Korruption im Gesundheitswesen muss effektiv bekämpft werden!

Rede

Kathrin Vogler fordert in ihrer Rede am 27. Mai 2011, bei der Bekämpfung der Korruption nicht nur auf die kleine Fische Jagd zu machen und die großen Haie im Karpfenteich des Gesundheitswesens weiter wildern zu lassen: „Solange wir nicht verhindern, dass private Versicherungskonzerne Parteien sponsern oder dass jemand, der über öffentliche Impfkampagnen mitentscheidet, auf den Gehaltslisten der Pharmaindustrie steht, solange brauchen wir uns doch über unterentwickeltes Unrechtsbewusstsein in der Ärzteschaft nicht zu wundern!“


Rede im Wortlaut:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren!

Ich möchte mich als Allererstes - ich denke, ich spreche hier auch in Ihrem Namen - bei all jenen, die sich in den letzten Tagen so unermüdlich und engagiert dafür eingesetzt haben, den gefährlichen Darminfektionen durch den EHEC-Keim auf den Grund zu gehen, und allen, die sich um die daran schwer erkrankten Menschen gekümmert haben, bedanken.


Sie alle, Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den entsprechenden Einrichtungen, haben eine großartige Leistung vollbracht und sich selbstlos für das Gemeinwohl eingesetzt. Ich möchte Ihnen allen meinen ganz herzlichen Dank dafür aussprechen und allen von dieser Krankheit Betroffenen unsere besten Genesungswünsche schicken.


Wir alle wissen, dass eine solche Selbstlosigkeit ein großer Antrieb für viele Menschen im Gesundheitswesen ist. Unter Einsatz all ihrer Fähigkeiten und manchmal auch über ihre Grenzen hinaus dienen sie den Patientinnen und Patienten und damit der Gesellschaft.


Korrupte Praktiken sind daher nicht nur eine finanzielle Belastung, wie das der Kollege Monstadt ja schon ausgeführt hat, sondern sie sind auch ein moralischer Schlag ins Gesicht all jener, die die Interessen der Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen ganz nach oben und in den Mittelpunkt ihrer eigenen Arbeit stellen, und das ist die Mehrheit.


Die Antikorruptionsinitiative Transparency International bezeichnet es als Korruption, wenn anvertraute Macht zum eigenen Vorteil missbraucht wird. Im Gesundheitswesen haben wir es wirklich manchmal mit einer erstaunlichen Breite von kriminellem oder zumindest deutlich unethischem Handeln zu tun: Krankenhäuser zahlen für jeden überwiesenen Patienten eine Fangprämie, und Pharma- und Medizintechnikkonzerne vergüten die Verordnung ihrer Produkte; das haben wir schon gehört. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vermieten ihren guten Ruf an die PR-Abteilungen von Konzernen, und Ärztinnen und Ärzte verbünden sich mit Apothekern und Versicherten, um über fingierte Abrechnungen die Krankenkassen zu betrügen. Zu guter oder schlechter Letzt gründen Unternehmen eigene Patientenselbsthilfegruppen und instrumentalisieren die Kranken für Kampagnen zugunsten ihrer Produkte.


Diese Korruption kostet nicht nur das Geld der Versicherten, also unser aller, das dann in der Versorgung der Patientinnen und Patienten fehlt, nein, solches Fehlverhalten richtet auch erheblichen Schaden im Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patientinnen und Patienten an. Wenn ein Patient nicht mehr sicher sein kann, dass das, was die Frau Doktor empfiehlt, wirklich das beste Mittel oder die qualifizierteste Behandlung ist, sondern fürchten muss, dass die Empfehlung durch finanzielle Interessen geleitet ist, dann schwindet sein Vertrauen und damit seine Bereitschaft, die Therapie durchzuhalten.


Im Antrag der SPD-Fraktion wird geschätzt, dass die Kassen in Deutschland jährlich 5 Milliarden bis 18 Milliarden Euro durch Korruption und Betrug verlieren. Das bedeutet: Bei konsequenter Korruptionsbekämpfung könnte der Kassenbeitrag um bis zu 1,5 Prozentpunkte sinken.


In Ihrem Antrag konzentrieren Sie sich dann aber leider allzu sehr auf die kleinen Fische im Meer der Korruption. Sie richten Ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Ärztinnen und Ärzte, die Krankenhäuser, die Apothekerinnen und Apotheker, und da insbesondere auf die Fälle, die ohnehin schon öffentlich bekannt geworden sind. Alles zusammengerechnet würden Sie bei diesen Vorgängen vermutlich auf eine Gesamtschadenssumme von maximal 1 Milliarde Euro kommen. Da derzeit deutlich weniger Fälle ermittelt werden, ist es richtig, dass Sie die Zahl der spezialisierten Ermittler erhöhen wollen.


Die Ausweitung des Bestechungsparagrafen auf niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ist meiner Ansicht nach ebenfalls sinnvoll, auch wenn sie nur aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung nachvollzieht. Aber manchmal ist es auch gut, wenn man nicht alles den Richterinnen und Richtern überlässt.


Von den geschätzten 5 Milliarden oder gar 18 Milliarden Euro sind wir aber auch dann noch weit entfernt, wenn wir alles umsetzen, was Sie vorschlagen. Das heißt, die kleinen Fischen im korrupten Netz kriegen wir vielleicht an die Angel, aber die großen Haie nicht. Solange Sie sich nicht auch die Beziehungen zwischen der klinischen und akademischen Medizin und der Industrie vornehmen, lassen Sie die großen Haie weiter im Karpfenteich des Gesundheitswesens wildern.


Der kritische Arzt Dieter Lehmkuhl schreibt im Rundbrief von Transparency International, ein Großteil der deutschen Ärzteschaft habe kein kritisches Bewusstsein über die Beziehungen zur Industrie und mögliche finanzielle Verflechtungen. Der Umgang mit Interessenkonflikten sei ungetrübt und naiv, urteilt er. Ich habe, ehrlich gesagt, manchmal den Eindruck, dasselbe könnte man auch über die Politik sagen.


Naivität und Gewinnstreben werden zum Einfallstor für die großen Konzerne und ihre Lobbyisten. Hier stehen wir korrupten Netzwerken gegenüber, deren Mitglieder teilweise überhaupt kein Unrechtsbewusstsein haben. Deswegen brauchen wir gesetzliche Regelungen und entsprechende Kontrollmechanismen.


Mehr Transparenz bedeutet, dass finanzielle Verflechtungen und Interessenkonflikte offengelegt werden müssen. Anfangen sollten wir damit komme ich zum Schluss bei uns selbst, im politischen Raum: Solange wir nicht verhindern, dass private Versicherungskonzerne Parteien sponsern, dass jemand, der über öffentliche Impfkampagnen mitentscheidet, auf den Gehaltslisten der Pharmaindustrie steht, oder dass Führungskräfte aus öffentlichen Einrichtungen nahtlos in Wirtschaftsunternehmen wechseln können, brauchen wir uns nicht über unterentwickeltes Unrechtsbewusstsein in der Ärzteschaft zu wundern.


Ich danke Ihnen.