"Arzneimittelsparpaket" ist Mogelpackung
In ihrer Rede zum „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ kritisiert Kathrin Vogler, dass von Gesundheitsminister Röslers großen Ankündigungen, die Pharmaindustrie an die Kandare zu nehmen, nicht viel übrig geblieben ist: „Mondpreise“ im ersten Jahr bleiben bestehen, bei der Nutzenbewertung gibt es Schlupflöcher so groß wie Scheunentore und ganze Passagen des Gesetzestextes sind beim Verband forschender Pharmaunternehmen abgeschrieben.
Rede im Wortlaut:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich möchte mich zunächst einmal recht herzlich bei den Abgeordneten der Koalition bedanken, aber nicht für die Legendenbildung, die der Kollege Singhammer gerade betrieben hat, sondern dafür, dass wir heute überhaupt über den Entwurf eines Arzneimittelneuordnungsgesetz hier im Plenum beraten. Das hatten Sie nämlich ursprünglich gar nicht vor. Es ist vielmehr der Intervention der Linken zu verdanken, dass wir uns dafür heute zumindest eine Stunde Zeit nehmen.
Eigentlich hatten Sie vor, dieses wichtige Paket parlamentarischer Initiativen versteckt hinter dem GKV-Finanzierungsgesetz morgen, am Freitag, in gerade einmal 90 Minuten abzufrühstücken. Ein solches Durchpeitschen und ein solches Aushebeln der demokratischen Rechte der Opposition, das Sie schon bei den AKW-Laufzeiten praktiziert haben, lassen wir Ihnen nicht mehr durchgehen.
In dieser Woche wendeten Sie wieder einen taktischen Trick an, um die Rechte des Parlaments zu beschneiden und die Öffentlichkeit zu täuschen. Erst zur Ausschusssitzung am Montag dieser Woche haben Sie einen weiteren Änderungsantrag zu dem GKV-Finanzierungsgesetz gestellt und das Ganze weiter verschlimmbessert. Sie wollen die Einführung der umstrittenen Gesundheitskarte forcieren und die Krankenkassen unter Androhung empfindlicher Geldstrafen dazu zwingen, innerhalb eines Jahres mindestens 10 Prozent der Versicherten mit dieser Karte auszustatten.
So macht Schwarz-Gelb Politik und Gesetze: am Montag im Ausschuss, am Freitag schon im Plenum beschlossen, ohne erste Lesung, ohne ausführliche Debatte im Ausschuss, ohne Anhörung von Expertinnen und Experten.
Sie, Herr Bahr, haben in der Presse behauptet, es handele sich ja nur um eine „abgespeckte Version“ der Karte.
Ich wüsste gerne, woher Sie das haben. Im Gesetz steht das nämlich nicht. Vermutlich war Ihnen klar, dass Sie auch für dieses Projekt keine Lorbeeren bei den Fachleuten ernten würden.
Die Bedenken, was den Datenschutz angeht, hätte ich gerne noch in einer Anhörung debattiert, zumal der elektronische Personalausweis nicht einmal 24 Stunden alt war, als er bereits gehackt worden ist.
Gut. Jetzt komme ich ja zu den Plänen für die Arzneimittelpreise.
Herr Minister Rösler, erinnern Sie sich noch daran, dass Sie im Frühjahr groß angekündigt haben, die Pharmaindustrie an die Kandare nehmen zu wollen? Das wollten Sie uns gerade auch wieder verkaufen. Davon ist aber leider fast nichts übrig geblieben. Das ist ausgesprochen schade, weil Sie nämlich die Versicherten mit hohen Kosten und die Kranken mit zweifelhaften Therapien im Regen stehen lassen.
Nur drei Beispiele. Erstens erlauben Sie den Unternehmen weiterhin, den Preis neuer Medikamente im ersten Jahr ganz allein festzusetzen. Erst dann sollen sie mit den Kassen über einen angemessenen Preis verhandeln. Das bedeutet doch erst recht Mondpreise im ersten Jahr. Neue Medikamente werden zunächst einmal teurer.
Zweitens erlassen Sie den Firmen bei Medikamenten für die sogenannten seltenen Erkrankungen die Nutzenbewertung. Genauer gesagt: Auch potenziell nutzlose Mittel müssen die Kassen bezahlen, wenn diese nicht mehr als 50 Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen. Sie können es selbst nachrechnen: Nur 20 solcher Medikamente auf dem Markt belasten die Kassen mit bis zu 1 Milliarde Euro jährlich. Dabei kommt ganz schnell mehr zusammen, als uns Herr Singhammer gerade an Ersparnissen vorgerechnet hat.
Wir alle wissen doch, wie erfinderisch die Pharmaindustrie ist, wenn es um Profitmaximierung geht. Schon jetzt schneidet sie Medikamente immer häufiger auf immer kleinere Patientengruppen zu. So wird beispielsweise ein Medikament gegen Darmkrebs, Sie alle kennen den Fall , das auch bei einer bestimmten Form der Altersblindheit wirkt, vom Unternehmen für genau diese Indikation nicht zur Zulassung angemeldet. Stattdessen wird ein ganz ähnlicher Wirkstoff neu patentiert und zum 50-fachen Preis in den Markt gedrückt. Für die 25 Millionen Euro, welche die Kassen 2009 für dieses Medikament für nur 1 500 Patientinnen und Patienten ausgegeben haben, könnte mit dem ebenso wirksamen günstigeren Medikament die Sehkraft von mehr als 80 000 Menschen in diesem Land gerettet werden. Das ist doch ein Skandal, und dagegen müssen wir gemeinsam vorgehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von den 36 im letzten Jahr neu eingeführten Medikamenten sind nur 5 mehr als 10 000-mal verschrieben worden. Sie sehen also: Hier öffnen Sie ein Schlupfloch groß wie ein Scheunentor, durch das sich die Firmen der Nutzenbewertung entziehen können und werden.
Drittens erschweren Sie es dem Gemeinsamen Bundesausschuss auch noch, unwirtschaftliche oder nutzlose Medikamente nachträglich von der Erstattung durch die Kassen auszuschließen. Im Klartext: Sie fördern teure Medikamente mit zweifelhaftem Nutzen auf Kosten der Allgemeinheit.
Es verwundert nicht, dass Sie in den Stellungnahmen der Sachverständigen von fast allen Seiten verheerende Kritiken bekommen haben. Nur die Pharmalobby war erstaunlich leise.
Denn schließlich haben Sie ja einen Gutteil des Gesetzes beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller abgeschrieben. So machen Sie das überall. Die Hotelketten und die Atomindustrie dürfen entscheiden, wie viel Steuern sie zahlen wollen, die Pharmaindustrie wird gefragt, ob sie vielleicht auf den einen oder anderen Euro verzichten mag, die Ärztinnen und Ärzte freuen sich über 600 Euro monatlich mehr, die Telematikindustrie wird auch noch bedient, und die Privatversicherungswirtschaft darf einen ganzen Strauß Wünsche in die gesetzgeberische Feder diktieren.
Aber haben Sie einmal die Versicherten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner gefragt, was sie davon halten, dass sie künftig mehr und mehr Beiträge zahlen sollen, nur damit die Arzthonorare steigen und sich die Pharmafirmen weiter goldene Nasen verdienen?
Herr Rösler, in den Zeitungen stand, dass Sie als Tiger gesprungen und als Bettvorleger der Pharmakonzerne gelandet seien. Das halte ich inzwischen für maßlos übertrieben. Sie waren nie ein Tiger; Sie waren bestenfalls ein Miezekätzchen auf Schmusekurs mit der Wirtschaft.
Wenigstens in einem Punkt, da muss ich Sie wieder loben, haben Sie Ihre übliche Beratungsresistenz überwunden. Bei der Pflicht zur Veröffentlichung von Arzneimittelstudien haben Sie nach der Anhörung nachgebessert und sind der Kritik der Sachverständigen sowie unseren Anregungen teilweise gefolgt. Aber die Entscheidung darüber, welche Studien überhaupt gemacht werden, überlassen Sie weiter der Industrie. Was wir dringend brauchen, sind unabhängige Studien, wie die Linke sie fordert.
Ich bleibe bei dem, was ich schon am 9. Juli hier gesagt habe, ich komme jetzt auch zum Schluss : Wir erheben für unsere Vorschläge kein Copyright. Es ist besser, Sie schreiben von uns ab als von der Wirtschaftslobby. Der eine Punkt, in dem Sie uns gefolgt sind, heilt leider nicht den ganzen Murks, den Sie in den anderen Punkten zugunsten der Konzerne und zulasten der Solidargemeinschaft zusammengebastelt haben. Diesem Gesetz können und wollen wir deshalb nicht zustimmen.