf den trumpschen Handelskrieg vorbereiten können. Nichts hört man mehr zum Thema Umverteilung, zur Wohnungskrise und zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Renten und Gesundheitsversorgung. Alle sind im Flüchtlingsabwehrmodus.
Unser Land steht am Scheideweg. Viel zu lange lassen wir uns von Rechtsaußen die Agenda diktieren. Schon die Ampel hat viele Einschränkungen und Schikanen gegen Geflüchtete beschlossen, etwa mit der GEAS-Reform, der Bezahlkarte und den zeitweiligen Grenzkontrollen.
Dauerhafte Grenzkontrollen machen unser Land im Herzen Europas nicht sicherer, sondern ärmer. Unsere Wirtschaft ist auf offene Grenzen angewiesen, Staus an den Grenzübergängen, verspätete Züge wegen Kontrollen, all das wird die Wirtschaft und Berufsperndler:innen behindern.
Ein Ende des Familiennachzugs wird hier lebende Geflüchtete psychisch destabilisieren und das Risiko für Gewalttaten erhöhen. Die Drohung mit unbegrenzter Abschiebehaft wird dazu führen, dass ausreisepflichtige Personen in der Illegalität untertauchen und ihren Lebensunterhalt entweder mit Schwarzarbeit oder durch Kriminalität sichern müssen.
Die Ampel hat die Förderung für die psychosozialen Beratungsstellen für Flüchtlinge und Folteropfer halbiert. Sie hat im Gesundheitsversorgungsgesetz keine Regelung getroffen, wie die Weiterbildung von Psychotherapeut:innen nach ihrem Studium finanziert werden soll. Dadurch verlieren wir mindestens einen ganzen Studienjahrgang Psychotherapeut:innen in der Versorgung. Sie sucht die Kooperation mit den Taliban, um nach Afghanistan abzuschieben, während die Ortskräfte von Bundeswehr und Hilfsdiensten schon vier Jahre dort in Lebensgefahr festsitzen.
Die CDU/CSU weiß das alles. Aber sie stellt sich hin und sagt: „Wer nicht noch mehr Abschottung und Abschiebung will, muss das den Familien der Opfer von Aschaffenburg und Magdeburg erklären.“ Zynisch, dass die Familie des Mädchens, das in Aschaffenburg ermordet wurde, vielleicht auch zu denen gehört, denen der Familiennachzug verweigert werden wird. Und dass der Täter in Magdeburg ein islamfeindlicher AfD-Anhänger war – wen juckt es?
Wem nutzt dieses ganze Theater, dieser AfD-Ähnlichkeits-Wettbewerb? Vermutlich dem rassistischen Original und nicht den opportunistischen Kopien.
Umso ermutigender, wie viele Menschen unmittelbar nach dem Tabubruch auf den Straßen waren. Hunderttausende waren es, auch wenn die Medien nur von „zehntausenden“ sprechen. Ich warte noch auf den ARD Brennpunkt und eine Lanz-Show zum Thema, bei der mal die Organisator:innen dieser Demos und die Omas gegen Rechts mit jemand von der VVN über Strategien gegen den Rechtsruck diskutieren.
Und ja, auch Die Linke ist spürbar im Aufwind. In den sozialen Medien, in vollen Sälen und auf vollen Plätzen, mit 11.000 Neumitgliedern allein im Januar und mit steigendem Trend in den Umfragen. So kann es weitergehen bis zum 23. Februar und danach. Es gibt keinem Grund zu resignieren, aber viele Gründe sich zu engagieren.
Mit solidarischen Grüßen
Eure Kathrin
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