Liebe Leserin, lieber Leser,
„I want you to panic!“ - ich will, dass ihr Panik bekommt. So sagte Greta Thunberg im Januar 2019 in Davos mit Blick auf die Klimakatastrophe. Anstelle der Panik kam die Pandemie und verdrängte die menschengemachte Erderhitzung aus dem Fokus der Politik und der Öffentlichkeit.
Dabei zeigte sich eine Analogie zur Klimakrise: Nirgends war die Politik auf eine Pandemie adäquat vorbereitet, obwohl das Risiko längst bekannt war. Und nun Putins Attacke auf die Ukraine - ein Angriffskrieg, der trotz vieler Hinweise genauso überraschend gekommen sein will wie die Pandemie oder die Naturkatastrophen im Zuge der Klimakrise.
Angesichts der Unfähigkeit der internationalen Institutionen, angemessen und wirksam auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu reagieren, erstaunt vor allem das Ausbleiben von Panik. Seit über acht Wochen tobt dieser Krieg nun mitten in Europa und immer lauter werden die Stimmen im Westen, die Ukraine müsse diesen Krieg gewinnen, koste es, was es wolle, ja, Russland müsse so besiegt werden, dass es für lange Zeit keine Rolle mehr spielen könne. Während es in Deutschland hip geworden ist, das Putin-Regime mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen und damit zu begründen, dass es kein Kriegsende ohne komplette Niederlage Russlands geben dürfte, wird in Moskau immer offener davon gesprochen, auch Atomwaffen einzusetzen - nicht „nur“ taktische in der Ukraine, sondern auch Mittel- und Langstreckensysteme gegen Westeuropa und die USA. Kürzlich wurde im russischen Fernsehen ein Beitrag gezeigt, in dem die Flugzeit einer russischen Atomrakete von Kaliningrad auf Berlin mit 106 Sekunden berechnet wurde.
Wenn man sich die russische Atomwaffenstrategie anschaut, dann ist die Gefahr real: Sollte Putin den Eindruck haben, dass Russland nicht nur den Krieg in der Ukraine verliert, sondern die militärischen und wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen eine existenzielle Gefahr für den russischen Staat bedeuten, könnte das die Linie überschreiten, die ihn noch von einem Einsatz dieser Waffen trennt. Wenn der Krieg in der Ukraine konventionell nicht zu gewinnen ist und auch nicht zu einer politischen Lösung des Konflikts führt, kann es das für uns alle und Hunderte Millionen Menschen auf diesem Planeten gewesen sein. So nah waren wir nicht einmal während des Korea-Kriegs oder der Kuba-Krise 1962 an einem Atomkrieg.
Diese Gefahr ernst zu nehmen, bedeutet nicht, den russischen Angriffskrieg zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen. Auch ich sehe das Risiko, dass sich Putin, wenn er in der Ukraine erfolgreich ist, weitere Ziele vornimmt: Georgien, Moldawien oder das Baltikum wären nicht mehr sicher vor russischen Angriffen. Aber die Strategie, mit einem langen Abnutzungskrieg die russischen Kräfte zu erschöpfen, egal, was das für die ukrainischen Städte und die dortige Zivilbevölkerung bedeutet, ist auch nicht menschenfreundlich, selbst wenn der Krieg nicht ausgeweitet wird und keine Atomwaffen eingesetzt werden.
Sicherheit in Europa kann nur geschaffen werden. Dazu braucht es einen Neustart der internationalen Beziehungen und eine Stärkung von internationalen Organisationen wie der UNO und der OSZE, die in den letzten Jahrzehnten systematisch geschwächt wurden. Ein neues Wettrüsten mit einer Aufrüstungsspirale ist der falsche Weg.
Bundeskanzler Scholz ist kritisiert worden, dass er statt an einer Abstimmung teilzunehmen, bei der die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag schon vorher ganz eindeutig klar waren, auf einer Auslandsreise nach Japan war. Das ist absurd: Diplomatische Bemühungen sind in dieser Zeit absolut notwendig. Doch warum musste es eigentlich Japan sein? Es wäre doch gerade jetzt viel wichtiger, diejenigen Länder zu besuchen, die sich in der UN-Generalversammlung bei der Verurteilung von Putins Angriffskrieg enthalten haben und zu versuchen, sie für einen diplomatischen Versuch der Kriegsbeendigung zu gewinnen. China, Indien, Südafrika und Pakistan haben inzwischen weit bessere Kontakte nach Moskau als die westlichen Staaten. Da sie teilweise selbst ungeklärte Territorialkonflikte und aufbegehrende nationale Minderheiten haben, dürften sie ein eigenes Interesse daran haben, dass das Völkerrecht auch weiterhin militärische „Lösungen“ solcher Konflikte ausschließt, sich also das Modell „Donbass“ nicht als Völkergewohnheitsrecht etabliert. Auch können sie kein Interesse daran haben, dass es vielleicht auf Jahre hinaus zu Ausfällen bei den russischen und ukrainischen Ernten kommt und damit die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel weiter steigen. Deswegen wäre es wichtig, jetzt diplomatische Bemühungen in dieser Richtung zu unternehmen und diese Länder dafür zu gewinnen, sich für die Beendigung des Krieges einzusetzen und dies auch gegenüber Putin deutlich zu machen.
Was noch zu tun wäre: Unser Land endlich sanktionsfähig zu machen. Mit einem zentralen Immobilien- und Vermögensregister, das Eigentumsverhältnisse transparent macht, mit Energieversorgung und Vorratswirtschaft in öffentlicher Hand statt in der Hand von Privatunternehmen unter dem Einfluss ausländischer Geldgeber und natürlich mit einem konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien, verbunden mit einem Investitionspaket für die Energieeinsparung.
Dafür sollte die Bundesregierung nun endlich auch diejenigen zur Kasse bitten, die zuerst von der Pandemie profitiert haben und jetzt vom Krieg profitieren. Es darf nicht sein, dass immer diejenigen am meisten belastet werden, die ohnehin kaum noch Spielraum haben.
Ich bin mir sicher, dass es viele Menschen in diesem Land gibt, die ein Interesse an einer zukunftsfähigen Außen- und Klimapolitik haben. Tun wir uns zusammen!
Mit solidarischen Grüßen
Eure Kathrin
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