Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken - Diskriminierungsschutz erweitern

Die Journalistin und Politologin Ferda Ataman ist neue Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Der Bundestag wählte sie am Donnerstag, dem 7. Juni 2022, mit Kanzlermehrheit. Kathrin Vogler begrüßt ihre Wahl und stellt ihren Antrag "Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken - Diskriminierungsschutz erweitern" vor.

Kathrin Vogler: "Mit der Wahl von Ferda Ataman ist eine couragierte Streiterin gegen Diskriminierung gewählt worden. Das knappe Wahlergebnis zeigt, die Ampel hatte keine eigene Mehrheit. Ich habe Ferda Ataman gewählt und begrüße ihre Wahl."

Parallel dazu hat Kathrin Vogler einen Antrag formuliert, den die Fraktion am 5. Juli verabschiedet hat. In diesem Antrag fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, die Antidiskriminierungsstelle sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auszubauen und zu erweitern. Mit der Einführung des Diskriminierungsmerkmals "sozialer Status" würde armen Menschen auch ein individuelles Klagerecht  - z.B. bei der Nichtvergabe eines Ausbildungsplatzes -  ermöglicht. Der Kampf gegen Diskriminierung muss endlich einen höheren Stellenwert erhalten.

Dokumentation:
Antrag "Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken – Diskriminierungsschutz erweitern"

Der Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Jan Korte, Heidi Reichinnek, Gökay Akbulut, Nicole Gohlke, Matthias W. Birkwald, Clara Bünger, Anke Domscheit-Berg, Susanne Ferschl, Ates Gürpinar, Dr. André Hahn, Ina Latendorf, Pascal Meiser, Cornelia Möhring, Petra Pau, Sören Pellmann, Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Jessica Tatti und der Fraktion DIE LINKE.

Der Bundestag wolle beschließen:

  1. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Alle Menschen können von Diskriminierung betroffen sein. Alle Menschen haben ein Lebensalter und durchlaufen Lebensphasen, in denen altersbezogene Diskriminierung vorkommen kann. Auch eine Behinderung kann jede_n betreffen.
Auf Grundlage von vier verbindlichen europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien trat in Deutschland nach zähem Ringen am 18.08.2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Das AGG soll helfen, Betroffene vor Diskriminierung zu schützen.

Als Diskriminierung verbietet es Ungleichbehandlung aus rassistischen Gründen (im Original: „Rasse“) oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Außerdem bildet das AGG die Grundlage für die Tätigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Die kürzlich durch den Bundestag beschlossene Änderung des AGG (https://dserver.bundestag.de/btd/20/013/2001332.pdf) hat das Parlament gestärkt und die ADS aufgewertet, sie soll in Zukunft Rechtsstreitigkeiten bei der Besetzung verhindern. Dies ist angesichts des vergangenen Rechtsstreits und der damit folgenden nur kommissarischen Besetzung der Leitung seit 2017 eine Verbesserung, genügt aber nicht:
Eine unabhängige Evaluation des AGG hat wesentliche Änderungen der ADS gefordert. Sie kam zum Ergebnis, dass die „finanzielle und personelle Ausstattung der ADS zu gering ist“ und deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt (Berghahn u.a., Evaluation des AGG, 2016, Seite 200f). Die personellen und materiellen Ressourcen der ADS wurden seit der Gründung nur mäßig angehoben. Neben der Beratung und Unterstützung für Betroffene gehören Öffentlichkeitsarbeit und Forschung zu den gesetzlichen Aufgaben der Stelle. Insbesondere diese Haushaltsposten sind im Verhältnis zum gesetzlichen Auftrag und im Vergleich zu den Bundesministerien dürftig bemessen. Seit Gründung der ADS sind in vielen Bundesländern und Kommunen neue Anlauf- und Beratungsstellen zur Antidiskriminierungsarbeit entstanden. Damit besteht die Notwendigkeit, die Antidiskriminierungsarbeit besser zu vernetzen und aufeinander abzustimmen. Weiterhin fordert die Evaluation die Errichtung der ADS als oberste Bundesbehörde – ähnlich wie beim Bundesbeauftragten für Datenschutz –, um ihre Unabhängigkeit und demokratische Legitimation zu unterstreichen (ebd., S. 176).

Außerdem ist das AGG in vielen Teilen reformbedürftig: Bei der Benennung der Diskriminierungsmerkmale wird der Begriff „Rasse“ verwendet, obwohl die Existenz von Rassen wissenschaftlich widerlegt ist (Bundeszentrale für politische Bildung, 2015, Rassen? Gibt’s doch gar nicht!, https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/213673/rassen-gibt-s-doch-gar-nicht/). Eine Formulierung, die Betroffene schützen soll, darf aber nicht zur Aufrechterhaltung von Diskriminierung beitragen (Deutsches Institut für Men-
schenrechte, 2020, Das Verbot rassistischer Diskriminierung), insbesondere nicht angesichts des gesellschaftlichen Ausmaßes von Rassismus: Die Auftaktstudie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung zum "Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ kam zu dem Ergebnis, dass 22% der Gesamtbevölkerung angibt, selbst Rassismus erfahren zu haben. Unter den Befragten, die sich selbst als Angehörige rassifizierter betroffener Gruppen bezeichnen, lag dieser Anteil bei 58 %. Die Befragung des Afrozensus kam sogar zu deutlich höheren Diskriminierungserfahrungen (https://afrozensus.de/reports/2020/#main).

Zudem schützt das AGG Betroffene nur unzureichend vor Diskriminierung: Es umfasst nicht alle Formen von Ungleichbehandlung, die es zu bekämpfen gilt. Vor allem das Diskriminierungsmerkmal „sozialer Status“ fehlt, obwohl gerade der soziale Status den Betroffenen viele Chancen verwehrt und andere Diskriminierungsmerkmale verstärkt(ADS, Jahresbericht 2019,). Dass die Kategorie „sozialer Stauts“ auch rechtlich handhabbar ist, zeigt die Rechtslage in anderen europäischen Ländern: Diskriminierung aufgrund dieses Merkmals oder vergleichbarer sozio-ökonomischer Merkmale ist in Belgien, Bulgarien, Finnland, Griechenland, Portugal und der Slowakei verboten ebenso im Landesantidiskriminierungsgesetz Berlin. In der Begründung zum Landesantidiskriminierungsgesetz Berlin wird dieses Merkmal definiert, u.a. mit Bezug auf Erwerbstätigkeit und Obdachlosigkeit (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/1996, S. 22f).

Ein individueller Schutz vor Diskriminierung wird zwar Armut, Niedriglöhne, mangelnden Wohnraum und andere soziale Ungerechtigkeiten nicht beseitigen. Er kann aber einzelne Ungerechtigkeiten bekämpfen – wenn zum Beispiel eine Arbeitslose trotz passender beruflicher Qualifikation nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird oder wenn einem Wohnungslosen trotz ausreichender Sozialleistungen der Mietvertrag verweigert wird. Ohnehin zeigt die Erfahrung mit dem AGG, dass über Einzelfälle auch die Aufmerksamkeit auf Strukturen gelenkt werden kann. Individuelle rechtliche Verfahren können Impulse für kollektive gesellschaftliche Kämpfe geben.

Die Notwendigkeit, die Diskriminierungsmerkmale weiterzuentwickeln, zeigt sich auch an anderen Beispielen. So ist etwa bei einer Ablehnung im Bewerbungsverfahren mit der Begründung „Ossi“ nach gefestigter Rechtsprechung kein Schutz durch das AGG gegeben (Doris Liebscher in: grundundmenschenrechtsblog.de/wir-sind-ein-volk-warum-wir-rechtsschutz-gegen-die-diskriminierung-als-ossi-brauchen/.

Änderungen sind weiterhin auch bei der Reichweite des AGG erforderlich, u.a. im Bereich Arbeit: Die Initiative „OutInChurch“ wies kürzlich auf die Diskriminierung queerer Beschäftigter bei kirchlichen Arbeitgebern hin (https://outinchurch.de/). Zwar bewirkte die Initiative ein gewisses Umdenken, aber dennoch bleiben queere Beschäftigte von Religionsgemeinschaften weiterhin von Kündigungen bedroht und sind wegen der sogenannten Kirchenklausel im AGG nicht angemessen geschützt. Auch in der Evaluation des AGG wird eine klare Begrenzung dieser Ausnahmevorschrift gefordert (Berghahn u.a., Evaluation des AGG, 2016, Seite 7). Auch die fehlende Barrierefreiheit insbesondere im privaten Bereich ist seit Jahren ein großes Problem. Dies muss geändert werden. Daher sind verbindliche Regelungen für die Privatwirtschaft notwendig.

Wirksamer Diskriminierungsschutz ist gerade in der aktuellen Situation notwendig. Die Leipziger Autoritarismus-Studie belegt, dass Vorurteilsstrukturen weiterhin auf einem erschreckend hohen Niveau in der Bevölkerung vorhanden sind (Decker/Braehler, Autoritäre Dynamiken, 2020). Dabei kommt die Abwertung von Minderheiten nicht nur vom rechten Rand, sondern wurde gerade in den letzten Jahren auch in der Mitte der Gesellschaft deutlich (ebd.). In der Auseinandersetzung um die COVID-19-Pandemie-Bekämpfung sind Vorurteile und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit besonders sichtbar geworden, etwa in antisemitischen, rassistischen, rechtsextremistischen und queerfeindlichen Äußerungen auf zahlreichen Veranstaltungen von sog. Corona-Kritiker*innen (Bundesinnenministerium, 2022, Politisch motivierten Kriminalität im Jahr 2021). Die rassistisch und antisemitisch motivierten Morde von München, Halle und Hanau haben extreme Folgen von gruppenbezogener Menschfeindlichkeit offengelegt.

Eine gut ausgestattete und professionell geführte ADS und ein praxistaugliches AGG wirken Vorurteilsstrukturen entgegen und sind ein Gewinn für alle Menschen, denn alle können von Diskriminierung betroffen sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorzulegen, wonach

1. der Begriff „Rasse“ gestrichen wird und durch „Diskriminierung aus rassistischen Gründen“ ersetzt wird,

2. die Diskriminierungsmerkmale um das Merkmal „sozialer Status“ erweitert wird,

3. die bestehende Schutzlücken im privaten und öffentlichen Bereich geschlossen werden, unter anderem mit einem umfassenden Verbandsklagerecht, verlängerten Klagefristen (insbesondere im Arbeitsrecht) und durch die Streichung der wohnungsrechtlichen Ausnahmetatbestände und der sog. Kirchenklausel, damit gegen Diskriminierungen strukturell und nachhaltig vorgegangen werden kann,

4. ausdrücklich geregelt wird, dass die Versagung angemessener Vorkehrungen gemäß Artikel 2 der UN-Behindertenrechtskonvention zur Herstellung von Barrierefreiheit eine Benachteiligung darstellt, sodass angemessene Vorkehrungen als subjektives Recht gegenüber der Privatwirtschaft einklagbar sind,

5. die Antidiskriminierungsstelle des Bundes künftig als oberste Bundesbehörde errichtet werden soll,

6. die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für ausgewählte Fälle ein eigenes Klagerecht erhält,

7. die Vielfalt der Verwaltung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestärkt wird, indem mit einer proaktiven Maßnahme die Bewerbung für Stellen in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Publikationen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Communities bekannt gemacht werden,

8. die finanzielle und personelle Ausstattung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes deutlich aufgestockt wird. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Forschung und Vernetzung der Antidiskriminierungsarbeit und

9. das AGG in regelmäßigen Abständen unabhängig evaluiert wird und die Ergebnisse bei der zukünftigen Ausgestaltung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und des AGG berücksichtigt werden.

Berlin, den 5. Juli 2022

Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion