Zivile Konfliktbearbeitung im Sudan - Einheit oder Teilung?

Kathrin Vogler

Für die meisten Menschen im Südsudan ist es kaum eine Frage, wie das Referendum am 9. Januar 2011 ausgehen wird. Die große Mehrheit wird wohl für die Abspaltung des Südens von der Republik Sudan stimmen. Das Referendum ist Bestandteil des „Umfassenden Friedensabkommens“ (CPA), das 2005 zwischen der Sudanesischen Regierung und der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) geschlossen wurde, um mehr als 50 Jahre Bürgerkrieg zu beenden. Trotz logistischer Probleme und Verzögerungen bei der Vorbereitung, kommt eine Verschiebung des Referendums für die Mehrheitspartei im Süden, SPLM, nicht in Betracht. Alle noch offenen Fragen zwischen Nord und Süd müssen bis zum Ende des CPA am 9. Juli geregelt werden. Dabei geht es z.B. um die Übernahme der Staatsschulden oder der Grenzverlauf auf 20 Prozent der Grenze, gerade dort, wo Öl und andere Rohstoffe im Boden  liegen, etwa in der Provinz Abyei.

Als wir mit einer Gruppe von Abgeordneten den Sudan besuchen, merken wir schnell, wie gereizt die Stimmung vor dem Referendum ist. Beinahe täglich gibt es Gerüchte, auch in den Medien, über Einschüchterungsversuche, Truppenbewegungen im Grenzgebiet, Flüchtlingsströme oder gar militärische Angriffe. Nicht auszuschließen ist, dass der eine oder andere lokale Machthaber die Situation nutzt, um seinen Einfluss zu vergrößern. Auch, wenn alle politischen GesprächspartnerInnen einmütig betonen, sie wollten vor allem den Frieden und würden sich an das CPA halten, ist das Risiko, dass der Norden versuchen könnte, die Einheit militärisch zu erzwingen oder die SPLA versuchen könnte, die noch offenen Grenzfragen mit Gewalt für sich zu entscheiden, offensichtlich. In Juba liefern sich  schon achtjährige Schulkinder eine Massenschlägerei um die Frage „Einheit oder Teilung“.

Im Sudan gibt es eine reiche Landschaft gesellschaftlicher Organisationen und Bewegungen. Viele befassen sich mit der politischen Bildung und gesellschaftlichen Aufklärung, aber auch explizit mit der Verbreitung von Gewaltfreiheit, gerade jetzt vor dem Referendum.

In Yei, ganz im Süden, treffen wir auf AktivistInnen der christlichen Initiative „Reconcile“. Milka, Paul und Dele berichten von ihrer Trainings- und Mediationsarbeit. Vorwiegend arbeiten sie mit lokalen Führungspersönlichkeiten, die in dreimonatigen Kursen Erfahrungen mit der Kraft der Gewaltfreiheit sammeln. Milka: „Wir wollen sie dafür sensibilisieren, in einer traumatisierten Gesellschaft für Frieden und gewaltfreie Konfliktaustragung einzutreten.“ Sie erzählt etwa von einem typischen Konflikt, bei dem  die Mitglieder eines Stammes die Frauen und Kinder eines Nachbarstammes entführten. Es kam dabei zu Toten und zu einem Rachefeldzug, bei dem 93 Frauen und Kinder ermordetet wurden. Reconcile entschied sich, mit den Frauen beider Seiten zu arbeiten, weil sie die Hauptbetroffenen sind.“ In einem langen Prozess verabredeten die Frauen beider Stämme eine Versöhnungszeremonie abzuhalten. Milka: „Die Frauen haben alle Widerstände überwunden. Es war zum Heulen, als sie sich schließlich umarmt und einander ihre Babys anvertraut haben.“

Die Jugendorganisation CAPOR, ebenfalls in Yei angesiedelt, arbeitet nach dem Schneeballsystem. Diejenigen, die ein Training mitgemacht haben, laden andere zur Mitarbeit. Sie finden sich zu Gruppen zusammen, die gemeinsam Theater oder Puppentheater zu kritischen Themen in den Dörfern spielen. Es gibt Stücke zu Alkoholismus, Häuslicher Gewalt, zu HIV/AIDS und jetzt natürlich vor allem zum Referendum. Außerdem arbeiten sie mit Plakaten, die von den jungen KünstlerInnen im Auftrag entworfen wurden. Die Gemeinden teilen mit, welches Problem ihnen besonders gerade wichtig ist. Immer wieder geht es dabei um Gewalt, in den Familien, durch Milizen oderdurch Kriminalität.

Zurück in Juba besuchen wir SONAD, Sudanese Organisation für Nonviolence and Development. Diese Organisation ist über den ganzen Sudan verbreitet und arbeitet mit multiethnischen Trainings für Gewaltfreiheit. Auch diese Organisation greift in ihren Aktivitäten immer wieder auf kulturelle Elemente zurück, wie Gesang, Theater oder Film. In einer Gesellschaft mit einer hohen Analphabetenrate spielen Geschichten und Lieder eine besondere Rolle.

SONAD wird von der Bundesregierung durch den Zivilen Friedensdienst unterstützt, zurzeit sind fünf Fachkräfte vor Ort – allerdings nur noch bis zum Ende des Jahres. Dann stellt der DED sein ZFD-Programm im Sudan ein. Gerade jetzt halten wir das für genau das falsche Signal.

Auf Einladung von SONAD ist Nonviolent Peaceforce  im Südsudan mit gewaltfreier Intervention aktiv. Eines der Field Teams hat bereits einmal den Einsatz der Armee, der die Konflikte weiter eskaliert hätte, verhindern können. Auch hier ist das Thema Finanzierung brennend aktuell. Projektmanagerin Anna: „90% unserer Finanzen werben wir hier vor Ort ein. Das kostet viel Zeit und Energie. Wir könnten viel mehr tun, wenn wir die nötigen Mittel hätten.“

Eine Milliarde US Dollar jährlich kostet in etwa die UN-Mission UNMIS mit 10.000 Soldaten. Doch die meisten Konfliktszenarien im Südsudan sind militärischer Krisenbewältigung durch diese Art von Kapitel-VII-Mission überhaupt nicht zugänglich. Initiativen wie die genannten sind es, die auf die Unfähigkeit von UNMIS zum Schutz der Bevölkerung vor Gewalt reagieren und die eigenen Kräfte der Gesellschaft zur Prävention und zum Eingreifen gegen Gewalt stärken. Mit nur einem Prozent des UNMIS-Etats könnten sie ihre Reichweite vervielfältigen.

Rundbrief des Bundes für Soziale Verteidigung