Liebe Leserin, lieber Leser,
über vier Wochen schon dauert der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine an. Aus einer angeblichen „militärischen Spezialoperation“ wird nach und nach ein Stellungs- und Abnutzungskrieg und auch, wenn wir wissen, dass den Verlautbarungen der Militärführungen und Regierungen diesbezüglich nur bedingt zu trauen ist, können wir davon ausgehen, dass er inzwischen Zehntausende das Leben und Millionen ihre Heimat gekostet hat. In Russland ist inzwischen nicht nur das Wort „Krieg“ verboten, sondern schon das Halten eines unbeschrifteten Stücks Pappe. Obwohl Putin so tut, als könnten ihn weder die ukrainische Armee und die Freiwilligenmilizen aufhalten noch die westlichen Sanktionen, scheint das Regime eine furchtbare Angst vor einer Minderheit der eigenen, unbewaffneten Bevölkerung zu haben.
Diese Zensur- und Unterdrückungspolitik ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie der Krieg um die Köpfe und Herzen der Menschen entscheidend für die Kriegstauglichkeit einer Armee ist. Wenn es nicht gelingt, den Menschen weiszumachen, man kämpfe ja nur für eine berechtigte, eine gute Sache und man sei eigentlich auf der Seite der historischen Wahrheit, dann kann man einen Krieg vielleicht beginnen, aber nicht gewinnen.
Ohne unzulässige Vergleiche anstellen zu wollen: Wenn hohe Militärs und Politiker in Deutschland erklären, mit den neuesten Aufrüstungsplänen ginge es darum, die Bundeswehr „kriegsbereit und siegesfähig“ zu machen, dann läuft mir ein Schauer über den Rücken. Zur Kriegsvorbereitung gehört eben immer diese Erzählung, man rüste nur zur Verteidigung, man bereite sich halt vor und die bösen Absichten seien immer auf der anderen Seite. Ich bin die Letzte, die Wladimir Putin gute Absichten unterstellt, aber die Frage bleibt notwendig, ob sich denn die Regierenden in Deutschland, in der EU und den anderen NATO-Ländern in den letzten Jahrzehnten wirklich als so vertrauenswürdig erwiesen haben, dass man ihnen das Potenzial zur „Siegesfähigkeit“ in die Hand geben könnte?
Nein, diese NATO, die jetzt so tut, als wäre sie ein Verteidigungsbündnis, hat Krieg in Jugoslawien geführt, in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien und an vielen anderen Stellen. Niemand garantiert uns dauerhaft, dass in Deutschland stets rationale und abwägende Politiker*innen regieren und nicht jemand wie Boris Johnson oder Donald Trump an die Macht kommt und dann über ein Arsenal im Großmachtmaßstab und eine „kriegsbereite“ Armee verfügt. Auch wenn es banal klingt, muss es immer wieder gesagt werden: Wir sind nicht die „Guten“. In der Politik, zumal in der Außenpolitik, geht es selten um Moral. Wie hätten wir das besser sehen können als in den letzten Wochen, als etwa Wirtschaftsminister Habeck nach Katar und in die Emirate reiste, um dort um Ersatz für das russische Öl und Gas zu verhandeln: Länder, die am Völkermord im Jemen beteiligt sind und die Bürgerkriegsmilizen in Libyen ausstatten. Oder als der CDU-Politiker Jens Spahn vorschlug, für eine „putinfreie Energieversorgung“ einfach die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, ohne zu erwähnen, dass man dafür neue Brennelemente herstellen müsste – höchstwahrscheinlich aus russischem Uran. Wenn es jetzt demnächst in vielen Häusern kalt und dunkel werden sollte, dann könnte das nicht nur am Krieg, sondern vor allem auch am Kapitalismus liegen: Eine Energieversorgung, die ausschließlich dem freien Markt anheimgegeben wird, ist eben auf Krisenzeiten schlecht vorbereitet. (Wer an dieser Stelle eine Analogie zum Gesundheitswesen in der Pandemie ziehen will, ist herzlich willkommen!) Und wenn man dann sogar seine Vorratslager teilweise von russischen Gaskonzernen kontrollieren lässt, darf man sich über gar nichts mehr wundern.
Ich finde ja, wir müssen endlich wegkommen von einer Politik, die vorhersehbaren Entwicklungen hinterherläuft und hin zu einer vorausschauenden und nachhaltigen politischen Strategie, die sich überall dort, wo es notwendig ist, mit den Profitinteressen der Konzerne anlegt und das Gemeinwohl überwiegend in öffentlicher Hand organisiert. Nur so haben wir auch die Möglichkeit, demokratisch mitzugestalten, wie unsere Versorgungslandschaft aussehen soll: Welche Energieträger wollen wir nutzen, wo und in welchem Takt müssen öffentliche Verkehrsmittel fahren und welche Gesundheitseinrichtungen brauchen wir auch dort, wo sie sich nicht „rechnen“?
Wir erleben derzeit die Neuaufteilung der Welt zwischen wachsenden und schwindenden Imperien. Wenn man in diesen Kategorien denkt und handelt, dann braucht man die militärische Logik des Abschreckens, Drohens und Angreifens. Dann will man zu den Siegern gehören, auch wenn das immer heißt, dass es auch Verlierer geben wird. Ein neues Denken, das Frieden und Verständigung zur Grundlage der menschlichen Entwicklung auf diesem Planeten macht, scheint weiter weg denn je. Es ist aber erforderlich, wenn unsere Enkelkinder leben sollen.
Bleibt zuversichtlich! Mit solidarischen Grüßen
Eure Kathrin
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