Worum es bei der Debatte um Hilfe zur Selbsttötung wirklich geht

Angst vor dem Altern darf kein Grund für Suizid sein

25. Juli 2014

Der evangelische Ratspräsident Nikolaus Schneider hat sein Amt vorzeitig aufgegeben, um sich um seine krebskranke Frau kümmern zu können. Und er hat gegenüber der Presse erklärt, dass er sie aus Liebe auch zum Sterben in die Schweiz begleiten würde, wenn sie dies wünsche. Er selbst sei zwar gegen diese Form der "Sterbehilfe" eingestellt, wie sie in der Schweiz praktiziert wird, aber seine Frau habe da eine andere Auffassung, und die respektiere er. Dieses Beispiel zeigt, wie kompliziert solche ethischen Fragen sind, und dass selbst jemand, der eine klare Position hat, und diese auch öffentlich vertritt, manchmal ganz anders handelt.

In der letzten Zeit taucht das Wort "Sterbehilfe" immer wieder in den Medien auf. Es wird heiß diskutiert und dabei ist bemerkenswert, dass erstaunlich viele Menschen überhaupt nicht wissen, worum es eigentlich geht, und wie die Rechtslage derzeit eigentlich ist.

Demnach ist der assistierte Suizid etwas grundlegend anderes als die Sterbebegleitung: Eine Sterbebegleitung, wie sie Hospize und Palliativmedizin verstehen, sieht den Sterbeprozess als Teil des Lebens an und versucht daher, die Lebensqualität schwer Kranker oder Sterbender durch Zuwendung, optimale Pflege und gegebenenfalls eine optimal angepasste Schmerzmedikation zu erhöhen. Eine Lebensverkürzung als Nebenwirkung zum Beispiel starker Schmerzmittel wird nach Vereinbarung mit dem Patienten/ der Patientin unter Umständen in Kauf genommen, ist jedoch nicht das Ziel der Maßnahmen. Lebensverlängernde Maßnahmen werden nur insoweit durchgeführt, wie die Betroffenen es wünschen.

Auch die Selbsttötung, also der Suizid, ist nach deutschem Recht nicht strafbar und dementsprechend ist auch die Beihilfe zum Suizid straffrei. Dabei ist allerdings Bedingung, dass die Person, die sich töten möchte, dies auch selbst vollzieht, dass sie in der Lage ist, ihren freien Willen auszuüben, und dabei nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. Die Anwesenheit beim Sterben nach einer Selbsttötung kann unter Umständen als unterlassene Hilfeleistung gewertet und bestraft werden. Klar strafbar ist hingegen die Tötung auf Verlangen, also zum Beispiel das aktive Verabreichen eines tödlichen Medikamentencocktails oder das Setzen einer tödlichen Spritze.

Ärztinnen und Ärzte haben durch den Hippokratischen Eid und ihre Standesregeln ein mehr oder weniger striktes Verbot der Suizidunterstützung. Mehr oder weniger, weil die Standesregeln in den einzelnen Kammerbezirken unterschiedlich formuliert sind. Anfang 2011 hat die Bundesärztekammer in ihren Richtlinien zur Sterbebegleitung festgehalten, dass die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe sei. Zuvor hatte es noch geheißen, sie widerspreche dem ärztlichen Ethos. Diese Veränderung ist Folge einer veränderten gesellschaftlichen Haltung zum Suizid insgesamt.

In Umfragen gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, sich im Fall von Pflegebedürftigkeit das Leben nehmen zu wollen. Allerdings ist das eine Aussage, die Menschen im Vollbesitz ihrer körperlichen Fähigkeiten treffen. Jeder Mensch hat Angst vor dem Verlust von körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, und wer gesund ist, kann sich kaum vorstellen, dass es auch mit Einschränkungen ein lebenswertes, erfülltes Leben geben kann. Dieser Trend ist auch eine Folge unserer individualisierten und leistungsorientierten kapitalistischen Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen oder mit Pflegebedarf als Belastung oder sogar nur noch als Kostenfaktor gesehen werden.

Die gesellschaftliche Debatte um den assistierten Suizid, also die Hilfe zur Selbsttötung, ist in den letzten Jahren auch ganz gezielt geschürt worden. Der ehemalige Hamburger CDU-Justizsenator und Rechtsaußen Roger Kusch ist ein Verfechter der auch aktiven Sterbehilfe. Er hat einen Verein gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen beim Suizid zu unterstützen. Er propagiert dies als "Beitrag zur Selbstbestimmung" und versorgt auch ganz gesunde oder psychisch kranke Menschen mit einer tödlichen Medikamentendosis und Ratschlägen, wie man "erfolgreich" aus dem Leben scheidet. Der Mitgliedsbeitrag in Kuschs Verein für unmittelbar Suizidwillige beträgt einmalig (zynisch Beitrag auf "Lebenszeit" benannt) 7000 Euro, ggf. kommen noch 1500 Euro Honorar für ein ärztliches Gutachten hinzu.

Unter dem Stichwort "Altersheim" macht der Verein "Sterbehilfe Deutschland e.V." auf seiner Website klar, worum es geht:

"Die Abneigung gegen Altersheime ist bei betagten StHD-Mitgliedern häufiges Motiv des Suizidwunsches. Als Gründe werden genannt: Das zu erwartende intellektuelle und gesellschaftliche Niveau der Mitbewohner, die omnipräsente Morbidität, der Geruch, die Überforderung des Personals und nicht zuletzt die endgültig verlorene Freiheit zum Suizid."  

Damit propagiert der Verein das, was 1998 zu Recht zum Unwort des Jahres ernannt wurde: das "sozialverträgliche Frühableben", über dessen Förderung als Maßnahme zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen damals der Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar nachgedacht hatte.

Es geht in der Breite eben nicht um die wenigen tragischen Einzelfälle von Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht in der Lage sind, einen Suizid selbst zu vollziehen, obwohl sie geistig in der Lage sind, eine solche Entscheidung selbstbestimmt zu treffen. Es geht bei dieser Debatte um ein Verständnis von "Selbstbestimmung", das im Kern elitär und behindertenfeindlich ist. Wenn der Aufenthalt in einem Pflegeheim dermaßen angstbesetzt ist, dass es den Menschen besser erscheint, sich vorsorglich das Leben zu nehmen, dann sollten wir eigentlich eine breite Debatte darüber haben, wie wir ein menschenwürdiges Leben mit Pflege und Assistenz auch im hohen Alter oder bei schweren Behinderungen ermöglichen können, wie wir die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern und Angehörige entlasten und wie wir unser Gemeinwesen so gestalten können, dass niemand im Alter einsam ist.

Deswegen denkt im Augenblick ein Kreis von Bundestagsabgeordneten unterschiedlicher Fraktionen darüber nach, ob der Tätigkeit solcher Vereine und Einzelpersonen, die systematisch Suizid als Ausweg propagieren und dafür Mittel und Wege bereitstellen, nicht ein klarer Straftatbestand entgegengesetzt werden muss. Wie dieser aussehen kann, ist noch offen. Klar ist aber, dass es auch darum gehen muss, der Angst vorm Alter entgegenzutreten. Es darf nicht sein, dass die Angst vorm Pflegeheim zum Hauptmotiv für Selbsttötungen wird. Es muss darum gehen, ein selbstbestimmtes Leben auch im Alter und bei Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen, statt die Möglichkeiten zur Lebensbeendigung auszuweiten.