Newsletter 201804
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit dem Einzug der AfD in den Bundestag ist zu erleben, dass man jedes, noch so abwegige Thema in den Bundestagsdebatten mit der Migrationspolitik verknüpfen und zu rassistischen und diskriminierenden Auslassungen weit ab von der Sache nutzen kann. Und auch in der LINKEN haben wir eine Debatte, wie wir mit den Herausforderungen der Migration politisch umgehen sollen. Vielen macht diese Frage Angst, aber ich glaube, es ist möglich sie positiv zu wenden. Dabei ist es gut, wenn wir uns in Geschichte und Gegenwart umschauen.
Mir ist wichtig, dass wir uns darüber klar werden, dass Migration zum Menschsein gehört. Homo Sapiens ist die in der Evolution erfolgreichste Primatenart, nicht obwohl, sondern weil er in die Ferne strebt. Und dafür gab es immer unterschiedliche Gründe. Menschen begaben sich auf die Wanderschaft aus purer Not, um bessere Lebensbedingungen zu suchen oder schlicht aus Neugier. Dafür nahmen die Menschen schon in der Steinzeit große Mühen und tödliche Gefahren auf sich. Nur so konnte unsere Art nach und nach alle Kontinente bis hin zu abgelegenen Pazifikinseln besiedeln.
Überall dort, wo wir uns niederließen, passten wir uns natürlich den Bedingungen an. Wir entwickelten angepasste Technologien, verschiedene Sprachen und Kulturen. Raum ist für unsere Entwicklung ebenso von Bedeutung wie Zeit. In historischer Zeit erwiesen sich die Gemeinschaften am erfolgreichsten, die den Ausgleich zwischen Anpassung und Vielfalt am besten organisierten. Das ägyptische Pharaonenreich bestand über 3000 Jahre als Vielvölkerstaat mit einer ausgeprägten staatlichen Ordnung, aber großer religiöser und kultureller Vielfalt.
Aber es gibt auch die andere Seite der Migration: Die indigenen Völker Amerikas hätten sich sicher eine bessere Grenzsicherung gegen die europäischen Eroberer gewünscht. Und die afrikanischen Sklaven, die von den Europäern verschleppt wurden, wären vermutlich lieber in ihrer Heimat geblieben.
Wir diskutieren viel darüber, ob es ein Recht zu bleiben geben soll. Ich halte das für einen guten Ansatz. Ein solches Recht zu bleiben muss natürlich zu allererst damit beginnen, dass Menschen nicht durch Krieg, Vertreibung oder Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zum Auswandern gezwungen werden, dass sie nicht mit leeren Versprechungen in Sklaverei oder sexuelle Ausbeutungsverhältnisse verschleppt werden. Insofern bin ich für ein Recht auf Heimat, ein Recht auf Da-Bleiben. Ich finde aber auch, dass Menschen ihre Heimat frei wählen können sollten. Dass sie selbst entscheiden dürfen, ob und wohin sie wandern und wann sie sich niederlassen wollen. Dass sie das Recht haben, sich eine Umgebung zu wählen, in der sie leben, arbeiten und ihre Kinder erziehen wollen. Die Motive dafür sind erst einmal nebensächlich.
Bei der derzeitigen Verfassung der menschlichen Gesellschaft haben die armen Länder mit dem höchsten Wanderungsaufkommen am wenigsten Möglichkeiten, Migration menschenwürdig zu gestalten. In den Ländern Afrikas, Asiens und des Nahen und Mittleren Ostens gibt es Millionen von Menschen, denen das Recht auf Heimat über Generationen vorenthalten wird. In ihre Ursprungsländer können sie nicht zurück, die Aufnahmeländer lassen sie nicht auf Dauer heimisch werden. Einen anderen Weg geht gerade Uganda. Flüchtlinge erhalten dort sofort eine Arbeitserlaubnis, 900 Quadratmeter Land und Baumaterial für ein Haus im dünn besiedelten Norden, damit sie sich und ihre Familien selbst versorgen können. Bleiben dürfen sie, solange sie selbst es wollen.
Wenn man weiß, wie lang der Weg zu Aufenthalt und Arbeitserlaubnis etwa in Deutschland ist, muss es erstaunen, dass das arme Uganda das schafft. Eineinhalb Million Menschen sind inzwischen vor dem Bürgerkrieg im Südsudan nach Uganda geflohen.
Der ugandische Weg hilft auch den Einheimischen. Aus den Geldern, die die UNO und andere für die Versorgung der Flüchtlinge bereitstellen, werden auch Straßen, Brunnen und Krankenhäuser gebaut, die auch der angestammten Bevölkerung offen stehen. Anderswo baut man mit diesen Mitteln Flüchtlingslager mit exklusiver Infrastruktur. Die Binnennachfrage steigt durch die Bedürfnisse der vielen Menschen und damit auch das Einkommen in Landwirtschaft, Handwerk und Handel. Die Flüchtlinge bebauen Land, das bisher nicht genutzt wurde und wenn sie wieder zurückgehen, erhält der Besitzer den urbar gemachten Acker zurück.
Uganda ist alles andere als ein demokratisches Musterland. Aber in dieser Hinsicht könnten wir doch eine Menge lernen. Möglichst viel Selbstbestimmung und Eigeninitiative tragen mit Sicherheit zur Integration der Zugewanderten mehr bei als so mancher erzwungene Integrationskurs in Deutschland.
Wir sollten die Risiken und Probleme der Migration gerade im Alltag nicht verschleiern. Natürlich ist es nicht schön, wenn im Mehrfamilienhaus niemand mehr wohnt, dem ich in meiner Sprache erklären kann, dass die Glasflasche nicht in den Biomüll gehört. Natürlich sollen und werden Menschen, die in eine andere Kultur kommen, sich Gepflogenheiten aneignen - und sie werden auch Dinge mitbringen, die wir gerne aufnehmen. Das ist übrigens historisch immer so gewesen. Die polnischen Arbeiter im Ruhrgebiet der Industrialisierung brachten Worte, Sitten und Gebräuche mit, die wir heute für typisch westfälisch halten. Die türkischen Arbeiter bei Ford und Opel brachten nicht nur den Dönergrill, sondern auch eine Streikbereitschaft, die den deutschen Kollegen so manche saftige Lohnerhöhung verschaffte.
Wichtig finde ich, dass wir nicht nur in der Beschreibung der Situation stehen bleiben, sondern konkrete Lösungsvorschläge machen. Die müssen in Deutschland natürlich anders aussehen als in Uganda, aber die sofortige Arbeitserlaubnis und ein sicherer Platz, an dem man mit seiner Familie leben kann, wären schon mal eine Alternative zu Obergrenzen, "Ankerzentren" und zentralen Abschiebebehörden, wie sie die Große Koalition bevorzugt. Auf jeden Fall dürfen die Bedürfnisse derer, die schon lange in Deutschland leben, nicht ausgespielt werden gegen die der neu Hinzukommenden. Auch sie brauchen bezahlbaren Wohnraum, gute Arbeitsplätze und gute Schulen für ihre Kinder. Fremdenfeindlichkeit bekämpft man nicht mit warmen Worten, sondern mit knallharten Investitionen in eine soziale und kommunale Infrastruktur. Uganda macht es vor.
Einen sonnigen Mai wünscht euch
eure Kathrin
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