Liebe Leserin, lieber Leser,
was mich die letzten Wochen umtreibt ist, wie unglaublich verkürzt die Diskussion um Frauenrechte in unserem Land inzwischen geworden ist. Sagst du „Feminismus“, denken alle nur noch „Quote“. Ich hab ja eine Rede zu feministischer Außenpolitik gehalten und das Video auf Facebook gepostet. In der ganzen Rede habe ich nicht einmal etwas von Quoten gesagt, aber die Hälfte der Kommentare bezogen sich darauf. Ich habe sogar ausdrücklich gesagt, dass ein paar mehr Frauen in NATO-Stäben keine feministische Außenpolitik sind, solange Deutschland weiter Kriege führt und Kleinwaffen exportiert. Darauf ist niemand eingegangen. Noch schlimmer: Ich habe nie behauptet, dass Frauen, nur weil sie Frauen sind, bessere Außenpolitik machen. Wir alle kennen ja konkrete Gegenbeispiele wie Condoleeza Rice, Hillary Clinton oder Margret Thatcher. Die muss Mann mir ja nun wirklich nicht vorhalten. Aber es gibt tatsächlich Belege, dass etwa Friedensabkommen, an deren Aushandlung Frauen beteiligt waren, durchschnittlich zehn Jahre länger halten, als solche, die allein von Männern (und damit allein von den Kriegsherren) ausgehandelt wurden. Das kann Mann ruhig mal zur Kenntnis nehmen, weil es ja allen nützt.
Oder die Debatte um den Internationalen Frauen(kampf)tag. Da muss ich mir anhören, dass Frauen ja heute schon wunderbar gleichberechtigt sind. Immerhin können sie sogar Kanzlerin oder CDU-Vorsitzende werden. Ja, meine Herren. Und? Mal ganz abgesehen davon, dass Frau Kramp-Karrenbauer offenbar den Eindruck hat, dass sie als Frau ihr Standing in der männerbündisch organisierten Union verbessern muss, indem sie im Karneval dämliche Herrenwitze über intersexuelle Menschen reißt: Was bitte hat davon die alleinerziehende Mutter, die wegen ihrer Kinder und der unzureichenden Betreuungsmöglichkeiten in Armut fällt? Was haben die vielen gut ausgebildeten jungen Frauen davon, denen im Bewerbungsgespräch noch immer vorgehalten wird, sie wollten den Job doch nur, um gleich nach der Probezeit schwanger zu werden und in Elternzeit zu gehen? Und was ist mit den Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen, Kranken- und Altenpflegerinnen (die wenigen Männer in diesen Berufen mögen sich mal bitte mitgemeint fühlen), deren hoch qualifizierte und verantwortungsvolle Arbeit unserer Gesellschaft immer noch weniger wert ist als die ebenfalls qualifizierte und verantwortungsvolle Reparatur meines verstopften Abflusses? Was haben die jungen Väter davon, die eigentlich nach der Geburt ihres ersten Kindes mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen, aber tatsächlich dazu genötigt werden, mehr Überstunden zu kloppen, um das reine Überleben zu sichern?
Zum Equal-Pay-Day bekommen wir dann vorgehalten, dass die Frauen selbst schuld sind, wenn sie weniger Einkommen haben, weil sie ja „freiwillig“ in Teilzeit arbeiten oder lange Erziehungs- und Pflegepausen machen und deswegen einfach weniger qualifiziert sind als gleichaltrige Männer. Gleichzeitig betreiben selbst ernannte „Lebensschützer“ wie dieser Yannick Dingsda, dessen Namen nicht genannt werden darf, eine perfide Hetze gegen Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen und gegen alle, die ihnen dabei zur Seite stehen und dies nicht schamvoll verschweigen. Wir haben es mit einem antifeministischen roll-back zu tun, in dem die Begriffe verdreht werden und die Realität verdrängt wird.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich bin absolut für Frauenquoten, überall da, wo Leitungsfunktionen noch überwiegend in Männerhand sind. Übrigens ist der jetzige Bundestag, im Gegensatz zum vorherigen, ein echter Grund für eine Wahlrechtsänderung, mit der die Parteien verpflichtet werden, Frauen angemessen bei den Kandidaturen zu berücksichtigen: Vor allem dank CSU, FDP und natürlich der Männerpartei AfD ist der Anteil der weiblichen Abgeordneten massiv zurückgegangen und derzeit mit etwa einem Drittel auf dem Niveau des Sudan! Ein so genanntes Parité-Gesetz, wie es jetzt in Brandenburg auch mit den Stimmen der LINKEN beschlossen wurde, kann da Abhilfe schaffen. Dafür gibt es gute Gründe, nicht nur die angemessene Repräsentanz der größeren Hälfte der Bevölkerung. Eine erschreckende Studie hat jetzt die Internationale Parlamentarische Union veröffentlicht: Die Forscher*innen haben Frauen aus 45 europäischen Ländern befragt, die als Abgeordnete oder Mitarbeiterinnen in Parlamenten arbeiten. Jede vierte davon berichtete, dass sie in ihrer Tätigkeit sexueller Gewalt (nicht bloß Belästigung) ausgesetzt gewesen ist. Zwei Drittel dieser Übergriffe gingen von männlichen Abgeordneten aus. Nur jede vierte Abgeordnete und gar nur 6% der betroffenen Mitarbeiterinnen haben diese Vorfälle angezeigt. Wer mir angesichts dieser Zahlen erzählen will, Feminismus sei etwas von gestern, das heute nicht mehr nötig sei, leidet offenbar an einem schweren Fall von Realitätsverzerrung.
Warum ich dieses Thema aufgreife? Ich habe zunehmend den Eindruck, dass die konservative Revolution bereits erhebliche Landgewinne in den Köpfen erzielt hat. Es gibt etwas zu verteidigen: den hart erarbeiteten gesellschaftlichen Konsens, dass Frauen und Männer gleich sind. Dass es nicht gerecht ist, wenn Männer besser bezahlt werden, mehr Vermögen besitzen und mehr Chancen erhalten - obwohl sie real weniger arbeiten. Ich wünsche mir einen erneuerten, kämpferischen linken Feminismus, der die Lage der arbeitenden Frauen in den Mittelpunkt stellt, unabhängig davon, ob es sich um Erwerbsarbeit oder um unbezahlte Arbeit handelt. Natürlich ist es mir nicht egal, ob bürgerliche Frauen dieselben Karrierechancen haben wie bürgerliche Männer. Aber den größten Nachholbedarf in Sachen gleicher Rechte und Chancen haben nicht promovierte Betriebswirtinnen und Konzernmanagerinnen, sondern Arbeiterinnen, die „nebenbei“ ihre Kinder erziehen, den Haushalt schmeißen und ihre Eltern pflegen und deswegen ökonomisch abhängig sind vom Einkommen ihres Partners und später von seinen Rentenansprüchen.
Gleiche Rechte sind erst dann verwirklicht, wenn alles gerecht geteilt wird: Die Arbeit, die Einkommen, die Vermögen. Denn wer mehr arbeiten muss und dabei weniger Einkommen hat, hat es auch schwerer, seine oder ihre Rechte einzufordern.
Darum geht es beim Feminismus. Nicht nur um Quoten.
Ich freue mich auf eure Kommentare!
Eure Kathrin
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