Die Zukunft der europäischen Sicherheits-Architektur
Die Deutsche Kommission Justitia et Pax und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hatten eingeladen zu einer Onlinediskussion zur Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur. Neben Kathrin Vogler nahmen teil: Bischof Dr. Heiner Wilmer (Justitia et Pax), Bundesministerin a.D. Annegret Kramp-Karrenbauer und Dr. Othmar Karas, MdEP.
Eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die 'Sicherheit' nicht militärisch, sondern zivil, sozial gerecht, klimasensibel und nachhaltig definiert, ist die herausfordernde Aufgabe der nächsten Jahrzehnte. Leider geschieht im Augenblick genau das Gegenteil: Der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist für die Menschen im Kriegsgebiet eine Katastrophe, ein Albtraum. Auf europäischer Ebene verstärkt er Prozesse, die die Chance auf die Gestaltung eines friedlichen Hauses „Europa“, und das war ja die ursprüngliche, wenn auch idealistische Idee, immer mehr schwinden lassen: Wir sehen Höchststände bei den Rüstungsbudgets der EU-Staaten, massive Aufrüstungsprojekte in den einzelnen Staaten und auf EU-Ebene, die Überschreitung roter Linien beim Export von Waffen in Kriegsgebiete, inakzeptable Deals mit Despoten-Staaten in Afrika und Asien zur Absicherung von Energiequellen und über allem die Tendenz, die tiefgreifende Militarisierung Europas als alternativlos zu beschreiben.
Wie soll, wie kann die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur aussehen? Darüber diskutierten am 19. April 2023 online:
* Bischof Dr. Heiner Wilmer (Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax)
* Bundesministerin a.D. Annegret Kramp-Karrenbauer (Sprecherin des Sachbereichs „Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken)
* Dr. Othmar Karas, MdEP (Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments) und
* Kathrin Vogler, MdB (Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe des Bundestages)
Dokumentation (Auszug):
„Friedensordnung bereits im Krieg vorbereiten“: Deutsche Kommission Justitia et Pax und ZdK fordern Schritte zu einer neuen Sicherheitsarchitektur
Pressemitteilung von Justitia et Pax und ZdK zur Onlinediskussion vom 20. April 2023
Welche Folgen hat der Krieg in der Ukraine für Europa und seine Sicherheitsarchitektur? Darüber diskutierte am Mittwochabend ein digitales Podium auf Einladung von Justitia et Pax und Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Annegret Kramp-Karrenbauer, Europapolitiker Dr. Othmar Karas, Bischof Dr. Heiner Wilmer und Kathrin Vogler (Die Linke) hatten differenzierte Antworten.
Fast vierzehn Monate dauert die militärische Eskalation Russlands in der Ukraine bereits an.
Der Krieg kostet unzählige Menschenleben, verletzt das Völkerrecht, bedroht die staatliche Integrität und erschüttert die Sicherheitsordnung Europas. Bischof Heiner Wilmer, Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, sprach von einem „Paradigmenwechsel vor der Haustür“. Dieser Paradigmenwechsel dürfe aber nicht dazu verleiten, ein Feindbild aufzubauen: „Russland ist ein Teil von Europa.“ Es könne nicht nur um die Frage gehen, wie die Ukraine den Krieg gewinne, sondern entscheidend sei: „Wie kommen wir zu einer neuen Friedensordnung?“
Annegret Kramp-Karrenbauer, Sprecherin des ZdK-Sachbereichs „Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung“, forderte „mehr europäische Zusammenarbeit“. So müssten die europäischen Staaten „mehr in die NATO einbringen, als das bisher der Fall ist“. Zur künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur gehöre aber auch, die nationalen Interessen nicht aus den Augen zu verlieren. Emmanuel Macrons Forderung nach mehr europäischer Souveränität dürfe nicht vergessen machen, „dass die Souveränität eines Landes auch zu den europäischen Werten gehört“. Kathrin Vogler, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Die Linke, sagte, sie werde allerdings „misstrauisch bei Wertebündnissen. In Wahrheit geht es doch um gemeinsame Interessen von Bündnispartnern.“ Othmar Karas, Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, forderte eine „europaweite Debatte über Verteidigungspolitik“. Er stellte fest: „Wir haben den Systemunterschieden zu lange keine Bedeutung beigemessen. Wäre die Ukraine Mitglied der NATO gewesen, dann wäre sie nicht angegriffen worden. Die Erweiterung der EU und der NATO ist wichtig. Sie tut der Sicherheit in Europa gut.“
Kathrin Vogler forderte, dass die Suche nach einer künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur auch berücksichtigen müsse, Geflüchtete an den EU-Außengrenzen nicht mehr als Gefahr für die Sicherheit Europas zu betrachten. Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur müsse auch eine neue Flüchtlingspolitik beinhalten. Wer wolle, dass sich Menschen gar nicht erst auf die Flucht begäben, müsse bereit sein, Demokratie- und Freiheitsbewegungen andernorts zu unterstützen: „Auch aus Russland flüchten Menschen, die mit der Politik Putins nicht konform gehen. Wir müssen wahrnehmen, welche Verantwortung wir dafür tragen, dass Oppositionelle unterstützt werden. Da hat die Bundesregierung versagt.“
Othmar Karas lenkte den Blick auf den Zusammenhang zwischen Politik und Religion. Sie könne sich im einem fatalen Machtbündnis wie dem zwischen Putin und Patriarch Kyrill zeigen. Es sei aber andererseits auch möglich, dass sich religiöse Player als Friedensstifter bewährten. „Wie halten wir es eigentlich mit der Religion?“, fragte Bischof Willmer. „Für diese Frage müssen wir uns in Europa wieder öffnen.“
Alle Teilnehmenden der Diskussion waren sich einig darin, dass der Frieden schon im Krieg vorbereitet werden müsse. „Russland darf nicht gleichgesetzt werden mit Putin“, forderte Annegret Kramp-Karrenbauer. „Investition in die Jugend, die Bildung, in die Zukunft“, forderte Othmar Karas. Bischof Wilmer berichtete von eigenen Erfahrungen mit dem Studium in Frankreich, dass den Blick seiner Herkunftsfamilie auf den „Erbfeind“ maßgeblich verändert hätte: „Begegnung schafft Frieden.“ Kathrin Vogler warnte „vor einer Sicherheitspolitik, die auf Militarisierung hinausläuft“. Vielmehr sei entscheidend, abzurüsten und auf eine starke Diplomatie zu setzen. „Eine Friedensordnung findet man nur mit Russland.“ (...)