Liebe Leserin, lieber Leser,
Nach der dritten verlorenen Landtagswahl muss DIE LINKE Konsequenzen ziehen. Wenn es stimmt, dass die Existenz einer parlamentarischen Kraft links der SPD der entscheidende Erfolg der 15 Jahre unserer Parteigeschichte ist, dann müssen wir uns nun auf den Hosenboden setzen und diesen Erfolg verteidigen. Dass durch die niedrige Wahlbeteiligung und die undemokratische 5%-Hürde nun die Mehrheit der potenziellen Wähler*innen in NRW nicht im Landtag vertreten ist, ist eine Herausforderung an die Demokratie an und für sich. Die Wahlbeteiligung steht in engem Zusammenhang mit dem sozialen Status: arme Menschen wählen viel seltener als wohlhabende, in abgehängten Stadtteilen wie Köln-Chorweiler sind bei dieser Wahl weniger als ein Viertel der Wahlberechtigten zur Urne gegangen. Da wir als LINKE insbesondere diejenigen vertreten wollen, die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden, müssen wir uns ganz besonders fragen, wie wir diesen Trend umkehren können.
An den Themen kann es nicht liegen: gute Bildung für alle, Kampf gegen Kinderarmut, Gesundheit und Pflege ohne Profitstreben, bezahlbare Mieten und ein gut ausgebauter und perspektivisch kostenfreier Bus- und Bahnverkehr – davon würden vor allem diejenigen profitieren, deren Stimmen sonst kaum Gehör finden.
Dass in einer Zeit rasant steigender Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnraum gerade die Partei am wenigsten mobilisieren kann, die gegen diese alltäglichen Zumutungen tragfähige Konzepte hat, verweist darauf, dass wir schwere Fehler gemacht haben, die abgestellt werden müssen, wenn wir wieder erfolgreicher sein wollen. In der Süddeutschen Zeitung wurde neulich eine Studie zitiert, nach der sich 18% der Menschen grundsätzlich vorstellen können, DIE LINKE zu wählen. Das nennt man auch das „Potenzial“. Wie weit wir dieses Potenzial ausschöpfen, entscheidet darüber, ob wir weiter im Tabellenkeller dümpeln oder wieder Tore schießen.
Ich glaube ja, dass wir vor allem einen Fehler gemacht haben: Wir die Bedeutung unseres Projekts selbst nicht hoch genug eingeschätzt und deswegen haben wir uns nicht deutlich genug gegen die Versuche von außen und innen gewehrt, sein Scheitern herbeizureden. Stattdessen haben wir uns engagierter über unsere eigenen Fehler in der Öffentlichkeit gestritten, als die Finger in die Wunden des angeschlagenen kapitalistischen Systems zu legen.
Ohne DIE LINKE gäbe es in diesem Land kaum eine Debatte darüber, dass immer mehr Menschen am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrighaben, während sich eine Minderheit in immer obszönerem Reichtum suhlt. Ohne DIE LINKE würde in einer Situation, in der die Mehrheit der Politiker*innen und fast alle Journalist*innen sich für immer neue Aufrüstungsrunden begeistern, niemand die Frage stellen, wie man aus Eskalationsspiralen eigentlich irgendwann wieder herauskommen kann. Und ohne DIE LINKE wäre die Diskussion über Klimaschutz eine rein technische, denn niemand würde diese Wirtschaftsweise, die auf der Ausbeutung von Menschen und Natur beruht, ganz grundsätzlich infrage stellen.
Ich sage absichtlich nicht: DIE LINKE muss sich wieder mehr den Ausgebeuteten und Entrechteten zuwenden. Solche Sätze sind Teil des Problems, denn sie suggerieren, dass wir uns abgewendet hätten. Und das ist einfach nicht wahr. Was allerdings stimmt ist, dass wir Erneuerungsbedarf haben, zum Beispiel in der Außen- und Friedenspolitik. So sehr es richtig bleibt, dass eine europäische Friedensordnung nicht ohne Russland funktionieren kann, so wahr ist auch, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine es außerordentlich schwer macht, ein gemeinsames Haus Europa überhaupt noch zu denken, geschweige denn es zu gestalten. Als Friedenspartei müssen wir uns genau dieser Frage aber stellen, auch wenn es gerade nicht besonders populär zu sein scheint. Klärungsbedarf haben wir auch in anderen – oft ganz grundsätzlichen – Fragen, etwa dazu, welche Rolle wir dem Staat zumessen, wie wir die Privatisierung öffentlicher Güter aufhalten und wieder rückgängig machen oder in der Frage, was es heißt, eine feministische Partei zu sein.
Dass solche Klärungen auch zu schmerzhaften Ergebnissen führen können, ist wahrscheinlich allen mehr oder weniger bewusst. Aus Angst vor Schmerzen darauf zu verzichten, hat uns aber genau dahin geführt, wo wir jetzt stehen: an einen Ort, an dem den meisten Menschen nicht mehr richtig klar ist, wohin DIE LINKE eigentlich will.
Ich bin überzeugt, dass unser Parteitag im Juni ein wichtiger Schritt auf diesem Weg sein wird, dem weitere folgen müssen. Nicht unseretwegen, sondern wegen der Menschen, die darauf angewiesen sind, eine starke Stimme in den Parlamenten zu haben. Und wegen unserer Enkel und Urenkel, die es nicht verdient haben, im Kapitalismus leben zu müssen.
Solidarische Grüße
Eure Kathrin
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