Offener Brief an Hannelore Kraft

Kathrin Vogler

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,

Sie haben am 23.10. der Öffentlichkeit das Versprechen gegeben, dass in NRW Familien mit Kindern nicht nachts zum Zwecke der Abschiebung aus dem Bett geholt werden sollen. Auch NRW-Innenminister Ralf Jäger hat betont: "Ich finde, bei allen Problemen, allen Herausforderungen, die wir zurzeit haben, darf man die Menschlichkeit nicht aus dem Auge verlie-ren. Was wir in Nordrhein-Westfalen nicht tun werden, ist, in den frühen Morgenstunden plötzlich bei irgendeiner Familie aufzutauchen, die Kinder aus dem Bett zu zerren und dann eine Abschiebung durchzuführen."

Der Kreis Steinfurt hat nun in der Nacht vom 9. auf den 10. November 2015 Ihr Versprechen gebrochen und die Familie BAKALLI mit vier Kindern zwischen einem und zwölf Jahren um viertel nach drei nachts aus dem Bett geholt und nach Albanien abgeschoben. Die Familie lebte bereits seit drei Jahren in Ibbenbüren und galt als vorbildlich integriert. In Albanien beginnt nun der Winter, die Familie ist dort ohne Obdach und ohne Einkommen.

Die Bürgerinnen und Bürger im Ibbenbürener Stadtteil Langewiese, die mit der Familie Kontakt hatten, die Freundinnen und Freunde der Kinder in der Schule und im Sportverein sind entsetzt und geschockt. Alle hatten sich auf das Versprechen der Landesregierung verlassen.

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, ich frage Sie:

Wie ernst ist es Ihnen mit dem Versprechen, auch bei Abschiebungen Menschlichkeit walten zu lassen?

Was haben Sie real unternommen, um auch die Kreisverwaltungen auf Menschlichkeit zumindest gegenüber Familien mit Kindern zu verpflichten? Welche rechtlichen und politischen Möglichkeiten haben Sie hier wahrgenommen und welche haben Sie nicht wahrgenommen? Welche Möglichkeiten haben Sie überhaupt, um die Einhaltung Ihres Versprechens durchzusetzen, wo doch die Kreise zuständig sind für Abschiebungen und die Vereinbarungen der Länder mit der Bundesregierung genau diese Form der Abschiebungen vorsehen?

Inwieweit halten Sie überhaupt Abschiebungen im Winter für humanitär vertretbar, wenn die Betroffenen in den Herkunftsländern nicht über eine wetterfeste Unterkunft verfügen?

Welche Möglichkeiten gibt es, der Familie Bakalli zumindest ihr Eigentum inclusive der Geldbestände auf ihrem Konto zukommen zu lassen, das sie bei dieser Abschiebung zurücklassen musste?

18 von 24 Bürgermeister unseres Kreises Steinfurt hatten am 21.10. den sogenannten "Brandbrief" an Sie und Frau Merkel unterzeichnet, darunter auch solche, die wie Sie Mitglied der SPD sind. In diesem Brief fordern sie u.a. eine Begrenzung der Zuwanderung und noch mehr und schnellere Abschiebungen - und dies unmittelbar nach der schlimmsten Asylrechtsverschärfung seit 1993. Insofern muss man diese nächtliche Aktion durchaus auch über das menschliche Desaster hinaus als Kampfansage an eine humane Flüchtlingspolitik und als politische Provokation bewerten.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass derart unmenschliche Abschiebungen nicht auch in Zukunft durchgeführt werden, um damit potenzielle Zuwanderer abzuschrecken?

Mir ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass sich im Kreis Steinfurt momentan sehr viele Menschen für eine humane Flüchtlingspolitik und für die Integration der zu uns geflüchteten Menschen einsetzen, viele im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, sehr viele aber auch in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten. Ein Vorgehen wie das von mir geschilderte empfinden diese Menschen zu Recht als Schlag ins Gesicht. Wenn wir als Landes- und BundespolitikerInnen dies unwidersprochen geschehen lassen, tragen wir zur Entfrem-dung dieser Menschen von der Demokratie bei.

Deswegen bitte ich Sie, alles in Ihren Möglichkeiten Stehende zu unternehmen, solche Abschiebungen zu verhindern. Bitte, handeln Sie jetzt!

Mit freundlichen Grüßen

Kathrin Vogler

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