Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird durch die PID geschwächt und nicht gestärkt!

Rede

BefürworterInnen der Präimplantationsdiagnostik kommen oft mit dem Argument, die Zulassung der PID würde das Selbstbestimmungsrecht der Frau stärken. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Je mehr Macht die Reproduktionstechnologie über den Körper der Frau erhält, desto geringer wird ihre Selbstbestimmung. Kathrin Vogler führt in ihrer Rede zur 1. Lesung der Gesetzwürfe zur Präimplantationsdiagnostik weitere Argumente für ein umfassendes Verbot der PID aus.


Rede im Wortlaut:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ‑ Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Sager, diejenigen in diesem Hause, die die Präimplantationsdiagnostik zulassen wollen, argumentieren häufig mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Das treibt auch mich um, und ich finde, es ist ein Wert, den wir hier verteidigen sollten. Sie meinen, ein Verbot würde unverhältnismäßig stark in das Selbstbestimmungsrecht der Frau über die eigene Fortpflanzung eingreifen. Dieser Auffassung bin ich nicht. Das möchte ich erklären.

Wir reden doch hier über ein medizinisch-technisches Verfahren, in dem letzten Endes Medizinerinnen und Mediziner und Ethikkommissionen die Entscheidungen treffen. Ich bin davon überzeugt: Je mehr Macht die Reproduktionstechnologie über den Körper der Frau erhält, desto geringer wird ihre Selbstbestimmung. Ich empfehle, die Erfahrungsberichte betroffener Frauen zu lesen. Dann kann man nur schlucken.

Oft wird auch argumentiert, dass die PID Frauen vor Schwangerschaftsabbrüchen bewahren könnte. Dafür gibt es aber keinen Beleg. Schwangerschaften nach PID ‑ das haben wir schon mehrfach gehört ‑ gelten grundsätzlich als Risikoschwangerschaften. Etwa die Hälfte der Frauen wird einer invasiven Pränataldiagnostik unterzogen, zum Beispiel einer Fruchtwasserpunktion. Am Ende bekommt nur eine von fünf Frauen nach einer PID tatsächlich ein Kind, und das nach all diesen Torturen.

Auch unterstellen Sie damit, dass Ärztinnen und Ärzte in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche ausschließlich wegen einer möglichen Behinderung des Kindes durchführen würden. Das wäre aber rechtswidrig. Vor dieser Unterstellung muss ich die Ärztinnen und Ärzte in Schutz nehmen. Das tun sie nicht leichtfertig.

In der Stellungnahme des Ethikrates, die heute schon mehrfach zitiert worden ist, wird viel differenzierter argumentiert, als es hier teilweise dargestellt wird. Der Ethikrat hinterfragt nämlich sehr genau, ob die Fortpflanzungsentscheidungen der einzelnen Frau tatsächlich als selbstbestimmt gelten können bzw. inwieweit dies der Fall ist. Denn schon bei der Frage, ob eine Frau überhaupt ein Kind will, spielen gesellschaftliche Standards, ökonomische Zwänge und Erwartungen des Umfelds eine entscheidende Rolle. Die von außen auf die Frau einwirkenden Erwartungen und Zwänge beeinträchtigen die Selbstbestimmung. Mit den Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik werden meiner Auffassung nach diese fremdbestimmenden Elemente noch erweitert. Auch kritische Feministinnen warnen vor wachsendem Druck auf Frauen. Immer mehr würde ihnen sogar so etwas wie eine Schuld zugeschrieben, wenn sie trotz medizinischen Fortschritts beispielsweise ein Kind mit Downsyndrom geboren haben.

Wir alle kennen Beispiele für diesen Druck. So etwas sei doch heute nicht mehr nötig, hat beispielsweise ein Vater aus meinem Wahlkreis zu hören bekommen. Mit „so etwas“ war sein Kind gemeint. Seiner Frau war während der Schwangerschaft ein schwerstbehindertes Kind vorhergesagt worden. Wohl niemals werde es laufen können, und vermutlich werde es die ersten Jahre nicht überleben. Dieses Kind ist heute sieben Jahre alt und läuft mitsamt seiner Behinderung munter durchs Leben. Eine andere Mutter erzählte mir von ihrer Tochter, die heute 28 Jahre ist und alleine selbstständig in einer Wohnung lebt ‑ mit Trisomie 18, einer Chromosomenstörung, die als klassisches Beispiel für eine früh zum Tode führende genetische Veränderung gilt.

Diese Beispiele zeigen doch, dass wir uns bei dieser ganzen Debatte nicht auf Medizin oder Biologie als exakte Wissenschaften verlassen können, sondern dass wir die gesellschaftliche Dimension dieser Technik in den Mittelpunkt der Diskussion stellen müssen. Eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik bedeutet eben nicht nur eine weitere Wahlmöglichkeit für Frauen, sondern sie verändert auch unser gesellschaftliches Umfeld. Sie verändert unsere ganze Haltung gegenüber Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft. Sie weckt hohe Erwartungen und Hoffnungen, die in den meisten Fällen bitter enttäuscht werden. Sie verschärft die gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber den Frauen, wirklich alles für ein biologisch eigenes, gesundes Kind zu tun. Das ist aus meiner Sicht ein überholtes Frauen- und Familienbild.

Statt nun die Verantwortung für die Herstellung gleicher Rechte und Teilhabechancen zu übernehmen und eine gerechtere und vor allem geschlechtergerechtere Verteilung von unbezahlter Reproduktions-, Erziehungs- und Pflegearbeit sowie die Abwehr von Diskriminierung als gemeinschaftliche sozialstaatliche Aufgabe zu betrachten, bürden wir diese Aufgabe den betroffenen Frauen individuell auf. Dazu muss ich sagen: Selbstbestimmung sieht für mich anders aus. Deshalb möchte ich Sie bitten, den Gesetzentwurf für ein uneingeschränktes Verbot der Präimplantationsdiagnostik zu unterstützen.

Danke sehr.