Arzneimittel-Forschung und -Produktion raus aus der Profitlogik!
Dass die Pharmaindustrie jetzt, mitten in der Versorgungskrise mit Kinderarzneien, über "politisch gewollten Kostendruck" lamentiert und die Produktion dringend benötigter Fiebersäfte für Kinder als "Verlustgeschäft" bezeichnet, wirkt schon fast wie ein Erpressungsversuch. Kathrin Vogler beleuchtet die Zusammenhänge.
Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind nicht neu, aber aktuell kommen mehrere Faktoren zusammen, die die Mangellagen verschärfen: Die Strategie der Pharmaindustrie, Produktionsstätten für Arzneimittel und Zusatzstoffe aus wirtschaftlichen Gründen z.B. in Indien und China zu nutzen, schafft eine zunehmende Abhängigkeit von funktionierenden globalen Lieferketten. Sind die Lieferketten gestört, etwa durch Wirtschaftskrisen, Kriege oder auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, betrifft uns das unmittelbar. Durch diese Oligopole oder Monopole sind die Firmen nicht mehr in der Lage, Ausfälle zu kompensieren. Ein zweiter Faktor ist die Profitlogik: Weil etwa mit der Herstellung von Antibiotika kaum noch Gewinne zu erwirtschaften sind, haben die Unternehmen in Deutschland die Produktion weitgehend eingestellt. Einer der wenigen verbliebenen Hersteller hat jetzt seine Preise für Antibiotika und Fiebersäfte über den Festbetrag erhöht und reicht damit seine steigenden Kosten in Form von Zuzahlungen an die Eltern erkrankter Kinder weiter.
Auch wenn die Pharmaindustrie wie alle anderen Branchen aktuell mit steigenden Energiekosten und Inflation konfrontiert ist, bleibt die Verpflichtung gemäß § 52b des Arzneimittelgesetzes, für die Sicherstellung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung der in Verkehr gebrachten Arzneimittel zu sorgen. Die Grundlagenforschung ist größtenteils durch Steuergelder bezahlt, die kommerzielle Forschung bezahlen die Versicherten mit ihren Beiträgen. Aber zugleich gibt es keine Kontrolle, welche Arzneimittel wie, wo und in welchen Mengen hergestellt werden, noch haben wir einen Einfluss darauf, ob essentielle Arzneimittel bevorratetet werden, um akute Arzneimittelengpässe auszugleichen. Dass die Pharmaindustrie jetzt über "politisch gewollten Kostendruck" lamentiert, und die Produktion dringend benötigter Fiebersäfte für Kinder als "Verlustgeschäft" bezeichnet, wirkt schon fast wie ein Erpressungsversuch. Deshalb fordert DIE LINKE eine Arzneimittelforschung und -produktion, die sich an den Bedarfen der Menschen und nicht am Gewinnstreben der Pharmaindustrie orientiert.
Globalisierte Lieferketten und die Zentralisierung der Arzneimittelproduktion in wenigen Standorten in China oder Indien sind ganz sicher wichtige Faktoren für die Störanfälligkeit unserer Medikamentenversorgung. Bereits der Ausfall eines einzigen Produktionsstandorts kann schon zu einer weltweiten Verknappung führen. Das hat offenbar auch die Ampel-Regierung als Problem gesehen und im Koalitionsvertrag angekündigt, Maßnahmen ergreifen zu wollen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern. Aber damit wären die Probleme noch nicht gelöst. Nicht nur, dass verschiedene Pharmafirmen für den Fall jetzt schon "explodierende Preise" ankündigen, es braucht grundsätzliche Neuregelungen, die den Einfluss der Pharmaindustrie auf unsere Gesundheitsversorgung zurückzudrängen. Was beispielsweise die Lieferengpässe bei Arzneimitteln betrifft, so sträubt sich die Bundesregierung seit Jahren, einzugreifen, wenn es zu Lieferproblemen kommt, weil beispielsweise ein Mittel gegen eine Erkrankung vom Markt genommen wird, um es später zu einem deutlich teureren Preis für eine andere, lukrativere Indikation wieder anzubieten.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller reagierte auf die akuten Lieferengpässe mit dem Argument, dass es kurzfristig helfen würde, wenn die Politik den Arzneimittel-Herstellern die Möglichkeit einräumen würde, die aktuellen Kostensteigerungen zumindest in Höhe der Inflation bei Festbeträgen und Rabattverträgen auszugleichen; außerdem sollten Krankenkassen verpflichtet werden, Rabattverträge immer mit mindestens drei Herstellern abzuschließen. DIE LINKE fordert seit langem, die Rabattverträge ganz abzuschaffen. Sie tragen maßgeblich zu einer Ausdünnung des Arzneimittelmarktes bei, weil viele Unternehmen, die bei den Rabattverträgen keinen Zuschlag für ihr Medikamente erhalten, die Produktion einstellen oder nur noch für die Länder produzieren, in denen sie mit ihren Arzneien höhere Preise erzielen können. Die Rabattverträge auf mindestens drei Anbieter auszudehnen, wird allerdings kaum helfen, die akute Schräglage in der Arzneimittelversorgung in den Griff zu bekommen. Die Pharmaindustrie ist insgesamt einer der lukrativsten Wirtschaftsbereiche. Da ist es inakzeptabel, wenn sie auf der einen Seite höhere Preise fordert, aber zugleich nicht bereit oder in der Lage ist, ihren im Arzneimittelrecht gesetzlich festgelegten Sicherstellungsauftrag vollumfänglich zu erfüllen. Letztendlich sollen so die Beitragszahler*innen, also die Leidtragenden des Profitstrebens der Pharmaindustrie, jetzt auch noch deren schrumpfende Gewinnmargen ausgleichen.
Medienecho:
12.12.2022, Frankfurter Rundschau: „Situation ist unbefriedigend“: Wie das Gesundheitsministerium auf Arznei-Engpass reagiert
... Pharmaindustrie auf unsere Gesundheitsversorgung zurückdrängen“, sagte Linken-Gesundheitspolitikerin Kathrin Vogler der Frankfurter Rundschau.
09.12.2022, Frankfurter Rundschau: Medikamentenengpass: Mit diesen Forderungen setzt die Opposition Gesundheitsminister Lauterbach unter Druck