Kathrin Vogler: Vision eines friedensfähigen Europas 2039 - Aufgaben für politische Pazifistinnen und Pazifisten

Zur Landeskonferenz der DFG-VK am 27.9.2014 in Düsseldorf

Ich bin gebeten worden, hier ein bisschen für euch in die Zukunft zu schauen: Wie könnte ein Szenario eines friedensfähigen Europas in 25 Jahren aussehen? Was müsste passieren, damit Gorbatschows Vision des "Gemeinsamen Hauses Europa" doch noch Wirklichkeit wird? Wie kann Europa ein Kontinent des Friedens werden? - Und da rede ich nicht nur von der EU!

Also stellen wir uns vor, wir befinden uns im Jahr 2039:

- Die EU-Staaten und Russland haben deutlich abgerüstet. Nachdem 2020 ein Abkommen über die Schaffung einer atomwaffenfreien Welt von allen UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde, sind die US-amerikanischen, russischen, britischen und französischen Atomwaffen abgerüstet. Die EU-Staaten haben den Export von angereichertem Uran und von UAA-Technologie unterbunden.

- Die OSZE wurde im Konsensverfahren zu einer wirksamen UN-Regionalorganisation ausgebaut. In ihrem Rahmen wurden immer wieder Soldaten, Polizisten, Beamte bis hin zu Hochschullehrern als vertrauensbildende Maßnahme zwischen den Mitgliedsstaaten ausgetauscht. So entstanden Arbeitsbeziehungen, die so manche Krise abfedern konnten. Gegenseitige zivile Monitoring-Missionen sorgen dafür, dass die Vertrauensbasis immer wieder neu gestärkt wird.

- Innerhalb der OSZE entstand der "Political Mediation Service", ein Dienst erfahrener ehemaliger Politikerinnen und Politiker, Diplomatinnen und Diplomaten usw., die auf der Basis einer Mediationsausbildung und politischer Erfahrungen wirksame Unterstützung für politische Einigung in schwierigen Interessenkonflikten leisten können.

- Der Export von Waffen und Rüstungsgütern außerhalb der EU ist 2016 verboten worden. Daraufhin hat die Rüstungsindustrie eine große Konversionsanstrengung unternommen und ihre Produktion auf intelligente Assistenzsysteme umgestellt, die Menschen mit Beeinträchtigungen bei der Selbstständigkeit im Alltag unterstützen. Es gibt eine breite Palette an Funktionen, vom automatischen Schuhanzieher bis zum Toilettenhelfer, die diese Geräte erfüllen. Angehörige und Pflegekräfte haben dadurch wieder mehr Zeit für die Menschen und sind weniger überlastet, die Menschen mit Beeinträchtigungen haben Autonomie gewonnen. Trotz weitergehender Automatisierung in Produktion und Dienstleistung ist die Erwerbslosigkeit zurückgegangen, seit im Jahr 2022 die gesetzliche Höchstarbeitszeit EU-weit auf 25 Wochenstunden festgelegt wurde.

- Am 30. Jahrestag der Auflösung der WVO erklärte auch die NATO ihre Auflösung. Damit einher ging ein gigantischer Abrüstungsschub, der viele Arbeitsplätze in der Recyclingindustrie brachte. Um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken, öffnete die EU ihre Grenzen für Flüchtlinge, schuf ein umfassendes Ausbildungs- und Integrationsprogramm und förderte die Einbürgerung

- Viele der so Eingebürgerten sorgten mit ihrem Engagement für ihre Heimatländer für ein neu erwachtes Interesse an Entwicklung und globaler Gerechtigkeit. Die EU rief im Jahr 2027 das Programm "Perspektive global" aus, in dessen Rahmen jährlich 5000 Projekte der Bildung, der Gesundheit und der zivilen, gewaltfreien Konfliktbearbeitung gefördert wurden. Die ODA-Quote erreichte im Jahr 2028 EU-weit die 0,7 Prozent.

- Im Zuge der Rüstungskonversion entstand aus dem deutschen Willy-Brandt-Corps 2020 das EHW- das Europäische Hilfswerk. Auf Epidemien, Hunger- und Natur-Katastrophen kann es mit eigenem Material und einem großen Pool qualifizierter Freiwilliger schnell reagieren.

- Der Europäische Zivile Friedensdienst unterhält heute 2000 Projekte weltweit - nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch etwa im Spanischen Staat, auf Korsika, Zypern, in Großbritannien und Irland und auf dem Westlichen Balkan.

- Die europäischen Staaten haben nach der Springflut von 2024, die große Teile der norddeutschen Tiefebene, der Niederlande und Dänemarks überflutete, und nach der großen Dürre im Jahr 2025, die in Subsahara-Afrika 80 Prozent der Ernten vernichtete, endlich ernsthaft die Konfliktrelevanz des Klimawandels und der Wasserpolitik erkannt. Der Umstieg auf erneuerbare Energien wurde beschleunigt, zugleich wurde im Rahmen der OSZE ein gigantisches Wiederaufforstungsprogramm aufgelegt. In dessen Rahmen wurden etwa der Apennin in Italien und weite Flächen im Westen Russlands mit robusten Bäumen bepflanzt. Ab dem Jahr 2044 wird aus diesen Wäldern auch Energieholz geerntet.

Diese ganz konkrete Utopie soll ein paar Beispiele geben, was Arbeitsfelder für politische Pazifistinnen und Pazifisten sein können:

- ganz klassisch die Abrüstung, insbesondere die atomare Abrüstung

- Eintreten für das Völkerrecht und für Institutionen, die das Völkerrecht bewahren und das friedliche Zusammenleben fördern

- Auflösung der NATO und Abschaffung aller Aufrüstungsverpflichtungen

- Bekanntmachen und Einfordern der zivilen Konfliktbearbeitung und deren Möglichkeiten.

- Kreatives Weiterentwickeln solcher Instrumente und ihrer Anwendung auf konkrete Konfliktlagen

- Delegitimierung des Militärs auch und gerade für zivile Aufgaben, Schaffung von alternativen staatlichen, überstaatlichen oder nichtstaatlichen Strukturen

- Eintreten gegen den Krieg an den EU-Außengrenzen und für eine rationale und humane Flüchtlings- und Migrationspolitik, gewaltfreie Verteidigung von Menschenrechten

- Den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden stark machen. Die geistige Auseinandersetzung mit denjenigen, die militarisieren, aktiv führen, dabei mit allen zusammenarbeiten, die auf der Basis von Humanismus und Antirassismus mit uns gemeinsame Ziele vertreten

- Gewaltfreies Handeln propagieren und proben! Mehr Praxis UND mehr Theorie!

- Nicht vergessen: Die Wehrpflicht ist nur ausgesetzt. Und auch Soldatinnen sind potenzielle Kriegsdienstverweigererinnen!