Liebe Leserin, lieber Leser,
Si vis pacem - para bellum. Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Dieses alte römische Sprichwort, das Cicero in seiner 7. Philippika benutzte, um den römischen Senat zum Krieg gegen Markus Antonius zu motivieren, wird heute leider wieder als brauchbare Grundlage der Außenpolitik betrachtet. Kritische Stimmen, die nach dem Sinn von Aufrüstung und Waffenlieferungen fragen und stattdessen mehr Anstrengungen auf dem Feld der Diplomatie einfordern, gelten bestenfalls als naiv, im schlimmsten Fall aber als fünfte Kolonne Putins, als Verräter an der gerechten Sache der Ukrainer oder gar des gesamten „Westens“. Man muss die Frage aber umdrehen: Sind nicht eher diejenigen naiv, die glauben, dass die Ukraine ohne direkte militärische Unterstützung durch NATO-Truppen diesen Stellungs- und Abnutzungskrieg am Ende militärisch gewinnen, vielleicht sogar Russland besiegen kann? Ist es nicht fürchterlich naiv, davon auszugehen, dass eine direkte Beteiligung am Krieg um die Ukraine nicht zu einer Ausweitung der Kriegshandlungen führen würde, wo immerhin fast täglich im russischen Fernsehen darüber diskutiert wird, wie lange es brauchen würde, um Berlin einzunehmen? Ist es nicht naiv zu erwarten, dass die EU- und NATO-Staaten willens und in der Lage sein werden, über Jahre hinweg die finanzielle, politische, logistische und waffentechnische Unterstützung der Ukraine auf dem heutigen Niveau durchzuhalten oder gar auszuweiten - möglicherweise unter Gefährdung ihrer eigenen Fähigkeiten und auf Kosten ihrer Steuerzahlenden?
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor über einem Jahr sind schon hunderttausende Menschen getötet oder verkrüppelt worden, 8 Millionen Ukrainer*innen wurden vertrieben, Hunderte ukrainischer Kinder nach Russland entführt. Männliche Ukrainer unter 60 Jahren dürfen das Land nicht mehr verlassen, in Russland wird die Zwangsrekrutierung von Studenten für den Krieg in Erwägung gezogen - was bei der derzeitigen Todesrate unter den Soldaten ein weiteres intellektuelles Ausbluten bedeutete. Hunderttausende, meist besser Ausgebildete, haben Russland bereits verlassen und sitzen ohne sicheren Aufenthalt in Nachbarländern fest. Die versprochene Unterstützung für russische Deserteure und Anti-Kriegs-Aktivist*innen ist die Bundesregierung bisher schuldig geblieben. Humanitäre Visa sind die absolute Ausnahme.
Als Pazifistin finde ich mich in einer Situation, die ein schweres Dilemma mit sich bringt. Egal, was man tut oder unterlässt, man übernimmt damit die Verantwortung für die möglichen Folgen, obwohl man die Folgen nur sehr begrenzt absehen kann. Mich macht besorgt, wie manche Politiker*innen (insbesondere von FDP und Grünen) und manche Journalist*innen das Waffenliefern quasi zum Leistungssport erhoben haben. Im neckischen Leopardentop lässt es sich im warmen und trockenen Abgeordnetenbüro hervorragend feiern, dass jetzt auch Leo-2-Kampfpanzer in die Ukraine rollen sollen. Aber selbst da tun sich Fragen auf. Rheinmetall-Chef Armin Papperger behauptet, die Ukraine brauche noch 600 bis 800 Panzer, um den Krieg zu gewinnen. Er will in dem Land jetzt eine Panzerfabrik aufbauen, die frühestens ab 2025 jährlich bis zu 400 Kampfpanzer vom Typ Panter produzieren könnte. Der strategisch denkende Unternehmensboss geht also davon aus, dass auch in drei Jahren noch hinreichend Bedarf besteht - und auch, dass dann noch genügend Menschen übrig sind, die diese Panzer bedienen können.
Fast zeitgleich mit dem Aufstieg der Düsseldorfer Waffenschmiede in den DAX hat Jürgen Grässlin von der „Aktion Aufschrei - stoppt den Waffenhandel“ Strafanzeigen gegen Verantwortliche des Konzerns gestellt, denen er unerlaubte Waffenlieferungen in die am Jemenkrieg beteiligten Vereinigten Arabischen Emirate vorwirft.
Wie schrieb noch der olle Marx: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren.“ Das gilt heute noch ebenso wie im 19. Jahrhundert.
Ganz gleich, wer den Krieg in der Ukraine gewinnen wird - ein Gewinner steht schon heute fest: die Rüstungsindustrie, die nicht nur einen gigantischen neuen Absatzmarkt bekommt, sondern auch die Chance, neue Produkte wie den Panter unter realistischen Bedingungen zu erproben und zu bewerben. Und auch einige Verlierer sind schon erkennbar: neben all dem Toten, Verletzten und Vertriebenen sind alle Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle, um gemeinsame Sicherheit und eine Stärkung des Völkerrechts und der internationalen Beziehungen auf der Strecke geblieben.
Wenn Solidarität mit dem angegriffenen und bombardierten Volk der Ukraine nur noch denen abgenommen wird, die maximale „Ertüchtigung“ zur Kriegsführung fordern und diejenigen, die mehr Anstrengungen auf diplomatischem Gebiet fordern, als Verräter*innen an der gerechten ukrainischen Sache dargestellt werden, kriegen wir ein gesellschaftliches Problem. Ich muss mich dem Dilemma stellen, dass das, was ich für richtig halte, nämlich Diplomatie statt Waffen, vielleicht Menschenleben rettet um den Preis, dass ein autoritär regiertes und imperialistisch agierendes Russland seinen Machtbereich ausweitet und Menschen in der Ukraine ihre Freiheit verlieren. Ehrlicherweise kann ich nicht so tun, als gäbe es diese Gefahr nicht. Ich würde mir wünschen, dass auch diejenigen, die für mehr Waffenlieferungen argumentieren und behaupten, Verhandlungen mit der russischen Seite wären nicht möglich, zumindest anerkennen, dass sie damit den Krieg verlängern und am Ende vielleicht viele Opfer in Kauf nehmen, die nicht hätten sterben müssen, wenn man eine andere Politik verfolgt hätte.
Was mich ebenfalls verstört, ist die wiederholte Gleichsetzung von Putin und Hitler. Nicht, dass Russlands Innenpolitik nicht Züge einer zunehmend faschistischen Autokratie tragen würde. Aber mein Eindruck ist, dass diese Gleichsetzung nicht nur zur Beförderung der Kriegsbegeisterung hierzulande dienen soll, sondern auch immer Züge der Reinwaschung von der eigenen historischen Schuld trägt. Wenn Putin wie Hitler ist, dann kann Deutschland ja endlich ein „ganz normales“ Land werden, wieder Großmachtansprüche anmelden und gegebenenfalls auch militärisch durchsetzen. Wer Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Vernichtungskrieg der Naziwehrmacht gegen Völker Osteuropas gleichsetzt ist, der relativiert zugleich das Menschheitsverbrechen der Vernichtung der europäischen Juden, Sinti und Roma und anderen Minderheiten. Wir kennen all diese Argumente aus früheren Angriffskriegen. Der irakische Diktator Saddam Hussein, Libyiens Gaddafi, Slobodan Milosevic - alle wurden von der Kriegspropaganda zu neuen Hitlers gemacht, ebenso wie die russische Kriegspropaganda damit operiert, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen. Genau betrachtet ist das jedesmal eine schändliche Verharmlosung des deutschen Faschismus - ganz abgesehen davon, dass gerade Putin nationalistische und rechtsextreme Parteien in ganz Europa hofiert und finanziert.
Wir brauchen eine ernsthafte Debatte darüber, wie dieser Krieg schnellstmöglich beendet werden kann. Vorschläge wie der des brasilianischen Präsidenten Lula zu einer Friedensinitiative nicht europäischer Länder gehören ebenso dazu wie die Frage, warum eigentlich die EU-Sanktionen nicht mit konkreten Zielen wie einem Waffenstillstand oder Truppenrückzug verbunden werden.
Wenn wir uns nicht mit einem langfristigen Kriegsgeschehen und einer ungebremsten Aufrüstungspolitik abfinden wollen, müssen wir der Bundesregierung abtrotzen, konstruktive Vorschläge aufzugreifen und nicht weiter vom Tisch zu wischen.
Die Friedensbewegung hat hier eine wichtige Aufgabe als Gegengewicht zur Kriegsbegeisterung in Politik und Medien, wenn sie es schafft, immer wieder Alternativen zur militärischen Logik zu formulieren und auf die Straße zu bringen. In diesem Sinne sehen wir uns hoffentlich bei den Ostermärschen 2023!
Solidarische Grüße
Eure Kathrin
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