Arzneimittelengpässe: Bedeutung der Rabattverträge & Rolle der Apotheken
In der Regierungsbefragung am 24. Mai erkundigte sich Kathrin Vogler bei Gesundheitsminister Lauterbach nach den Auswirkungen der Rabatt-Verträge auf die Lieferengpässe bei Medikamenten und die Sinnhaftigkeit der 50 Cent-'Aufwandsentschädigung' für Apotheken.
Video der Regierungsbefragung (Kathrin Vogler ca. ab Minute 25:23)
Frage Kathrin Vogler (DIE LINKE) im Protokoll der 105. Sitzung des Bundestages von Mittwoch, 24. Mai 2023:
Meine Frage richtet sich an Minister Lauterbach. Herr Professor Lauterbach, Sie haben uns ja gerade noch mal über die Arzneimittelengpässe und darüber, was die Regierung dagegen zu unternehmen gedenkt, aufgeklärt. Nun ist es so, dass mir die Rabattverträge der gesetzlichen Krankenversicherungen ein absolut ungeeignetes Instrument zu sein scheinen, um die Produktion in der EU anzukurbeln. Auch wenn Sie selber ja einer der Väter der Rabattverträge sind: Vielleicht können Sie noch mal darüber nachdenken, warum denn ein Hersteller die Produktion aufwendig verlagern sollte, bevor er ein Ausschreibungslos überhaupt gewonnen hat. Und wer soll hier eigentlich warum Produktionsstätten aufbauen für eine Ausschreibungsdauer von meistens nur zwei Jahren, wenn die Hersteller doch nicht wissen, ob sie bei der nächsten Ausschreibung dieses Versorgungslos noch bekommen? Was machen denn Hersteller, die sich auf die teurere Produktion in der EU eingelassen haben und nachher gar nicht an der Versorgung teilnehmen, weil andere Hersteller sich die Lose gesichert haben? Ich glaube, wir müssen noch mal grundsätzlich über die Rabattverträge nachdenken, und nicht nur bei Kinderarzneimitteln und Antibiotika.
Antwort Dr. Karl Lauterbach, Bundesminister für Gesundheit:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Abgeordnete, zunächst ist es richtig, dass die Rabattverträge wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Arzneimittel im Generikabereich in Deutschland erschwinglich geblieben sind. Aber mittlerweile sind die Rabattverträge auch dafür mitverantwortlich, dass die Preise so niedrig sind, dass sich die Herstellung in Europa teilweise nicht mehr lohnt. Wenn wir diesem Problem begegnen wollen, dann brauchen wir eine kurzfristige Lösung und eine langfristige Lösung. Die kurzfristige Lösung liegt darin, dass derjenige, der den Rabattvertrag bekommt, garantieren muss, dass die Lagerhaltung so ist, dass wir tatsächlich einen Lieferengpass überbrücken könnten. Das ist in dem Gesetz, das wir heute debattieren werden, vorgesehen; dort sind drei Monate Lagerhaltung vorgesehen. Wir haben darüber hinaus ein Frühwarnsystem, sodass wir dann einen kommenden Engpass sehen können. Und wenn es darüber hinaus noch Engpässe gibt, dann können die bestehenden Rabattverträge auch angepasst werden, sodass die Regel flexibel ist, selbst wenn ein Engpass kommt. Die Verlagerung der Produktion zurück nach Europa ist ein wichtiges Ziel. Das beginnen wir im Bereich der Antibiotikaherstellung. Hier ist es im Prinzip für einen Hersteller sehr leicht abzuschätzen, ob er einen Vertrag bekommt oder nicht. Denn wenn er hier in Europa ein Los anbietet und es belegen kann, dann ist ihm der Vertrag, wenn er der Erste ist, der das Antibiotikum hier anbietet, zum jetzigen Zeitpunkt mehr oder weniger sicher. Wir werden dies auch auf andere Bereiche ausdehnen. Wir können das per Rechtsverordnung zum Beispiel für Krebsmedikamente machen. Es ist hier aber ein mehrstufiges Verfahren notwendig. Und unser Ziel ist es, einen größeren Teil der Produktion nach Deutschland zurückzubringen. Eine Mechanik ist ja auch die, dass derjenige, der sich hier um ein Los bewirbt, einen Teil außerhalb von Europa produzieren kann und einen anderen Teil in Europa. Somit sind die Risiken verteilt. Das ist die Vorgehensweise, die uns auch von beratenden Wissenschaftlern seit längerer Zeit vorgeschlagen wurde.
Nachfrage Kathrin Vogler:
Die größte Last bei Lieferengpässen, die auch zu Versorgungsengpässen werden, tragen natürlich die Patientinnen und Patienten. Aber die zweitgrößte belastete Gruppe sind die Apothekerinnen und Apotheker in diesem Land, die einen unwahrscheinlichen Aufwand betreiben müssen, um bei Lieferengpässen die Patientinnen und Patienten in der GKV mit Alternativmedikamenten zu versorgen. Nun haben Sie ja offensichtlich erkannt, dass das ein Problem ist, wollen aber diesen Aufwand bei den Apothekerinnen und Apothekern mit nicht mehr als 50 Cent vergüten – 50 Cent! Und das, obwohl Apothekerinnen und Apotheker berichten, dass sie teilweise 20 Stunden in der Woche nur dafür verwenden, Lieferengpässe zu managen. Besonders absurd finde ich vor dem Hintergrund, dass der Großhandel, der nur den Aufwand hat, im Warenliefersystem einen anderen Knopf zu drücken, die gleichen 50 Cent kriegen soll. Wie erklären Sie das denn eigentlich? Könnte man nicht die 50 Cent, die Sie dem Großhandel zugestehen, besser den Apothekerinnen und Apothekern zugutekommen lassen?
Antwort Dr. Karl Lauterbach:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Selbstverständlich werden wir über die präzisen Summen, die hier zur Verfügung gestellt werden, noch beraten. Wir beraten den Gesetzentwurf zwar heute in erster Lesung. Aber ich bitte Sie, Folgendes zu beachten: Die Vergütung gilt jeweils pro Abgabe. Das heißt, wenn ich zum Beispiel 100 Medikamente abgebe und es immer das gleiche Medikament ist, dann kommen ja schon 50 Euro zustande. Somit muss man das in der Summe sehen. Jedenfalls werden wir über die präzisen Summen noch diskutieren. Dafür gibt es Anhörungen; dafür wird es zum Schluss auch das parlamentarische Verfahren geben. Lassen Sie mich aber Folgendes in den Vordergrund stellen: Wir haben dieses Problem seit zehn Jahren. Jetzt gehen wir als Ampelregierung im Sinne einer Fortschrittsbeschleunigung dieses Problem an. Wir kommen sehr schnell mit einem durchdachten Gesetzentwurf, und wir setzen unser Vertrauen auf die Abgeordneten, hier im Detail noch die eine oder andere Verbesserung zu ermöglichen.
Presseecho:
- APOTHEKE ADHOC, 24.05.2023: Lauterbach: Werden über 50 Cent noch sprechen