Steinzeitliches Demokratieverständnis der Führung der Unionsfraktion

Rede

Der Vorstand der Unionsfraktion im Bundestag zeigte einmal wieder, dass in manchen Köpfen der kalte Krieg noch nicht ganz zu Ende ist. In einem steinzeitlichen Demokratieverständnis kickte er DIE LINKE von einem zuvor gemeinsam vereinbarten Antrag hinunter. Die Vorstände der anderen Fraktionen trugen diese Ausgrenzerei mit. Dabei hatten sich die Fachpolitikerinnen und -politiker aller im Bundestag vertretenen Fraktionen sehr konstruktiv und kooperativ auf einen gemeinsamen Antragstext abgestimmt zum Schutz von Studienteilnehmern auf EU-Ebene. Alle Abgeordneten hätten so einem gemeinsamen Antrag zustimmen können.


Text der Rede:

 

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ja, tut mir leid, wir müssen reden.

Wir sprechen heute über zwei Anträge zum Schutz von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Medikamentenstudien der EU. Wir sind uns quer durch alle Fraktionen dieses Hauses einig, dass insbesondere Kinder und nicht einwilligungsfähige Menschen besonderen Schutz benötigen. Eine Aufweichung der Schutzstandards, wie sie in der neuen EU-Richtlinie vorgesehen ist, wollen wir alle nicht.

Wie gesagt, wir sind uns da vollkommen einig.

Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen des Gesundheitsausschusses und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, die es ermöglicht hat, in sehr kurzer Zeit einen detaillierten und wirklich guten Forderungskatalog zu entwickeln.

Das hätte heute wirklich eine Sternstunde des Parlaments werden können.

Dass wir aber dennoch zwei Anträge vorliegen haben, ist leider dem steinzeitlichen Demokratieverständnis der Führung der Unionsfraktion geschuldet; denn da hat man offensichtlich noch nicht so ganz gemerkt, dass der Kalte Krieg längst zu Ende ist.

Was da passiert ist, ist ein politisches Narrenstück, eine Schmierenkomödie in drei Akten.

Erster Akt. Union und FDP legen einen Antragsentwurf vor und laden die Oppositionsfraktionen ein, diesen gemeinsam einzubringen.

Zweiter Akt. Die Oppositionsfraktionen schlagen einige Änderungen vor, die weitgehend aufgenommen werden. Ein gemeinsam abgestimmter Antragstext, dem alle zustimmen können, wird am Montag dieser Woche an die vier Fraktionsvorstände weitergeleitet, um am Dienstag in den Fraktionen beschlossen zu werden.

Dritter Akt. Der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass er den Antrag nur zulässt, wenn meine Fraktion, Die Linke, von der gemeinsamen Einbringung des Antrags ausgeschlossen wird.

Dieses Schauspiel ist ein Armutszeugnis für die Demokratie.

Sie grenzen damit fast 12 Prozent aller Wählerinnen und Wähler dieser Republik bei einem gemeinsamen Anliegen aus.

Sie erweisen den schutzbedürftigen Studienteilnehmern, für die wir uns gemeinsam starkmachen wollten, einen Bärendienst. Sie sorgen für Politikverdrossenheit, weil Sie kleinkarierte Ideologie über die Interessen der Menschen stellen.

Ich will noch etwas anderes anmerken. Die Fraktionen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind auch dieses Mal wieder vor der Erpressungsstrategie von Kauder und Hasselfeldt eingeknickt. Jedes Mal sagen Sie, dass Sie diese Ausgrenzerei blöd und unpolitisch finden, dass Sie das eigentlich nicht wollen; aber Sie machen trotzdem jedes Mal wieder mit. Eigentlich müssten Sie hier mit knallroten Köpfen sitzen, wenn Sie noch einen Funken politischen Anstand hätten.

Wir haben uns entschieden, den Antrag, den wir alle gemeinsam erarbeitet haben, wortgleich als Antrag der Linksfraktion einzubringen. Wir haben zugestimmt, über beide Anträge heute gemeinsam abstimmen zu lassen. Damit geben wir Ihnen jetzt die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, ohne mit Ihren Fraktionsführungen in Konflikt zu geraten. Wir hatten sowieso vor, zu beiden Anträgen Ja zu sagen; denn wir finden, dass unser gemeinsames Anliegen, der Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wichtig ist.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? Das verlängert Ihre Redezeit. Zu dieser Stunde ist das ein großzügiges Angebot.

Zwischenfrage Kollege Ackermann:

Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich denke, dieses Thema eignet sich nicht, um politische Schlachten zu schlagen.

Wir sind uns einig, dass der Schutz der Probanden ganz oben anzusiedeln ist. Wenn die Kollegen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments sagen, dass sie klinische Prüfungen auch ohne Einsatz einer Ethikkommission zulassen wollen, so lehnen das alle Fraktionen in diesem Hause ab und sagen: Wir können klinische Prüfungen nur zulassen, wenn wir vorher eine unabhängige Ethikkommission eingesetzt haben.

Ich möchte Sie aber fragen: Wie konnte es die Vorgängerorganisation Ihrer Partei in der ehemaligen DDR zulassen, dass Pharmaindustrie und Pharmahersteller im Osten an unbeteiligten Patienten Versuche durchgeführt haben, ohne dass die Patienten davon wussten? Die SED hat damit Devisen beschafft. Wie beurteilen Sie das im Zusammenhang mit dem, was Sie jetzt vor uns hier aufführen?

Ist es nicht auch unethisch, zu sagen: „Wir wollen klinische Prüfungen ohne Beteiligung der Patienten durchführen“? Ich denke, Sie sollten auch dazu eine Stellungnahme abgeben, weil Sie in der Nachfolge dieser Staatspartei stehen.

Antwort Kathrin Vogler:

Herr Ackermann, Sie reden sich um Kopf und Kragen. Wollen Sie es nicht langsam gut sein lassen? – Sehr geehrter Herr Kollege, ich muss etwas, was ich vorhin gesagt habe, revidieren. Ich habe die These aufgestellt, dass lediglich bei der Union der Kalte Krieg noch nicht beendet ist. Ich muss das erweitern: Offensichtlich ist auch bei der FDP noch nicht angekommen, dass wir den Kalten Krieg inzwischen beendet haben.

Es muss Ihnen doch bewusst sein, dass wir vor 25 Jahren auch in der Bundesrepublik und den westlichen Demokratien längst nicht den Schutz hatten, den wir heute haben, und auch Länder, die durchaus demokratisch sind, nicht unbedingt die Schutzkriterien und ethischen Kriterien anlegen, die wir hier gemeinsam anlegen.

Wissen Sie was? Das ist doch wirklich peinlich. Wir haben inhaltlich gut zusammengearbeitet, an einem Punkt, bei dem es um ethische Fragen geht, bei dem es um die Gesundheit von Menschen geht. Es geht um die Frage, wie wir mit Probandinnen und Probanden umgehen, die sich selbst nicht aktiv für die Teilnahme an der Studie entscheiden können. Das sind wirklich wichtige ethische Fragen. Bisher war es in diesem Haus gute Tradition, dass in ethischen Fragen solche parteipolitischen Spielchen, solche Kalter-Krieg-Nummern keine Rolle spielen.

Nichtsdestotrotz geben wir Ihnen die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, ohne mit Ihren Fraktionsführungen in Konflikt zu geraten. Wir sind weiter zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit, aber ein so absurdes Theater, wie Sie es im Zusammenhang mit diesen beiden Anträgen aufgeführt haben, werden wir uns von Ihnen nicht mehr bieten lassen.