Rede auf der Kundgebung in Münster: Der §219a muss weg, wenn wir die Selbstbestimmung von Frauen ernst nehmen!

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster hat am 19.12.2018 zu einer Kundgebung vor dem Historischen Rathaus geladen und Hunderte kamen, um gegen den faulen Kompromiss der Regierung zum Thema "Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche" zu protestieren:

Wir wollen keine "Kompromisse"! Der §219a muss abgeschafft werden!

Kathrin Voglers Rede auf der Kundgebung:

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

der §219a des Strafgesetzbuches ist ein Beispiel dafür, was schlampige Gesetzgebung in Verbindung mit einer Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas anrichten kann. Nachdem er 1926 abgeschafft worden war, gehörte seine Wiedereinführung 1933 zu den ersten Maßnahmen der Faschisten an der Regierung. Bei der Reform des §218 im Jahr 1993 wurde er offenbar schlicht vergessen. Auch danach nahm man ihn kaum zur Kenntnis. Erst als ihn militante Abtreibungsgegner als Waffe gegen Ärztinnen und Ärzte entdeckt haben, die legale Schwangerschaftsabbrüche durchführen, kam dieser Paragraf wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Diese FundamentalistInnen schrecken weder von Vergleichen mit dem industriellen Massenmord der Nazis noch vor persönlichen Angriffen auf Schwangere und ÄrztInnen zurück. Ihr Ziel ist es, ungewollt Schwangeren den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch so zu erschweren, dass sie davon abgehalten werden.

Eigentlich hätte der Bundestag den §219a schon längst abschaffen können. Die Mehrheit der Abgeordneten ist dafür: DIE LINKE hat einen entsprechenden Antrag vor über einem Jahr eingebracht, die Grünen haben die Streichung dieses § ebenfalls beantragt und seit letzter Woche gibt es auch einen Antrag der FDP. Und die SPD? Die hat sich immer wieder für die Streichung ausgesprochen. Doch jetzt ist sie umgefallen und hat sich auf einen faulen Kompromiss mit den KoalitionspartnerInnen von CDU/CSU eingelassen, einen Kompromiss der auch weiter die Verurteilung von ÄrztInnen ermöglicht, die nichts anderes tun, als auf ihrer Website darauf hinzuweisen, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

Schlimmer noch: Dieser sogenannte Kompromiss wird wohl wieder ein Beispiel für schlechte und schlampige Gesetzgebung werden. Das Schlimmste: da werden Wortwahl und Gedankengut der Fundi-AbtreibungsgegnerInnen eins zu eins übernommen. So soll Forschung zu dem sogenannten „Post-Abortion-Syndrom“ gefördert werden - einer Erkrankung, die es nur in der kranken Fantasie der AbtreibungsgegnerInnen gibt. Dazu gibt es bereits hinreichende Forschungsergebnisse: Dass eine Abtreibung tatsächlich ein Trauma auslöst, gibt es zwar, es ist aber sehr selten. Die American Psychological Association hat dazu 220 Studien ausgewertet und festgestellt, dass psychische Probleme nach einer Abtreibung nicht häufiger auftreten als nach dem Austragen eines ungewollten Kindes.

Außerdem sollen künftig die Ärztekammern oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Listen von Arztpraxen und Kliniken erstellen, in denen legale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden können. Das ist ja mal eine tolle Idee: Dann brauchen sich die Frauenfeinde nicht einmal mehr selbst zu bemühen, um Ziele für ihre nächsten Mobbingattacken herauszufinden. Mit diesen Listen, die weder vollständig noch aktuell sein werden, ist niemandem geholfen.

Dann will man im Gesetz eine Unterscheidung zwischen sachlicher Information und anpreisender Werbung machen. Das ist absolut überflüssig, denn Ärztinnen und Ärzten ist Werbung bereits durch ihr Berufsrecht verboten:

In §27 der Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte heißt es: „Berufswidrige Werbung ist Ärztinnen und Ärzten untersagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden.“

Der §219a kann also definitiv weg. Er muss weg, wenn wir die Selbstbestimmung von Frauen ernst nehmen.

Was ich nicht verstehe ist, warum die SPD das mitmacht. Die Union setzt ständig Themen als „Gewissensfragen“ ohne Fraktionsbindung auf die Tagesordnung. Nur beim Schwangerschaftsabbruch soll das Gewissen jetzt der Koalitionsdisziplin geopfert werden?

Wir müssen also weiter Druck machen, damit sich etwas bewegt!

Danke, dass ihr hier seid!

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Das Video zur Rede gibt es hier.

Fotos 1 & 2: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster
Foto 3: Kathrin Vogler und Maria Klein-Schmeink, MdB Bündnis 90/Die Grünen