Liebe Leserin, lieber Leser,
Während ich diese Worte schreibe, hat sich US-Präsident Donald Trump bereits zum Sieger der aktuellen Wahl erklärt und die These verbreitet, man wolle ihm den Wahlsieg stehlen. Auch wenn ich natürlich weiß, dass die USA eine der ältesten Demokratien der Welt ist, erschüttert es mich doch immer aufs neue, wie unfair, anfällig und dysfunktional das Wahlsystem in diesem Land ist und wie einfach es ist, Millionen Wähler:innen ihre Stimme vorzuenthalten.
Das Wahlmänner-System benachteiligt bevölkerungsreiche Bundesstaaten und sorgt dafür, dass eine Stimme in einem ländlichen, dünn besiedelten Staat bis zu 70 mal mehr wert ist, als in einem dicht besiedelten Staat mit vielen Menschen. Dazu kommen noch die vielfältigen Behinderungen für Wählerinnen und Wähler, die ganz praktische Auswirkungen haben: So muss man sich etwa vor der Wahl registrieren lassen, weil es im ganzen Land kein vernünftiges Meldesystem gibt. Die Zahl der Wahllokale ist so gering, dass sich am Wahltag lange Schlangen bilden. Der Wahltag am Dienstag hält besonders abhängig Beschäftigte vom Wählen ab, ebenso wie diverse bürokratische Hürden. Und das Wahlverbot für Vorbestrafte trifft natürlich ganz überwiegend die schwarze Bevölkerung, die nicht erst seit Donald Trump die volle Belegung der privatisierten Knäste sichert. Die Sendung „Neues aus der Anstalt“ hat am Dienstagabend hervorragend herausgearbeitet, wie sich die Republikaner:innen mit Manipulationen und Schikanen immer wieder Mehrheiten sichern: „Packing“ hat dabei nichts mit Weihnachtsgeschenken zu tun und „cracking“ auch nichts mit Drogengebrauch, wirklich sehenswert!
Aber sei es, wie es ist, auch wenn ihr jetzt diesen Newsletter lest, werdet ihr wahrscheinlich noch nicht genau wissen wie es ausgegangen ist. Vor dem Ergebnis und erst recht vor einer möglichen Amtsübergabe im Januar stehen wohl erst einmal noch etliche Gerichtsurteile.
Wer auch immer die Präsidentschaft gewinnt, die bisherigen Ergebnisse lassen schon einige Fragen zu: Wie kommt es, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung, gerade auch der arbeitenden Menschen, auch nach vier Jahren erneut einen Donald Trump zum Präsidenten haben wollen, der sich bisher, insbesondere auch in der Pandemie, als egomanisch und verantwortungslos erwiesen hat und zudem ein notorischer Lügner und vermutlich Steuerhinterzieher ist?
Wie kann man einen Mann unterstützen, der dafür verantwortlich ist, dass die USA die höchsten Todesfallzahlen durch COVID19 weltweit aufweisen, obwohl ihr Gesundheitssystem mit Abstand das teuerste der Welt ist?
Die einzig mögliche Antwort darauf ist verstörend: Kann es sein, dass Politik zunehmend nicht mehr an Zielen und deren Umsetzung gemessen wird, sondern vor allem daran, wer die beste Show abliefert? Erleben wir gerade die Showbusinessisierung der Politik? Und wie weit ist diese, so wie alle Trends von jenseits des Atlantiks, auch schon hierzulande vorgedrungen? Wenn man sich zum Beispiel die Kampagne von Friedrich Merz anschaut, mit der er den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur erringen will, beschleicht einen der Eindruck, dass da nicht mehr viel fehlt: Ein erfolgreicher Finanzindustrieller, der sich als „Underdog“ und „Opfer des Establishments“ darstellt, dessen gezielte Provokationen von nachrichtenhungrigen Medien jederzeit gerne aufgegriffen werden, obwohl der Urheber keinerlei politisches Amt oder Mandat hat und der in der Unterhaltungsindustrie von Talkshow zu Talkshow gereicht wird. Er ist halt unterhaltsamer als der lockerungsfreudige Ministerpräsident und der etwas langweilig auftretende Ex-Minister, die sicher beide in der Lage sind, solide, konservative Politik zu machen, aber sie eben nicht so rebellisch und eitel nach außen darstellen wie der Merz. Fragt da noch irgendwer nach dem politischen Programm? Besser nicht, denn Friedrich Merz ist ein überzeugter Rentensenker, Sozialstaatsverächter und Interessenpolitiker für die Finanzbranche. Wenn man aber die so genannten „kleinen Leute“ auf der Straße fragt, wie sie ihn finden, dann spielt das so gut wie keine Rolle. Weil es eben auch in den Nachrichten und Talkshows keine Rolle spielt, wer welche politischen Positionen und wessen Interessen vertritt. Viel interessanter ist die Legende, die Merz um sich selbst strickt: die Parteioberen haben sich gegen ihn verschworen und weil seine Umfragewerte zu gut sind, wird der CDU-Parteitag abgesetzt - nicht wegen Corona. DAS ist großes Kino! Wen interessiert schon Renten-, Sozial- oder Steuerpolitik, wenn man auch Zank, Hader und Kabale haben kann!
Ich sag euch ganz ehrlich: für mich ist das nichts. Ich habe den US-Wahlkampf aus der Distanz verfolgt und finde da wenig Nachahmenswertes. Ich finde, wir brauchen hierzulande keine Clowns in der Politik.
Bleibt gesund!
Eure Kathrin
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