Liebe Leserin, lieber Leser,
bei der Bundestagswahl hat DIE LINKE eine heftige Klatsche bekommen. Wir haben unsere Stimmenzahl gegenüber der letzten Wahl fast halbiert und eineinhalb Millionen Wähler:innen verloren: überwiegend an die SPD, die Grünen und an die Nichtwählenden. Nur durch drei Direktmandate in Berlin und Leipzig sind wir wieder als Fraktion im Bundestag vertreten, mit nur noch 39 statt 69 Abgeordneten. Dass ich eine davon sein darf, macht mich nicht weniger traurig, denn wir verlieren wichtige, aktive Streiter:innen für Frieden, soziale Gerechtigkeit und wirksame Klimapolitik - und ich hebe hier niemanden besonders hervor, weil ich niemanden zurücksetzen möchte. Gerade in so schwierigen Zeiten ist es mir besonders wichtig, jeder und jedem Einzelnen, der/die uns ihre Stimme gegeben hat, und allen, die für DIE LINKE geworben und Wahlkampf gemacht haben, ganz herzlich zu danken.
Die Gesamtlage war für uns schwierig, weil wir zwischen den Blöcken von SPD/Grünen und Union/FDP zerrieben wurden und "unsere" Themen im medialen Wahlkampf nicht bestimmend waren. Da, wo sie es waren, wurden sie gegen uns gewendet, etwa unsere Haltung zur NATO und ihren Angriffskriegen. Wie es unseren politischen Gegner:innen gelungen ist, DIE LINKE als vaterlands- und verantwortungslose Gesellen darzustellen, das war schon beeindruckend. Das Framing lautete: DIE LINKE will aus der NATO austreten (was so nicht stimmt), deswegen kann sie nicht mitregieren. Und es wurde behauptet: DIE LINKE hat die Rettung der Ortskräfte aus dem von Taliban eroberten Afghanistan abgelehnt (was eine freche Lüge ist), weil ihr das Schicksal der Menschen egal ist. Richtig ist: Die NATO hat einen zwanzig Jahre währenden Krieg in Afghanistan verloren und die Politiker:innen, die ihn begonnen und immer wieder verlängert haben, suchen nun nach einer Erzählung, die ihre eigene Verantwortung im Nebel von Legenden verschwimmen lässt. Am Ende hat die Bundesregierung die Ortskräfte verraten und verkauft, in der Hoffnung, dass das Desaster erst nach der Wahl offenbar werden würde. Der Afghanistankrieg war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber nach und nach geriet dieser Krieg aus dem Fokus der Öffentlichkeit und war kein Streitthema mehr. Uns ist es zuletzt 2010 gelungen, seine Wirklichkeit in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu holen, als wir im Plenum Schilder mit den Namen der Opfer des Kundus-Massakers hochhielten und dafür des Saales verwiesen wurden.
Aber auch wir haben Fehler gemacht, nicht nur im Wahlkampf, sondern in den Jahren davor. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die schon vor der Stimmenauszählung ihre Wahlanalyse fertig haben und diese vor allem für innerparteiliche Auseinandersetzungen nutzen. Aber ich muss schon selbstkritisch sagen, dass wir mit unseren friedenspolitischen Positionen in den letzten Jahren immer weniger durchgedrungen sind. Die scheibchenweise Gewöhnung der Menschen an die Realität einer Bundeswehr, die immer mehr zum Instrument einer kaum verhohlenen Großmachtpolitik gemacht wurde, konnten wir nur noch selten durchbrechen. Selbst die Entsendung einer Fregatte ins südchinesische Meer erregt keinen Widerspruch mehr aus der Bevölkerung. Und auch große Kampagnen wie gegen Rüstungsexporte und für das Atomwaffenverbot erreichten nur einen kleinen Teil der Menschen.
Auch deswegen hat die Legendenbildung im Wahlkampf so gut funktioniert. Dazu beigetragen hat auch, dass wir selbst nicht immer klar erkennbare Positionen vertreten haben, etwa bei der besagten Abstimmung. Es war ein schwerer Fehler, dass sich Abgeordnete bei dieser Abstimmung ganz unterschiedlich verhalten haben, denn so konnte in der Öffentlichkeit ein Keil zwischen uns getrieben werden. Auch an anderen Stellen sind wir in der Außenpolitik in den letzten Jahren nicht immer als die konsequente Friedenspartei wahrgenommen worden, die wir sein wollen. Unterschiedliche Standards bei Menschenrechtsverletzungen, wie wir sie bei der Regierung zu recht kritisierten, gibt es manchmal auch bei uns. Das wäre nicht nötig. Man kann doch viel besser für Entspannung und Verständigung mit Russland werben, wenn man zugleich die offensichtlichen Fehlentwicklungen in der russischen Innen- und Außenpolitik kritisiert. Entspannung macht man halt nicht mit seinen Freunden. Und die Kritik am US-Imperialismus wird nicht schwächer, wenn man auch die chinesischen Expansionsbestrebungen kritisch bewertet. Ich glaube, wenn wir aus der Freund-Feind-Logik herauskommen wollen, müssen wir auch selbst bereit sein, diesen Schritt zu gehen.
In der Corona-Krise waren wir als soziale Opposition kaum wahrnehmbar, weil wir versucht haben, unvereinbare Positionen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen: Zero Covid oder Querdenken? Ein kräftiges "Vielleicht" zum Impfen? Und dazwischen noch ein Abgeordneter, der die ernste Frage der Impfstoffzulassung zum Anlass für einen Politklamauk auf dem Roten Platz nimmt? Mit derartiger Unschärfe und Unernsthaftigkeit verschreckt man an beiden Polen die Menschen. Die einen hielten uns nun für "Schwurbler" und die anderen für einen Teil der "Corona-Diktatur" und beide hielten uns offenbar für unwählbar. Dass wir ganz nebenbei diejenigen waren, die immer die sozialen Fragen im Zusammenhang mit der Pandemiepolitik angesprochen haben, ist dabei völlig unter den Tisch gefallen: Corona-Zuschlag für Arme, Luftfilter für die Schulen, bessere Bezahlung für Pflegekräfte, Infektionsschutz am Arbeitsplatz und die Aufhebung der Patente für Impfstoffe - wer erinnert sich noch, dass es DIE LINKE war, die diese Themen aufgebracht hat? Fast ganz untergegangen ist dann auch im Wahlkampf das Thema Gesundheitsversorgung und Pflege, weil sich die anderen Parteien lieber mit uns über die NATO streiten wollten. Das nächste Mal sollten wir ihnen das nicht durchgehen lassen.
Die Frage der scheinbar unvereinbaren Positionen hat uns auch an anderen Stellen erwischt. Seit 2015 streitet Sahra Wagenknecht mit der Mehrheit unserer Partei öffentlich über unsere Asyl- und Migrationspolitik, die sie für zu liberal hält. Mit ihrem Buch, das im April 2021 erschien, ist noch eine auch im Ton unnötig scharfe Kritik an ökologischen und (queer-)feministischen Forderungen, an Gewerkschaften und anderen Bündnispartnern dazu gekommen. Dieses Buch hat natürlich Widerspruch herausgefordert. Wer lässt sich schon gern als "Lifestyle-Linke " beschreiben oder gar als "skurrile Minderheit" mit ständiger Suche nach immer neuen Opfermerkmalen? Jedenfalls erfüllte die Provokation ihren Zweck und brachte genug Parteimitglieder, Verbündete und Wähler:innen soweit auf die Palme, dass sich das Buch hervorragend verkaufte und der Autorin breite Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verschaffte. Die solcherart Abqualifizierten aber fanden nun viele Gründe, warum sie DIE LINKE deswegen nicht mehr wählen und schon gar nicht für sie werben konnten. Und ein von Anfang an aussichtsloser Ausschlussantrag verschreckte auf der anderen Seite diejenigen, die sonst vielleicht "wegen Sahra" DIE LINKE gewählt hätten. Alle anderen nahmen vor allem wahr: Der Laden ist gespalten und hat weder eine vernünftige Streitkultur noch eine gemeinsame inhaltliche Grundlage. Das waren keine guten Voraussetzungen, um im scharfen Gegenwind eines Lagerwahlkampfs Zulauf an der Wahlurne zu erhalten.
Und damit sind wir auch schon bei einem der Hauptprobleme unserer Bundestagsfraktion: Seit Jahren können sich diejenigen, die am meisten Krawall machen und am wenigsten konstruktive, sachorientierte Arbeit leisten, über die meiste Aufmerksamkeit, die meisten Ressourcen und die meisten Medienauftritte freuen. Wir hatten viele Jahre hindurch einen Schatz an hart und zuverlässig arbeitenden Abgeordneten, deren Kompetenzen aber nach innen nicht wertgeschätzt und für die Außendarstellung zu wenig genutzt wurden.
Wer meinte, kritische Fragen innerhalb der Partei oder Fraktion ansprechen und ausdiskutieren zu wollen, hatte schon verloren: Was nicht öffentlich gemacht wird, ist so gut wie nicht gesagt. Überhaupt kommt es mehr darauf an, wer etwas sagt, als darauf, was gesagt wird, weil viel zu viel machtpolitisch und taktisch und viel zu wenig politisch und strategisch gedacht wird. Und weil auf diese Art Konflikte nicht geklärt, sondern im Gegenteil in eine Dauerschleife gelegt werden, nimmt für unsere Wähler:innen das Gefühl der Unschärfe und der Unsicherheit nur immer weiter zu. In einer Zeit, in der viele Menschen extrem verunsichert sind, weil sich verschiedene Krisen überlagern und das eigene Leben immer weniger planbar und sicher erscheint, wenden sich die Menschen dann eher derjenigen Option zu, die den Wunsch nach Veränderung mit einem vagen Stabilitätsversprechen koppelt - in diesem Fall der SPD und den Grünen. Olaf Scholz ist die Verkörperung dessen: ein altbekanntes Gesicht mit einem moderat sozialen Programm, von dem man keine großen Überraschungen erwartet. Seine ganzen Skandale - von der Warburg-Bank bis zum tödlichen Brechmitteleinsatz - sind scheinbar völlig vergessen.
SPD und Grüne haben auf jeden Fall eine Menge richtig gemacht: beide Programme enthalten eine Menge sozialer Versprechungen (die sie mit der FDP jedenfalls nicht realisieren werden). Und bei beiden haben sich alle prominenten Parteimitglieder hinter die beschlossenen Programme und Personen gestellt und auf Extravaganzen verzichtet. Als Freigeist mag man diese Parteidisziplin leicht schräg finden, aber sie wirkt. Ich habe mich in den letzten Jahren auch nicht immer so verhalten, aber vor allem habe ich nicht genug gegen das Auseinanderfallen, die ständigen Provokationen, Erpressungen und Respektlosigkeiten unternommen, weil ich irgendwann müde war, ständig um Selbstverständlichkeiten zu kämpfen. Das werde ich mir in den nächsten vier Jahren nicht mehr durchgehen lassen. Wir müssen eine neue Kultur nach innen und nach außen entwickeln, sonst sehe ich schwarz für die Zukunft: konstruktiv und sachorientiert streiten, Streitfragen abschließend klären und dann das Beschlossene auch gemeinsam nach außen vertreten, gegen alle Widerstände und Anfeindungen. Und vielleicht nicht über jedes Stöckchen springen, das uns unsere politischen Gegner:innen hinhalten. Nur so wird es gehen.
Gleichzeitig will ich versuchen, die Sichtbarkeit der Linken unter den Bedingungen einer verkleinerten Fraktion zu verbessern. Um das zu erreichen, bewerbe ich mich wieder um einen Platz im Gesundheitsausschuss. Keine:r unserer Gesundheitspolitiker:innen hat es leider zurück in den Bundestag geschafft. Und wir haben keine Zeit, um in einem so wichtigen Bereich ganz bei null anzufangen. Also gehe ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge dahin, wo ich vor vier Jahren war, um für bessere Bedingungen in der Pflege, eine solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens und das Menschenrecht auf Gesundheit zu streiten. Immer getreu dem Motto: Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.
Natürlich bleibe ich auch der Friedensbewegung verbunden - aber eben nur noch ehrenamtlich.
Ich hoffe, ihr unterstützt und begleitet mich dabei weiter.
Liebe Grüße
Eure Kathrin
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