Liebe Leserin, lieber Leser,
in verrückten Zeiten leben wir. Ein Virus, klein und unscheinbar, hat das öffentliche Leben lahm gelegt. Kinder werden zuhause unterrichtet - sofern die Eltern dazu in der Lage sind. Kneipen, Kinos und Cafés sind geschlossen und auf der Straße herrscht "Kontaktverbot". Ordnungsamt und Polizei kontrollieren die Einhaltung der Verbote und manches Bundesland hat gar die Grenzen ganz geschlossen weist jeden ab, der keinen Erstwohnsitz dort hat. Sogar den Militäraufmarsch "Defender 2020" hat SARS CoV2, wie das Virus offiziell heißt, zum Anhalten gebracht und der Werbezirkus am "Tag der Bundeswehr" ist abgesagt. Gut so! Aber das lassen die Militaristen nicht lange auf sich sitzen. Schon hat sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Wort gemeldet und lautstark verlangt, die Rettungsschirme gegen die Folgen des Virus', die dürften jetzt aber keinesfalls zur Verringerung der Rüstungsanstrengungen führen. Und Annegret Kramp-Karrenbauer bietet die Truppe an wie Sauerbier: Die Bundeswehr könne doch fein dabei helfen "Ordnung und Sicherheit" im Lande zu bewahren. Dazu lässt sie Parteifreunde wie den baden-württembergischen Innenminister Strobl gleich mal ein paar Andeutungen fallen lassen, die Hilfe der Bundeswehr sei angesichts der Überlastung der Polizei nötig.
Das Manöver ist ebenso durchsichtig wie peinlich: Die Ordnungsbehörden haben derzeit die Lage ziemlich gut im Griff, zumal die meisten Menschen sich freiwillig an die Auflagen halten. Straßenraub und Einbrüche sind auf dem Tiefpunkt, Staus und Verkehrsunfälle kaum noch vorhanden und so kann sich die Polizei mit voller Energie auf die Auflösung illegaler Zusammenrottungen von Teenagern in Parks und Kleingärten konzentrieren.
Der Einsatz von Hubschraubern zum Transport schwer Erkrankter aus Frankreich in deutsche Kliniken wäre ja vielleicht noch nachvollziehbar, wenn es wirklich keine freien Kapazitäten bei den Rettungshubschraubern gibt. Aber Soldaten im Kampfanzug, die illegale Kaffekränzchen auflösen oder vor Supermärkten den Zwei-Meter-Abstand kontrollieren? Absurd!
Die Bundeswehr hat hier keine Aufgabe. Aber es schmerzt sie natürlich, dass angesichts einer Gesundheitskrise globalen Ausmaßes die Truppe nicht vorführen kann, dass sie "Sicherheit produziert" und dass das womöglich zu einer Diskussion führen könnte, ob nicht wenigstens ein Teil der 45 Milliarden Euro aus dem Rüstungshaushalt 2020 nicht besser in Mundschutz und Desinfektionsmitteln eingesetzt wäre? Nahezu täglich erleben wir jetzt den Ruf nach der Bundeswehr im Inland. Wenn schon die Werbeveranstaltungen in Kasernen und auf Truppenübungsplätzen ebenso ausfallen müssen, wie die Nachwuchsgewinnung in Schulen und auf Jobmessen, dann will man wenigstens ein bisschen in der Presse vorkommen. Und zwar möglichst nicht mit so Nachrichten, dass man sich in Kenia hat sechs Millionen Schutzmasken hat klauen lassen, sondern mit schönen, heldenhaften Bildern im Kamp an der Heimatfront. Die Schutzmasken seien angeblich für zivile Krankenhäuser in Deutschland bestimmt gewesen und, laut BMVg, "mitnichten vom Beschaffungsamt der Bundeswehr … bestellt sondern von einer anderen Stelle, die nicht dem Ministerium untersteht". Seit wann ist eigentlich die Beschaffung von medizinischem Material für zivile Krankenhäuser überhaupt Auftrag der Bundeswehr? Und welche mysteriösen Stellen, die nicht dem Ministerium unterstehen, schaltet man dafür ein?
Wir müssen aufpassen, das in dieser sehr kritischen Situation, nicht die Militärs eine Rolle übernehmen, die ihnen noch mehr Macht und Einfluss in dieser Gesellschaft verschafft. Dagegen müssen wir weiter aufstehen - auch wenn es in nächster Zeit nicht so einfach ist. Aber der Ostermarsch, der diesmal virtuell und durch Flaggen und Bilder in den Fenstern begangen werden muss, bleibt auch nach 60 Jahren unverzichtbares und Mut machendes Zeichen für eine friedliche, zivile und demokratische Zukunft. Nutzen wir den Tag - und bleibt gesund!
Eure Kathrin
|