FAQ - Organspende: Entscheidungslösung oder Widerspruchsregelung?

Organspende

Vorab: Ethische und rechtliche Aspekte

Die Spende von einem oder mehreren Organen nach dem Tod ist ein Akt praktischer Solidarität ohne Gegenleistung. Sie ist Teil der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die auch über den Tod hinausgeht. Damit verbunden ist das Grundrecht auf Menschenwürde, das gewichtig in Artikel 1 des Grundgesetzes angesiedelt ist und die Basis für Bestimmungen beim Umgang mit den Körpern Verstorbener darstellt. Darunter fallen Regelungen, wie etwa die „Störung der Totenruhe“ in § 168 StGB oder die Friedhofsordnungen. Die Menschenwürde ist das einzige Rechtsgut, das auch über den Tod hinaus Bestand hat. In dieses ethisch sensible und rechtlich heikle Spannungsfeld würde eingegriffen, wenn die freiwillige Entscheidung zur Organspende durch eine Widerspruchsregelung ersetzt würde.

Weder in der Gesetzgebung noch in der Rechtsprechung gibt es bisher das Konstrukt „wer nicht widerspricht, stimmt zu“ oder einen Zwang zu einer Entscheidung. Zudem müssen Menschen nicht ihre Grund- und Freiheitsrechte aktiv reklamieren oder müssten diese erst erwerben, sondern wir haben diese durch unsere Geburt.

 

Stimmen die Zahlen, die von den Befürworter*innen der Widerspruchsregelung benutzt werden?

Stets wird von diesen Akteur*innen angeführt, dass mit 797 Organspender*innen im Jahr 2017 ein Tiefststand erreicht worden sei, dem 10.000 Menschen auf der Warteliste der Deutschen Gesellschaft für Organtransplantationen (DSO) gegenüber stünden. 2018 ist die Zahl der Organspender*innen jedoch um 20% auf 955 gestiegen. Ungeachtet der Tatsache, dass hier mit alten Zahlen gearbeitet wird, werden diese auch falsch verwendet. Die Lücke zwischen Bedarf und den tatsächlich erfolgten Spenden ist groß, aber nicht so groß wie das Verhältnis 797 versus 10.000 glauben machen will. Denn von jeder/m Organspender*in werden im Durchschnitt ca. 3,3 Organe entnommen, während Organempfänger*innen in aller Regel nur ein einziges Organ benötigen. So ergibt sich durchaus eine Lücke von 955 Spender*innen mit 3.113 gespendeten Organen versus 10.000 Patient*innen auf der Warteliste, aber diese ist nicht ganz so klaffend.

 

Führt die Widerspruchsregelung automatisch zu mehr Organspenden?

Die Befürworter*innen der Widerspruchsregelung verweisen unisono darauf, dass es in anderen Ländern mit Widerspruchsregelung mehr Organspenden pro Million Einwohner gäbe. Der Zusammenhang stimmt jedoch nicht. So stieg in Spanien etwa die Anzahl der Organspender*innen nicht etwa unmittelbar, als die neue Widerspruchsregelung 1979 eingeführt wurde, sondern erst knapp 20 Jahre später, als alle mit der Transplantation zusammenhängenden organisatorischen und technischen Prozesse optimiert wurden. Praktisch wird die Widerspruchsregelung in Spanien auch überhaupt nicht angewandt.

 

Können die Angehörigen der Willenserklärung des potenziellen Organspenders widersprechen?

Rechtlich ist das weder in der bisher geltenden Gesetzeslage noch in dem von mir unterstützten Entwurf vorgesehen. Es ist nach aller Erfahrung auch kein so zahlreiches Problem, dass es einer gesetzlichen Regelung bedarf. Nahezu alle Angehörigen orientieren sich am Willen des/der Verstorbenen - so sie diesen Willen kennen. In den wenigen Fällen, wo dies nicht der Fall ist, kommt es auf die kommunikativen Fähigkeiten der Ärztinnen und Ärzte an. Für mich ist es unvorstellbar, dass in einem Krankenhaus gegen den erklärten Willen der trauernden Angehörigen eine Organentnahme durchgeführt wird. Das würde das Vertrauen in das System der Organspende massiv untergraben und ganz sicher nicht dazu führen, dass die Zahl derjenigen wächst, die sich als Organspender*in registrieren zu lassen.

 

Wo liegt das größte Potential, das es zu heben gilt?

Aus einer bundesweiten Metastudie der Universität Kiel von 2018 geht hervor, dass von 27.258 Todesfällen in den Krankenhäusern, die für eine Organspende nach dem Hirntod infrage gekommen wären, nur 8,2% an die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) gemeldet wurden. Nur bei 3,2% aller Todesfälle kam es dann tatsächlich zur Organentnahme. Klar und deutlich führen diese Zahlen vor Augen, dass das System daran krankt, dass über 90% der möglichen Spender*innen zwar diagnostiziert, aber nicht als potenzielle Organspender*innen an die DSO gemeldet werden. Dieses Meldedefizit wird von allen Akteur*innen in diesem Fachgebiet kritisiert und von der jenseits der Widerspruchsregelung bereits im Januar 2019 beschlossenen Novelle des Transplantationsgesetzes (TPG) versprechen diese sich spürbare Verbesserungen.

 

Was wurde bereits getan?

Jenseits der Frage Entscheidungslösung versus Widerspruchsregelung hat der Gesetzgeber, wie erwähnt, die Transplantation neu geregelt, was unsere fraktionsübergreifende Initiative längst als überfällig ansah und auch von der Fraktion DIE LINKE unterstützt wurde. Es werden die Transplantationsbeauftragten gestärkt, die Leistungen der Krankenhäuser angemessen honoriert, ein regionaler neurologischer Bereitschaftsdienst zur Diagnose des Hirntodes sowie weitere Einzelbestimmungen eingeführt oder verändert.

 

Was schlagen wir alternativ zur Widerspruchsregelung vor?

Durch die TPG-Novelle wird sich auch nach unserer Einschätzung die Anzahl der Transplantationen erhöhen. Doch darüber hinaus gibt es weitere Potentiale und um diese zu nutzen, schlagen wir ein eigenes Gesetz vor, um auch die Zahl der Menschen mit Organspendeausweis von derzeit ca. 34% weiter zu erhöhen.

Unsere Vorschläge im Einzelnen:

  • Die im TPG angelegte Möglichkeit eines Registers, in dem die Organspendebereitsschaft gespeichert werden könnte, wollen wir durch ein staatliches Register verpflichtend umsetzen. Dieses soll bei einer Bundesbehörde angesiedelt werden. Zusätzlich zum bekannten Organspendeausweis soll durch ein online-basiertes Verfahren, bei dem alle Datenschutzbestimmungen eingehalten werden, ein niedrigschwelliger Zugang für einen Eintrag in das Register geschaffen werden.
  • Bei Kontakten zu den Meldebehörden (inkl. EU- und Nicht-EU-Bürger*innen) könnten Informationsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ausgehändigt und die Möglichkeit einer Entscheidung und Registrierung eröffnet werden.
  • Menschen, die sich nicht online registrieren können oder wollen können nach wie vor den klassischen Organspendenausweis ausfüllen und bei sich tragen oder alternativ in einer Patientenverfügung ihre Entscheidung festlegen.
  • Alle Krankenkassen sollen Informationsmaterialien zur Organspende nicht versteckt in deren Periodika abdrucken, sondern gesondert die regelmäßig zu evaluierenden BZgA-Materialien an ihre Mitglieder versenden. Die Informationen müssen sachlich und fachlich korrekt sein.
  • Das Thema Organspende soll Teil der ärztlichen Ausbildung werden. Ärzt*innen sollen ihre Patient*innen ergebnisoffen beraten können und dafür eine eigene Abrechnungsziffer erhalten.

 

Warum soll das Register in öffentlicher Hand sein?

In den letzten Jahren ist es im System der Organspende immer wieder zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Wir sind der Überzeugung, dass die Ansiedelung des Registers bei einer staatlichen Behörde mehr Vertrauen sichert als bei einer privaten Stiftung (DSO) oder einem nicht eingetragenen Verein wie der Bundesärztekammer. Auch für die Öffentlichkeit und die Politik ist eine solche Institution um Längen besser zu kontrollieren als eine nichtstaatliche Organisation.

 

Was passiert, wenn mehrere unterschiedliche Willenserklärungen vorliegen?

In diesem Fall gilt stets zunächst die zuletzt abgegebene Entscheidung. Lässt sich die zeitliche Reihenfolge nicht feststellen, gilt die Entscheidung mit der geringsten Eingriffstiefe.

 

Wie geht es im Bundestag weiter?

Im Dezember 2018 gab es eine Orientierungsdebatte darüber, ob die Entscheidungslösung durch die Widerspruchsregelung ersetzt werden soll. Im Kern kristallisierten sich in den Reden drei unterschiedliche Ansätze heraus, auf deren Grundlage sich interfraktionelle Initiativen gebildet haben. Die drei grundsätzlichen Positionen können zusammengefasst werden mit: informierte Entscheidungslösung, verpflichtende Entscheidungslösung und Widerspruchsregelung. In den kommenden Wochen werden die einzelnen Gruppen Gesetzesentwürfe vorlegen, die dann in den Bundestag eingebracht werden. Da die Abstimmung nicht nach Fraktionen erfolgt, ist jede*r Abgeordnete gehalten, sich eine Position zu erarbeiten. Dies kann unter anderem durch fraktionsoffene Veranstaltungen und Informationsabende der einzelnen Gruppen geschehen. Auch die Ausschussanhörungen werden für alle MdB offen sein.