Kommt nach der Medikamententafel die Krankenkassentafel?

Rede
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DIE LINKE setzt sich für die bestmögliche Versorgung aller Patientinnen und Patienten ein. Dazu gehört auch eine ausreichende Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen. Die schwarz-gelben Pläne bedeuten stattdessen mehr Profite für die Pharmabranche und private Versicherungskonzerne sowie eine Verstärkung der Zwei-Klassen-Medizin. Die Solidarität wird durch Zuzahlungen, Zusatzbeiträge und in Zukunft durch eine Kopfpauschale vollends untergraben.


Rede im Wortlaut:

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Beim Gesundheitsetat geht es nicht nur um die 16 Milliarden Euro im Einzelplan 15, von denen wir gerade gehört haben; den größten Pott in der Gesundheitspolitik füllen die Beiträge der Versicherten an die gesetzlichen Krankenkassen. Über die Höhe dieser Beiträge und ihre Verteilung entscheiden wir ebenfalls hier im Bundestag. Deshalb müssen wir darüber reden.


Jedes Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung kennt doch die Probleme: Wartezeiten beim Facharzt, Zuzahlungen zu Medikamenten und Hilfsmitteln, hohe Eigenbeteiligungen etwa beim Zahnersatz oder ein Hausarzt, der am Ende des Quartals mit dem notwendigen Rezept geizt und es nicht ausstellt.

Frau Merkel hat uns gestern darüber aufgeklärt – Kollegin Ferner hat das schon zitiert –, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung keine Zwei-Klassen-Medizin möchte. Es gibt aber längst schon eine Zwei-Klassen-Medizin. Sogar Ärztepräsident Hoppe hat zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung festgestellt, was 70 Millionen Versicherte längst wissen:
"Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich rationiert, weil nicht genügend Geld zur Verfügung steht, um allen Menschen die optimale Therapie zu verschaffen."
Er bezog sich damit allerdings nur auf „sehr teure“ Krebsmedikamente, an denen sich die Pharmafirmen gerne eine goldene Nase verdienen möchten.


Außer der LINKEN. spricht niemand über die Probleme, die Millionen Menschen schon mit der einfachsten Gesundheitsversorgung haben.
Dazu möchte ich ein Beispiel aus meiner Heimat, dem Münsterland, erzählen. In der vorigen Woche hat in Dülmen eine neue Einrichtung Bilanz gezogen: die Medikamententafel. In den ersten drei Monaten haben dort schon 115 bedürftige Menschen das Angebot genutzt, Medikamente zum halben Preis zu kaufen. Es geht hier wohlgemerkt um Medikamente, die der Arzt verschrieben hat, die aber nicht von den Kassen übernommen werden und nicht von den Patienten aus eigener Tasche finanziert werden können. Ich schätze das soziale Engagement sehr, das dieses Angebot möglich macht. Es ist aber eine Schande, dass so etwas in diesem Land nötig ist.


So sieht nämlich die soziale Wirklichkeit in unserem reichen Land aus: Wer arm ist und krank wird, ist auf Almosen angewiesen.
Damit werde ich mich nicht abfinden; damit wird sich die Fraktion DIE LINKE nicht abfinden.


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir werden nicht vergessen, dass dies auch ein Ergebnis von zehn Jahren sozialdemokratischer Gesundheitspolitik ist, an der leider auch die Grünen und die Union beteiligt waren.
Wenn Union und FDP nun versprechen, die Unterfinanzierung zu beenden, dann klingt das erst einmal klasse; aber für die Versicherten bedeuten Ihre Pläne eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Sie wollen also das Solidarprinzip abschaffen, demzufolge Gesunde für Kranke und diejenigen, die gut verdienen, für diejenigen, die weniger Einkommen haben, einstehen. Das ist mit uns nicht zu machen.


Sie setzen auf die Kopfpauschale, die von der FDP beschönigend „Gesundheitsprämie“ genannt wird. Das heißt, Sie wollen, dass die Friseurin mit 800 Euro Monatsgehalt denselben Beitrag zahlt wie die Chemietechnikerin mit 3 000 Euro Gehalt im Monat. Sie haben im Wahlkampf versprochen: „Mehr Netto vom Brutto.“ Das setzen Sie jetzt um, aber nur für diejenigen, die mehr als 2 000 Euro im Monat verdienen. Das sollen diejenigen finanzieren, die über deutlich weniger Einkommen verfügen. Deren Beiträge werden nämlich steigen. Damit treiben Sie die Spaltung der Gesellschaft voran. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.


Herr Rösler, Ihr Versprechen, diese Ungerechtigkeit mit einem Sozialausgleich abzufedern, kann ich Ihnen ehrlich gesagt nicht abnehmen; denn ich glaube nicht, dass es Ihnen gelingt, die Steuern zu senken – auch das haben Sie versprochen – und gleichzeitig 20 bis 40 Milliarden Euro aus der Staatskasse für den Sozialausgleich aufzubringen. Entweder können Sie nicht rechnen oder Sie wissen nicht, was da auf Sie zukommt, oder Sie wissen genau, dass es nicht funktionieren wird, und belügen die Leute. Das halte ich für eine Unverschämtheit.


Zweitens machen Sie damit Millionen Versicherte zu Bittstellern beim Staat. Nach der Medikamententafel kommt dann also demnächst die Krankenkassentafel. Dagegen werden wir uns wehren. Dass Sie diese Reform zudem ausgerechnet von einem bisherigen Funktionär der privaten Krankenversicherung erarbeiten lassen, wundert uns da kaum noch. Es zeigt das wahre Wesen der FDP als Front Der Privilegierten. Oder stehen diese drei Buchstaben vielleicht doch eher für „Freundeskreis Der Privatversicherer“?


3,9 Milliarden Euro sollen in diesem Jahr als Steuerzuschuss in den Gesundheitsfonds fließen, um die Mindereinnahmen durch die Finanzkrise auszugleichen; das haben Sie gerade ganz stolz verkündet. Aber Sie wissen doch ganz genau, dass den Krankenkassen 2010 voraussichtlich weitere 4 Milliarden Euro fehlen werden.


Den Versicherten drohen also Zusatzbeiträge, denn irgendwoher müssen die fehlenden Milliarden ja kommen.
Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, diejenigen an den Kosten zu beteiligen, die die Krise verursacht haben?


Aber nein: Auf die Unternehmer und Aktionäre entfällt kein einziger Cent an höheren Beiträgen. Wieder sind es nur die Beschäftigten, die Rentnerinnen und Rentner, die Sie zur Kasse bitten werden.
DIE LINKE hat immer wieder Vorschläge gemacht und wird das auch weiterhin tun, wie die Kassen finanziert und die Versicherten entlastet werden können. Wir wollen bestmögliche Versorgung für die Patientinnen und Patienten, mehr Zeit für Zuwendung und für sprechende Medizin sowie mehr Beschäftigung bei besseren Arbeitsbedingungen statt noch mehr Profiten für die Pharmabranche und private Versicherungskonzerne.


Sie hingegen preisen im Koalitionsvertrag den Wettbewerb und den Markt als Steuerungsmechanismen und vergessen dabei eines: Ein kranker Mensch ist kein Kunde, der über Diagnose und Therapie frei entscheiden kann. Wer krank ist, braucht Hilfe, schnell erreichbar, unkompliziert und in guter Qualität, und das Ganze vom Darß bis zum Bodensee. Das zu schaffen ist unsere gemeinsame Verantwortung hier in diesem Haus. Deswegen werden wir diesen Haushalt ablehnen, und wir werden weiter dafür streiten, dass Medikamententafeln in diesem Land überflüssig werden.
Danke schön.