Die NATO in Libyen – Friedensengel oder Todesbote?

eine Einschätzung von Kathrin Vogler

Mit der UN-Resolution 1973 hat sich der Sicherheitsrat mehrheitlich entschlossen, militärisches Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg umfassend zu legitimieren. Einzig „Besatzungstruppen“ werden von der Resolution (noch) ausgeschlossen. Die Bundesregierung hat sich im UN-Sicherheitsrat enthalten, unterstützt aber die Ziele der Resolution. Aktuell wird über einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen „humanitärer Hilfe“ nachgedacht. Das bedeutet aber letzten Endes eine Intervention mit Bodentruppen, die sich absehbar zu einer Besatzung wie im Irak oder in Afghanistan entwickeln würde.

Aus meiner Sicht ist die UN-Resolution 1973 kein Beitrag zu Frieden und Demokratisierung. Schon jetzt wird immer deutlicher, dass die unterstellte humanitäre Katastrophe erst mit Beginn der Militärintervention wirklich eingeleitet wurde, eine Parallele zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Die NATO-Truppen bombardieren aus der Luft, unter Inkaufnahme weiterer Opfer unter der Zivilbevölkerung und sogar unter den Truppen des „Nationalen Übergangsrats“. Die Rebellentruppen ihrerseits jagen schwarzafrikanische Arbeitsmigranten, die sie für Söldner Gaddafis halten. Das libysche Militär beschießt die von den Rebellen eroberten Städte, wobei ebenfalls ZivilistInnen sterben.

Die Aufständischen wurden, wie inzwischen bekannt wurde, über Jahre hinweg von der CIA betreut und aufgebaut. Die Vermutung liegt nahe, dass es ebenso wie in Jugoslawien nicht um Menschenrechte, sondern um Interessen und Einflusssphären geht. Wenn für den französischen Präsidenten Sarkozy, dessen Umfragewerte ein Jahr vor der Wahl hinter denen seiner beiden Konkurrentinnen liegen, vor allem innenpolitische Gründe eine Rolle spielen, so ist es für die US-Regierung und die sie stützenden Kräfte vor allem der direkte Zugriff auf das libysche Öl, der Interesse weckt.

Die NATO, die laut UN-Resolution ausschließlich die Zivilbevölkerung schützen soll, ist eindeutig Partei im Bürgerkrieg. Dabei steht sie auf der Seite bewaffneter Kräfte, die ebenso wenig legitimiert sind wie das Gaddafi-Regime und ebenso wenig den Schutz der Zivilbevölkerung im Auge haben. Die Bundesregierung hat hier eine unklare Haltung. Einerseits hat sie sich bei der Abstimmung im Sicherheitsrat enthalten. Dafür ist sie im eigenen Land massiven Angriffen von SPD und Grünen ausgesetzt. Deren Debattenredner im Bundestag warfen Merkel und Westerwelle vor, sie hätten sich damit aus der Bündnissolidarität verabschiedet und Deutschland in der westlichen Welt isoliert. Es ist schon erschütternd zu erleben, wie gerade Mitglieder der Grünen, die noch vor 25 Jahren riefen „Raus aus der NATO – rein ins Vergnügen“, heute in der NATO den Friedensengel sehen, der fern von Interessen nur den Schutz von Menschen und die Durchsetzung von Demokratie im Sinn hat. Die Bündnistreue steht für SPD und Grüne weit vor der Treue zu Frieden und Gewaltverzicht, wie sie unser Grundgesetz fordert.

Meiner Ansicht nach geht die Enthaltung der Bundesregierung nicht weit genug. Wäre sie konsequent, hätte sie mit Nein stimmen und in der NATO ein Veto gegen die Intervention einlegen sollen. Der darauf folgenden harten Auseinandersetzung mit Frankreich, Großbritannien und den USA wollte sich ein innenpolitisch angeschlagener Westerwelle aber wohl nicht aussetzen.

So spielen auch in die Entscheidungen der Bundesregierung völlig sachfremde, nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen in Libyen orientierte Faktoren hinein.

Eine politische Lösung des Konflikts ist weiterhin nicht in Sicht. Was jetzt passieren muss, um weitere Tote und Verletzte zu vermeiden, ist ein Waffenstillstand, zu dem absurderweise Gaddafi, nicht aber die vom Westen unterstützen Rebellen bereit sind. Anschließend muss es Verhandlungen über politische Lösungen geben. Wie die aussehen können, kann nicht von außen bestimmt werden. Letzten Endes kann nur das libysche Volk entscheiden, wie und von wem es künftig regiert wird.

Vergessen dürfen wir auch in diesem Zusammenhang nicht, dass Deutschland alle Diktatoren im Nahen Osten und in Nordafrika in der Vergangenheit mit Waffen beliefert hat. Sogar der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), hat dies jüngst im Deutschlandradio als „Fehler“ bezeichnet. Geändert wird aber nichts. Alle Anträge auf Stopp von Rüstungslieferungen an diktatorische Regime, die die Linksfraktion im Bundestag einbringt, werden von der Mehrheit des Hauses abgelehnt. Nichts gelernt?