Kathrin Vogler, Rede über Ebola und Verantwortung bei der Montagsmahnwache in Köln am 29.9.2014

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Kölnerinnen und Kölner,

ich möchte heute hier über Ebola sprechen. Das Ebola-Virus, das sich seit Februar dieses Jahres in einigen Ländern Westafrikas verbreitet hat und das sogar den UN-Sicherheitsrat beschäftigt hat.

Und ich möchte über Verantwortung sprechen. Bundespräsident Gauck hat im Januar dieses Jahres, also kurz vor dem aktuellen Ebola-Ausbruch, auf der so genannten Sicherheitskonferenz in München vor Hunderten geladenen Gästen aus Politik, Militär und Industrie gefordert, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen müsse. Nur versteht er offensichtlich darunter etwas ganz anderes als die meisten Menschen. Für mich heißt Verantwortung, dass man sich um andere kümmert, dass man darauf achtet, dass es ihnen gut geht. Für Gauck bedeutet Verantwortung die Vertretung der eigenen Interessen, genauer gesagt, die Vertretung der Interessen des Kapitals in der Welt und das vor allem mit militärischen Mitteln.

Aber zunächst mal Ebola. Was wissen wir über dieses Virus?

Es wurde 1976 entdeckt, ursprünglich in Zentralafrika. Der erste dokumentierte Ausbruch erfolgte in einem Hospital belgischer Schwestern durch den Gebrauch unsteriler Injektionsnadeln in Zaire, heute Demokratische Republik Kongo. Der aktuelle Ausbruch übertrifft alle bisher dokumentierten Ausbrüche um ein Vielfaches. Die Weltgesundheitsorganisation geht von einem exponentiellen Verlauf aus, alle drei Wochen verdoppeln sich die Erkrankungszahlen.

Nach bisherigem Wissensstand erfolgt die Übertragung sowohl unmittelbar von Kranken und Infizierten über deren Körperflüssigkeiten als auch mittelbar über Gegenstände und Wildtiere. Die Wildtiere scheinen auch ein Reservoir für den Erreger zu bilden, so wie das bei vielen Viren der Fall ist. Die Weiterverbreitung erfolgt allerdings dann von Mensch zu Mensch: Die Infizierten werden innerhalb von zwei Tagen bis drei Wochen schwer krank, sie bekommen hohes Fieber, Durchfall und Erbrechen, etwa die Hälfte der Betroffenen stirbt. Bislang wurden der Weltgesundheitsorganisation über 6.500 Fälle gemeldet, etwa 3.100 der Kranken sind bereits verstorben. Es gibt aber, auch das ist der WHO bekannt, eine hohe Dunkelziffer.

Die Verbreitung von Ebola ist relativ gut aufzuhalten, wenn die Erkrankten auf Isolierstationen behandelt werden. Auch die Überlebensrate verbessert sich, wenn die Symptome behandelt werden können, vor allem der Flüssigkeitsverlust und das Fieber. Ein Heilmittel existiert nicht und es gibt auch noch keinen Impfstoff, mit dem die noch nicht Infizierten geschützt werden könnten.

Die Regierungen der betroffenen Länder haben inzwischen mit drastischen Maßnahmen reagiert: Reiseverbote, Ausgangssperren und geschlossene Grenzübergänge sollen die weitere Ausbreitung des Virus behindern. Sicherheitskräfte durchsuchen die Wohnviertel nach Infizierten und nehmen diese mit. Ganze Stadtteile von Freetown oder Monrovia wurden unter Quarantäne gestellt. In Sierra Leone wurde sogar das Verstecken infizierter Angehöriger unter Strafe gestellt.

Die Weltgesundheitsorganisation hat den Ausbruch zum Internationalen Gesundheitsnotfall erklärt und die Staaten der Welt zu Hilfsmaßnahmen aufgerufen.

Im Zusammenhang mit dieser Epidemie kommen verschiedene Fragen auf, die man unter dem Stichwort "Verantwortung" stellen muss.

1. Warum wirkt sich gerade in diesen Ländern die Epidemie so schlimm aus?

Die bisherigen Ausbrüche von Ebola waren meist begrenzt. Die diesjährige Epidemie trifft jedoch auf eine Region, in der es bis vor kurzem verheerende Bürgerkriege und daraus folgende Flüchtlingsströme gegeben hat, und die besonders betroffenen Länder zählen zu den ärmsten der Welt. Weder Liberia noch Guinea noch Sierra Leone verfügen über ein Gesundheitswesen, das in der Lage wäre, die Epidemie aufzuhalten. Auch die Bundesrepublik Deutschland fördert mit ihrer Entwicklungshilfe Privatisierungen im Gesundheitswesen - nicht nur in Griechenland, sondern eben auch in Afrika. Privatisierte Gesundheitswesen sind aber nicht für alle zugänglich, sondern nur für die, die zahlen können. Auch deswegen verstecken die Menschen ihre kranken Angehörigen zuhause, obwohl sie damit riskieren, sich selbst anzustecken. Die Menschen in diesen Ländern haben aus Erfahrung kein Vertrauen in Einrichtungen des Gesundheitswesens, sofern diese überhaupt existieren. Ärzte ohne Grenzen hat die repressiven Maßnahmen, die Jagd auf Infizierte, kritisiert, weil diese genau das Problem des fehlenden Vertrauens verschärfen könnten. Und wie reagieren nun etwa die US-Administration und die Bundesregierung? Sie entsenden Soldaten nach Westafrika. - Logisch? - Nein, unlogisch!

Vergleichen wir: Das kleine Kuba mit 11 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von knapp über 7.000 US-Dollar pro Kopf entsendet 461 Gesundheitsfachkräfte nach Westafrika. Und das ist genau das, was jetzt dort gebraucht wird: Ärztinnen, Ärzte, Krankenpflegepersonal, Hygienefachkräfte, mobile Krankenhäuser, Isolierstationen, Desinfektionsmittel und steriles Material. Deutschland, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit einem Bruttoinlandsprodukt von 43.000 US-Dollar pro Kopf plant die Entsendung von 500 Freiwilligen aus der Bundeswehr, unter denen mit Glück auch der ein oder andere Sanitätsoffizier sein wird - allerdings frühestens in vier Wochen. Allein Ärzte ohne Grenzen, eine ehrenamtlich arbeitende Organisation, ist jetzt bereits mit über 1.000 Helferinnen und Helfern vor Ort. Die Organisation Cap Anamur, die gerade in Freetown ein leer stehendes Kinderkrankenhaus wieder in Betrieb nehmen will, hat die Bundesregierung um eine finanzielle Unterstützung von 200.000 Euro gebeten. Und was meint ihr, was das Auswärtige Amt dazu sagt? „Nein!“, sagt es, denn man könne nur Projekte fördern, die noch nicht begonnen worden sind. Diese bürokratische Reaktion kann man doch nur zynisch, blind und unmenschlich nennen. Man müsste doch jetzt alles tun, damit die Gesundheitseinrichtungen in den drei am schlimmsten betroffenen Ländern gestärkt werden, damit sie den Ansturm schwer kranker Menschen bewältigen können.

2. Wie kommt es, dass für ein Virus mit derart zerstörerischem Potenzial auch 38 Jahre nach seiner Entdeckung noch kein zugelassener Impfstoff verfügbar ist?

Ganz einfach: Wir haben es hier mit einem Virus zu tun, das ausschließlich in Entwicklungsländern vorkommt. Wäre das Verbreitungsgebiet von Ebola in Europa und Nordamerika, dann gäbe es sicher schon seit 20 Jahren einen Impfstoff oder sogar mehrere. Das hat damit zu tun, dass im globalen Kapitalismus die Entwicklung von Arzneimitteln und Impfstoffen privaten Gewinninteressen unterworfen ist. Und die Pharmaindustrie verdient eben an einem Mittel gegen Fußpilz oder Haarausfall für den globalen Norden weit mehr als an einem Mittel gegen Malaria, Tuberkulose oder eben Ebola für den globalen Süden. In Deutschland gibt es ungefähr 60.000 zugelassene Arzneimittel auf der Basis von etwa 20.000 verschiedenen Wirkstoffen. Nur wenige davon sind wirklich unverzichtbar, aber gerade mit den anderen verdienen Bayer, Böhringer und Co. viel Geld. Deswegen gehen 90 Prozent der Forschungsausgaben in die Erforschung von Krankheiten, die nur 10 Prozent der Weltbevölkerung betreffen. Und sowieso geben die Konzerne doppelt so viel für Marketing wie für Forschung aus. Und so sterben in Afrika, Lateinamerika und Asien weiterhin Jahr für Jahr eine Million Menschen an Malaria, die Hälfte davon Kinder, und 1,3 Millionen an Tuberkulose. Das ist ein Kriegsschauplatz, der niemals auf der ersten Seite der BILDzeitung und niemals als erste Meldung in der Tagesschau auftaucht.

Für mich heißt das: Existenzielle Dinge wie Gesundheit darf man nicht privaten Profitinteressen überlassen! Gesundheit ist ein Menschenrecht, keine Ware!

3. Wie schaut es wirklich aus, mit der internationalen deutschen Verantwortung?

Die Weltgesundheitsorganisation, die eigentlich solche Epidemien bekämpfen und gesundheitliche Vorsorge weltweit fördern soll, hat ein Budget von knapp 3 Milliarden Euro für zwei Jahre. Nicht einmal ein Drittel davon erhält sie von ihren Mitgliedsstaaten als regulären Beitrag, den Rest muss sie sich für konkrete Maßnahmen zusammenbetteln.

Die private Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung ist inzwischen der größte Finanzier der WHO-Programme. Eine Stiftung, die eng mit dem Nahrungsmittelkonzern Monsanto verbunden ist und ihr Kapital auch in ganz und gar nicht gesundheitsfördernden Unternehmen anlegt.

Privatisierung tötet!

Und Militarisierung tötet ebenfalls, nicht erst im Krieg! Mit nur 5 Prozent des deutschen Rüstungshaushalts könnte der Etat der Weltgesundheitsorganisation verdoppelt werden! Der Verzicht auf ein paar Auslandseinsätze, Kampfhubschrauber oder Fregatten könnte also zu mehr Gerechtigkeit und mehr Gesundheit beitragen.

Was geschieht aber statt dessen?

Die Ebola-Epidemie erweist sich ebenso wie die Waffenlieferungen nach Kurdistan zu einer PR-Aktion für die Rüstungslobby

Dass nun eine Bundeswehrmaschine auf dem Weg in den Senegal schon auf den Kanaren schlapp machte, nutzt die geschmeidige Kriegsministerin, "Stahlhelm-Ursula" von der Leyen, gleich mal für eine deutliche Ansage an die Haushaltspolitiker: Mehr Geld für die Bundeswehr soll das Allheilmittel sein, gegen Ebola ebenso wie gegen Terror.

Statt mehr Geld für öffentliche Gesundheitswesen in Ländern wie Liberia bereitzustellen, soll die Steuerzahlerin jetzt mehr für das Wohl der Aktionäre von Rheinmetall, Airbus Industries oder Krauss-Maffei zahlen.

Das nur absurd zu nennen, halte ich für eine gefährliche Untertreibung, das ist verbrecherisch! Diese Bundesregierung scheint neben ihrem offiziellen Koalitionsvertrag noch so etwas wie einen geheimen, zweiten zu haben. Der besteht nur aus einem Punkt: Förderung der Rüstungsunternehmen auf Teufel komm raus! Zuerst Leo-Panzer nach Saudi-Arabien, dann Gewehre und Pistolen in den Nordirak und schließlich noch ein paar Spielzeuge für Stahlhelm-Ursula und die Manöver im Baltikum. Pfui!

Verantwortung in der Welt sähe doch anders aus. Die Bundesregierung sollte sich ein Beispiel an Kuba nehmen und sofort qualifiziertes medizinisches Personal entsenden. Das Technische Hilfswerk, Ärzte ohne Grenzen, das Komitee Cap Anamur und andere Hilfsorganisationen sollten dafür mit den nötigen Mitteln unterstützt werden. Die Bundeswehr ist für solche Einsätze weder ausgebildet noch ausgestattet.

Mittelfristig brauchen wir ein ziviles Hilfswerk, das für Naturkatastrophen und medizinische Notlagen gut ausgestattet und jederzeit einsetzbar ist, mit gut ausgebildeten Helferinnen und Helfern, die für solche Einsätze von ihren Arbeitsplätzen freigestellt werden müssen.

Und wir brauchen auch wieder mehr öffentliche Forschung zu den Krankheiten der 90 Prozent. Mit öffentlich meine ich auch, dass die Ergebnisse dieser Forschung nicht in den Panzerschränken von Industrie und Militär verschwinden dürfen, sondern dass Patente, die auf Forschung mit Steuergeldern basieren, der Allgemeinheit gehören müssen.

Solange alle 15 Sekunden ein Mensch auf dieser Welt an Ebola, Malaria oder Tuberkulose stirbt, solange können mir die Herren Steinmeier und Gauck und die Frau von der Leyen mit ihrer so genannten Verantwortung gestohlen bleiben!