Liebe Leserin, lieber Leser,
das Jahr geht zu Ende und es beginnt die Zeit der Jahresrückblicke. Eigentlich sollte es ein geiles Jahr werden: Die Corona-Pandemie schien so langsam beherrschbar zu werden, wir konnten uns wieder in Cafés und Kneipen treffen, ins Kino und auf Konzerte gehen. Wir hatten so viel nachzuholen. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP versprach gesellschaftlichen Fortschritt und sogar soziale Verbesserungen mit Bürgergeld, Kindergrundsicherung und höherem Mindestlohn.
Und dann überfielen russische Truppen die Ukraine und dieser Krieg brachte viele weitere Krisen mit sich. Nicht zuletzt verschärfte er den (bereits vorher begonnenen) Preisanstieg auf den Öl- und Gasmärkten und bei Lebensmitteln – nicht nur für uns, sondern auch für die Menschen auf der Südhalbkugel. Nach dem Angriff auf die Ukraine verdoppelte sich der Preis für Weizen an den Börsen binnen weniger Tage und auch heute liegt er etwa 20 % über dem Jahrestief. Zu teuer für viele Menschen in Kenia, dem Sudan oder Ägypten. Der Krieg gegen die Ukraine kostet Menschenleben nicht nur dort und auch deshalb muss er so schnell wie möglich beendet werden, aber unsere Regierung setzt auf die alten Instrumente: Aufrüstung, Abschreckung und immer breitere Sanktionen, ohne deren Effektivität zu überprüfen.
Die Inflation liegt in Deutschland jetzt bei etwa 8 Prozent, so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Da die Löhne nicht adäquat steigen, sinken die Realeinkommen der Beschäftigten und der Rentner:innen. Die dürftige Erhöhung der Sozialleistungen von Hartz IV zum „Bürgergeld“ deckt die Mehrausgaben der Armutsbetroffenen durch hohe Energie- und Lebensmittelpreise nicht im Ansatz.
Mit dem 9-Euro-Ticket verschaffte die Ampel vielen Menschen einen kurzen Sommer der bezahlbaren Mobilität – gerade lang genug, um auf den Geschmack zu kommen. Um ein deutlich teureres Nachfolgeprojekt wird noch immer zwischen Bund und Ländern gerungen. Dennoch ist offensichtlich: Allein mit Verbilligung des Zugfahrens ist es noch nicht getan. Ich fahre schon lange viel mit der Bahn, habe aber noch nie so viele Ausfälle, Verspätungen und Pannen erlebt wie dieses Jahr. Das liegt nicht nur am Personalmangel, sondern auch an der Vernachlässigung der technischen Infrastruktur über Jahrzehnte. Kurzsichtiges betriebswirtschaftliches Denken in den Bereichen, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft unverzichtbar sind, rechnet sich eben langfristig nicht. Wenn Mobilität, Energie, Gesundheit und Bildung marktförmig organisiert werden, um damit Profite zu machen, zahlt die Gesellschaft am Ende einen hohen Preis.
Und so geht das Jahr auch für viele Patientinnen und Patienten sowie für Beschäftigte im Gesundheitswesen mit Stress und Ängsten zu Ende. Überarbeitete Ärzt:innen und Pflegekräfte treffen auf eine riesige Welle von Infektionskrankheiten. Eltern kranker Kinder wird schon zu „Medikamentenflohmärkten“ geraten, weil die Pharmaindustrie zu den Preisen, die in Deutschland maximal von den Krankenkassen gezahlt werden, keine Kindermedikamente mehr liefern kann oder will.
Wir haben uns nicht nur abhängig gemacht von russischem Erdgas, sondern eben auch von chinesischen Pharmafirmen und funktionsfähigen Lieferketten. Wir haben zugelassen, dass unser Gesundheitswesen nach den Prinzipien von Markt und Profit umgestaltet wurde, dass Krankenkassen miteinander um den niedrigsten Beitrag konkurrieren müssen und dass Menschen dabei entweder Kostenfaktoren oder Humankapital sind.
Wenn wir als demokratischen Sozialist:innen sagen, dass wir den Kapitalismus überwinden wollen, dann meinen wir genau das: Ich wünsche für uns alle eine Gesellschaft, in der Menschen das Sagen haben, keine Algorithmen und keine Gewinnerwartungen. Und damit verabschiede ich mich auch von euch und von diesem Jahr, wünsche euch schöne und friedliche Weihnachtstage und vor allem Gesundheit für das neue Jahr. Wir sehen uns 2023!
Solidarische Grüße
Eure Kathrin
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