Liebe Leserin, lieber Leser,
ist das denn wirklich so schwer? Eigentlich nicht. Was ich meine? Eine konsistente Position zum Krieg im Nahen Osten einzunehmen, die weder das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 beim Nova-Festival oder die Raketen der Hisbollah auf israelische Städte relativiert noch die völker- und menschenrechtswidrige Kriegsführung der israelischen Armee und die Siedlergewalt gegen palästinensische Bewohner:innen der Westbank rechtfertigt.
Meine sehr explizite Meinung dazu: die deutsche Linke (nicht nur die gleichnamige Partei) rettet kein einziges Menschenleben, solange sie sich um die korrekten Begrifflichkeiten für diese Katastrophe streitet, anstatt das heuchlerische Agieren der Bundesregierung in den Blick zu nehmen. Die ständig wiederholte „Staatsraison“ vom Existenzrecht Israels rechtfertigt es nicht, Waffen in einen Krieg zu liefern, in dem grundlegende Standards des humanitären Kriegsvölkerrechts und des allgemeinen Völkerrechts von einer rassistischen und in Teilen rechtsextremen Regierung mit Füßen getreten werden. Ist nicht gerade diese Regierung eine Gefahr für die Existenz Israels als sicherem Land für jüdische Menschen?
Die Außenministerin kann sich ihre Krokodilstränen angesichts verstümmelter palästinensischer Kinder sparen, wenn die medizinische Behandlung dieser Kinder und ihre Versorgung mit Prothesen daran scheitert, dass Deutschland nicht bereit ist, sie mit einer erwachsenen Begleitperson einreisen zu lassen.
Wo war eigentlich der Protest des Verteidigungsministers gegen die Angriffe des israelischen Militärs auf UNIFIL-Einheiten im Libanon? Immerhin ist auch die Bundeswehr Teil dieses UN-Einsatzes.
Was jetzt richtig wäre, wäre die Anerkennung des Staates Palästina in den Grenzen von 1967 und eine deutliche Ansage an die Regierung Netanjahu, dass die Bundesregierung keine systematischen Völker- und Menschenrechtsverletzungen duldet. Doch da duckt sich die Regierung Scholz weg.
Menschenrechte sind universell und unteilbar. Palästinenser:innen sind keine Menschen zweiter Klasse. Sie sind auch nicht automatisch Terrorverdächtige und Antisemit:innen. Weder darf man Palästinenser:innen unter Generalverdacht stellen, noch Jüdinnen und Juden pauschal für das Unrecht verantwortlich machen, das die israelische Armee und die militante Siedlerbewegung begehen.
Wir haben eine besondere Verantwortung dafür, dass jüdische Menschen in Deutschland sicher sind. Viele meiner Generation haben noch die Bilder von der Geiselnahme bei den olympischen Spielen 1972 in München vor Augen. Daher sollten wir wissen: Es gibt auch einen Antisemitismus, der im Gewand eines vermeintlich linken Antiimperialismus daherkommt. Diesem Antisemitismus zu jeder Zeit entgegenzutreten, das ist doch eine Selbstverständlichkeit für Antifaschist:innen.
Das antisemitische Attentat vor fünf Jahren in Halle wurde jedoch nicht von einem Ausländer begangen. Wer Antisemitismus nur als Importware wahrnimmt, nutzt dies, um vom Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft abzulenken. Wenn Antisemitismus kein deutsches, sondern ein ausländisches Problem wäre, dann könnte man auch die gesamte Erinnerungskultur schleifen, wie das Björn Höcke mit seiner „erinnerungspolitischen Wende“ fordert. Dann wäre es auch kein Problem, wenn ein stellvertretender bayerischer Ministerpräsident als Gymnasiast antisemitische Hetzschriften in seinem Ranzen herumtrug. Dann bräuchte es auch keine Stolpersteine mehr, sondern nur noch eine radikale Abschiebepolitik. Und darin überbieten sich ja gerade alle Parteien außer der Linken nur noch gegenseitig.
Ich bin froh, dass Die Linke bei ihrem Parteitag einen sehr großen Schritt zu einer konsistenten, konsequent menschenrechtlichen Position gemacht hat. Dass unmittelbar nach diesem Parteitag fünf Berliner Abgeordnete und eine aus Sachsen-Anhalt ausgetreten sind, lässt mich leicht ratlos und auch traurig zurück.
Sicher haben sie ehrenhaftere Gründe als diejenigen, die zum BSW gegangen sind. Aber insgesamt erscheint es mir als ein großes Problem, dass wir mit inneren Widersprüchen nicht konstruktiver umgehen können. Ich habe auf dem Parteitag gesagt, dass wir mehr Empathie untereinander brauchen. Dazu gehört auch, sich bei Meinungen, die der eigenen diametral entgegenstehen, nicht empört wegzudrehen, sondern davon auszugehen, dass mein Gegenüber vielleicht Gründe dafür hat, die Dinge so anders zu sehen wie ich. Für mich ist es schwer auszuhalten, wenn Menschen das Töten, Aushungern, Kidnappen oder Verstümmeln von Menschen entweder als „Terrorbekämpfung“ oder als „Befreiungskampf“ rechtfertigen. Ich kann aber nicht alle, die solche Positionen vertreten, vom Dialog ausschließen. Sonst gebe ich das Ziel auf, gemeinsam politisch handlungsfähig zu werden und der Brutalität des Krieges wenigstens eine klein wenig Hoffnung auf Frieden entgegenzusetzen. Ich denke zurzeit sehr oft an die Menschen, die sich in der Organisation „Parents‘ Circle – Families Forum“ zusammengeschlossen haben. Sie alle haben Familienangehörige durch den Konflikt verloren. Sie trauern gemeinsam – Israelis und Palästinenser:innen - um ihre Toten und treten gemeinsam für ein Ende der Gewalt ein. Sie organisieren Dialoggruppen für Jugendliche und machen die Stimmen der Hinterbliebenen hörbar. Ihr hauptsächliches Ziel ist: keine weiteren Mitglieder aufnehmen müssen. Sie schreiben: „Das ist der Auftrag an uns alle, unermüdlich für eine Zukunft zu handeln, in der die Menschen, die in unserer Region leben, ohne Furcht leben können, ihre Kinder in Sicherheit aufziehen, eine Zukunft, in der die Samenkörner der Hoffnung Früchte tragen werden.“
Diese Menschen sind es, mit denen ich mich in Schmerz und Hoffnung verbunden fühle. Wenn sie es aushalten, das Leid der Gegenseite zu teilen, dann sollten wir doch als nicht unmittelbar Betroffene ebenso mit beiden Seiten mitfühlen können. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann werden wir auch keinen Beitrag zur Konfliktbearbeitung leisten können.
Mit shalom und sa’alam
Eure Kathrin
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