Liebe Leserin, lieber Leser,
Was soll ich sagen: In Russland werden Hunderttausende zu den Waffen gerufen, in Europa sorgen sich Hunderte Millionen darum, ob sie ihre Gas- und Stromrechnung noch bezahlen können und in Italien regiert 100 Jahre nach der Machtergreifung Mussolinis wieder eine faschistische Partei, unterstützt von Rechtsextremen und Rechtskonservativen. Geschichte wiederholt sich nicht, aber es fühlt sich gerade verdammt danach an, als ob ein fantasieloser Drehbuchautor ein übles Drehbuch sehr schlecht abgeschrieben hat.
Und dann ist noch eine Bundestagsabgeordnete der CDU (Jana Schimke), die die entsetzten Reaktionen auf das italienische Wahlergebnis auf Twitter so kommentiert: „Früher hat man dem politischen Mitbewerber zur Wahl gratuliert und dann die Zeit der Zusammenarbeit abgewartet. Und man man wusste eine Niederlage zu akzeptieren.“
Der Firnis der Demokratie ist erschreckend dünn geworden und kein Tabu scheint mehr zu gelten. Für mich bleibt ganz klar: Faschist*innen sind keine „Mitbewerber“, sondern potenziell tödliche Gegner*innen. Demokrat*innen gratulieren ihnen nicht, sie schütteln nicht ihre Hände und sie kooperieren nicht mit ihnen. Das letzte Mal, als Konservative glaubten, den Faschismus durch Zusammenarbeit einhegen zu können, endete dieser Versuch in den Gestapo-Gefängnissen, im Exil, im Holocaust und im Weltkrieg. Es erschreckt mich, dass bürgerliche Politiker*innen ihre eigene Geschichte so wenig aufgearbeitet haben. Das gilt nicht für alle, aber die Stimmen der Verharmlosung und Normalisierung werden lauter, der Widerspruch bleibt allzu oft aus. Es ist kein Wunder, dass Jana Schimke aus Sachsen kommt, wo die CDU in der Landesregierung allzu oft mit der AfD um den rechteren Kurs zu wetteifern scheint.
Dabei haben wir inzwischen klare Evidenz für eine Sache: Den Rechten nach dem Mund zu reden, schwächt sie nicht, es stärkt sie. Deswegen bin ich so entsetzt, wenn die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser Rassismus bei der Polizei leugnet, selbst wenn er ihr in einem Einsatzvideo gezeigt wird. Sinngemäß: Ja, diese Jungs haben manchmal wirklich harte Einsätze da draußen. Und da reagieren sie halt auch mit harten Sprüchen. Nein, Nancy: Einen Mann vor seinen weinenden Kindern zu fesseln und zu beleidigen, ihn penetrant zu duzen und ihn zum „Gast“ zu erklären, der keine Rechte in „unserem Land“ hat, das ist rassistische Polizeigewalt. Das zu rechtfertigen als Ministerin, ist keine Loyalität mit den hart arbeitenden Polizeibeamt*innen, sondern krachende Ignoranz und Schönfärberei.
Diese Ignoranz und Schönfärberei muss aufhören. Die Leute merken das doch. Genauso wie sie merken, dass Politiker*innen mit fünfstelligen Monatseinkommen nie sich selbst meinen, wenn sie sagen „WIR müssen jetzt alle sparen“ oder „es kommen harte Zeiten auf UNS zu“. Es ist ja in Ordnung, wenn die Verbraucherzentrale oder die Stiftung Warentest Tipps zum Energiesparen verbreiten. Aber wenn ein grüner Ministerpräsident allen Ernstes Videospots produzieren lässt, in denen er höchst persönlich die Benutzung von Heizkörperventilen demonstriert - bin ich die Einzige, die das cringe* findet?
Politiker*innen sollten sich nicht als Sparberater betätigen, sondern dafür sorgen, dass Essen, Strom, Heizung und Mobilität für alle Menschen bezahlbar sind. Niemand sollte in einem der reichsten Länder der Welt im Winter frieren und hungern müssen. Das ist der Punkt, um den es aktuell geht, denn Verelendung und Abstiegsängste spielten schon immer den Rechten in die Hände.
Deswegen ist es gut, dass viele Forderungen der LINKEN inzwischen von Politiker*innen der Ampel-Koalition aufgegriffen werden. Nachdem sich Robert Habeck noch letzte Woche im Bundestag über die Forderung der Opposition nach dem Stopp der Gasumlage aufregte, mehren sich die Stimmen, dass die Verstaatlichung von Uniper die unsoziale Gasumlage unnötig macht. Und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) meint ganz richtig: „Bei Wasser, Strom oder Gas muss man sich fragen, ob die Versorgung nicht in staatliche Hand gehört.“ Richtig! Doch zunächst brauchen wir sehr schnell eine Preiskontrolle und eine Übergewinnsteuer beim Gas. Denn die Gewinne der Konzerne steigen, während die Menschen vor Angst nicht schlafen können. Strom- und Gassperren müssen, wenn schon nicht dauerhaft, dann zumindest in diesem Winter verboten werden. Und denjenigen, die es brauchen, muss mit einem Inflationsgeld geholfen werden, dass sie über den Winter kommen. Mit Karl-Josef Laumann (CDU) bin ich einer Meinung, wenn er die Entlastung besser Verdienender durch Steuersenkungen kritisiert, wie sie die FDP in die „Entlastungspakete“ hineingeschrieben hat. Er sagt: Wer selbst zurecht kommt, braucht keine Entlastung, die anderen umso mehr.
Und dass in der letzten Woche auch MdB von SPD und Grünen immer wieder die weitere Aussetzung der Schuldenbremse gefordert haben, zeigt: Opposition von links wirkt. Hoffentlich ist es nicht zu spät, um das Ruder herumzureißen.
Dafür müssen wir weiter Druck machen: im Bundestag, aber auch auf der Straße, etwa mit der Kampagne „genug ist genug“.
Wenn wir das nicht tun, werden die Rechten den Protest kanalisieren. Ihnen geht es aber nicht um bezahlbares Wohnen, Leben und Heizen. Ihnen geht es um Hass und Hetze gegen Minderheiten, gegen Armutsbetroffene, gegen alles, was an unserer brüchigen Demokratie verteidigenswert ist. Das beste Mittel gegen eine starke Rechte ist gesellschaftliche Solidarität mit den Schwachen, Armen und Ausgegrenzten. Nicht nur, aber auch in Euro und Cent. Der US-Milliardär Warren Buffet sagte einmal: „Wir haben Klassenkrieg. Und meine Klasse gewinnt.“ Sie haben schon zu viel gewonnen, jetzt müssen wir das Spiel drehen, denn die Alternative wäre barbarisch. Nur solidarisch halten wir den Film mit dem schlechten Drehbuch an.
Bleibt gesund und widerständig! Eure Kathrin
* = extrem peinlich
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