NEIN zum Bundeswehreinsatz im Mittelmeer – JA zu Abrüstung und Zerstörung von Massenvernichtungswaffen

Heute entscheidet der Bundestag über die Entsendung bewaffneter Streitkräfte zum Begleitschutz der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen an Bord des US-Schiffes „Cape Ray“. Völkerrechtliche Grundlage des Einsatzes ist die VN-Resolution 2118 vom 27. September 2013.

Heute entscheidet der Bundestag über die Entsendung bewaffneter Streitkräfte zum Begleitschutz der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen an Bord des US-Schiffes „Cape Ray“. Völkerrechtliche Grundlage des Einsatzes ist die VN-Resolution 2118 vom 27. September 2013.

Es geht um die Entsendung einer Fregatte der Bundesmarine mit bis zu 300 Soldaten in ein Einsatzgebiet, das laut Antrag der Bundesregierung das Mittelmeer, den Nordatlantik und angrenzende Seegebiete umfasst. Der Auftrag der Bundeswehreinheiten lautet Begleitschutz für die Cape Ray und Sicherung des Verbandes, Kontrolle des Seeverkehrs, See- und Luftraumüberwachung, Aufklärung und Lagebilderstellung in und über See, Austausch und Abgleich gewonnener Lagebildinformationen mit weiteren Akteuren im Rahmen des Auftrags sowie temporäre Führung der maritimen Operation. Das Schiff hat den eindeutigen Auftrag, im Bedarfsfall militärische Gewalt anzuwenden.

Als Pazifistin, die den Einsatz militärischer Gewalt ablehnt und die seit 35 Jahren für die Abrüstung und Vernichtung von Massenvernichtungswaffen streitet, ist die Entscheidung für mich, wie ich mich in dieser Situation zu verhalten habe, nicht einfach. Eine Enthaltung kommt für mich jedoch nicht infrage, denn ich muss mich entscheiden, ob ich diesen Bundeswehreinsatz mit potenziellem Kampfauftrag richtig oder falsch finde. Dem Zielkonflikt zwischen der grundsätzlichen Ablehnung von Bundeswehreinsätzen (bzw. der grundlegenden Ablehnung der Institution Bundeswehr als solcher) und der ebenso grundsätzlichen Unterstützung von Abrüstungsmaßnahmen kann ich nicht ausweichen. So sehr ich das Anliegen verstehe, die Fraktion in dieser Frage geschlossen agieren zu lassen, so sehr bezweifle ich, dass ein Formelkompromiss dazu beiträgt, zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln. Ein solcher Kompromiss führt eher dazu, dass nicht über die inhaltlichen Argumente diskutiert wird, was ich aber für dringend notwendig halte.

Ich muss also die Argumente für und wider abwägen und dann zu einer Entscheidung kommen, welche schwerer wiegen. An diesem Abwägungsprozess möchte ich euch gerne teilhaben lassen.

Dabei ist es erforderlich, sich sowohl mit den Details des Mandats als auch mit dem größeren Rahmen, in dem dieses Mandat beschlossen werden soll, auseinanderzusetzen. Wie bei allen Entscheidungen müssen auch hier mehrere Fragen beantwortet werden:

  1. Ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen sinnvoll?

Zweifelsohne ist eine Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ein ernstzunehmender Beitrag zur Abrüstung und zur Deeskalation im syrischen Bürgerkrieg. Sie ist ein notwendiger, aber keineswegs hinreichender Beitrag zu einer politischen Lösung in Syrien und zum Schutz der Zivilbevölkerung, zumal die Bundesregierung andere notwendige Beiträge wie etwa unbürokratische Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland nicht mit den gebotenen Nachdruck verfolgt.

Die Bundesregierung beteiligt sich an Land an der Beseitigung der syrischen Chemiewaffen. Nach der Hydrolyse auf der Cape Ray werden die Reststoffe zur Firma Geka in Munster gebracht und dort vernichtet. Das unterstützen wir. Es gibt also keinen Grund zu sagen, DIE LINKE lehne die Beteiligung an einer solchen Abrüstungsmaßnahme ab, wenn sie sich dem Einsatz von Bundeswehrsoldaten verweigert.



  1. Ist der Einsatz notwendig?

Ursprünglich sollte die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen in einer gemeinsamen Aktion des NATO-Russland-Rates von Einheiten der US-Marine und der russischen Marine geschützt werden. Nun heißt es in der Begründung des Antrags der Bundesregierung: „Vor dem Hintergrund der Krim-Krise wurden die Planungen für die ursprünglich angestrebte Absicherung der Hydrolyse durch eine gemeinsame Operation im Rahmen des NATO-Russland-Rates am 3. März 2014 suspendiert.“

Wer da was „suspendiert“ hat, wird aus guten Gründen verschwiegen. Tatsache ist, dass die NATO Russland, welches dessen Regierung maßgeblich am Zustandekommen der Vernichtungsaktion beteiligt war, aus der weiteren Planung für diese Operation ausgeschlossen hat und deswegen die USA (nicht die UN, nicht die Organisation für das Verbot chemischer Waffen) „alternativ um Unterstützung im Rahmen einer multinationalen Begleitschutzoperation … ersucht“ haben. (Zitate aus der Antragsbegründung)

Dieses Ersuchen wäre also überhaupt nicht nötig geworden, hätte nicht die US-Regierung im Rahmen ihrer „Sanktionsspirale“ gegen Russland auch die Beteiligung am Schutz der Cape Ray zum Sanktionsmittel erklärt.

DIE LINKE hat mehrfach erklärt, dass sie den Abbruch der Beziehungen zu Russland, sei es im Rahmen der G8, des Europarats oder auch des NATO-Russland-Rats für die falsche Reaktion auf die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine durch den Anschluss der Krim hält. Nun sollen wir aber zustimmen, diese Fehlentwicklung der internationalen Politik auch noch durch einen Bundeswehreinsatz zu decken? Für mich ist das ein starkes Argument gegen diesen Einsatz.

Zudem haben die USA gegenüber der Chemiewaffenkonventionsbehörde erklärt, den Schutz der „Cape Ray“ mit eigenen Truppen abzusichern und den so genannten „zweiten Ring“ in dem Einheiten anderer Staaten tätig werden sollen, als nur symbolische Maßnahme bezeichnet. DIE LINKE sollte reine Symbolpolitik im Sinne der US-Regierung nicht unterstützen. Die Informationen der Bundesregierung an die zuständigen Bundestagsausschüsse zu dieser Frage sind übrigens verwirrend unvollständig und widersprüchlich – ein Vorgehen, das mein Misstrauen erregt.



  1. Ist der Einsatz verhältnismäßig?
    Die Bundesregierung beschreibt in ihrem Antrag die Bedrohungslage „grundsätzlich niedrig“. Eine militärische Bedrohung der Mission sieht sie nicht, verweist lediglich auf die „potenziell vorhandenen Risiken und Bedrohungen, wie z.B. Organisierte Kriminalität, Piraterie oder Terrorismus.“ Dennoch soll das Operationsgebiet nicht nur das Mittelmeer, sondern auch den gesamten Nordatlantik und angrenzende Seegebiete umfassen. Warum ein derart großes Operationsgebiet mandatiert werden soll, erklärt die Bundesregierung nicht. Zudem sind die explizit genannten möglichen Bedrohungen solche, die nach unserer bisher einmütig vertretenen Auffassung eine polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Maßnahme begründen würden. Auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Aktion muss also eher negativ beantwortet werden.


  2. In welchem politischen Umfeld findet diese Mandatierung statt?

Die Bundeswehr wurde in den vergangenen 22 Jahren von den verschiedenen Bundesregierungen systematisch zur Einsatzarmee für weltweite Operationen und Kampfeinsätze umgebaut. Begonnen hat dies mit den „verteidigungspolitischen Richtlinien“, die der damalige CDU-Verteidigungsminister Rühe 1992 erließ. Damals noch wurde die Erweiterung des Bundeswehrauftrags von den Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen scharf kritisiert. Inzwischen jedoch haben sich alle Parteien im Bundestag mit Ausnahme der LINKEN bzw. der PDS an dieser systematischen Ausweitung des Bundeswehrauftrags zustimmend beteiligt. Begonnen hat dieser Prozess übrigens mit zwei Einsätzen, die für sich allein betrachtet einen ebenso harmlosen Eindruck erweckten wie der heutige: der Minensuche im Persischen Golf und dem Betrieb eines Lazaretts durch Sanitätseinheiten (euphemistisch die „Engel von Phnom Penh“ genannt) im Rahmen der VN-Blauhelmmission UNTAC in Kambodscha im Jahre 1991. Im Stile einer Salamitaktik wurden die Einsätze von Mal zu Mal deutlicher invasiv, bis hin zum völkerrechtswidrigen Bombardement auf Jugoslawien durch die Bundesregierung Schröder/Fischer 1998/99.



Die aktuelle Bundesregierung der großen Koalition treibt diesen Prozess weiter voran. Mit wohlfeilen Worten von der „globalen Verantwortung“ Deutschlands und einer „Bündnissolidarität“ nimmt die große Koalition Abschied von der noch unter schwarz-gelb proklamierten „Kultur der militärischen Zurückhaltung“.



Inzwischen befindet sich die Bundeswehr in der größten Legitimationskrise seit 1990. Der Krieg in Afghanistan ist desaströs gescheitert. Bis weit in die Regierungsparteien hinein verbreitet sich Skepsis am politischen Nutzen der Auslandseinsätze, wie man in der Anhörung des Auswärtigen Ausschusses zu den „lessons learnt“ des ISAF-Einsatzes deutlich wahrnehmen konnte. Drei Viertel der Bevölkerung lehnen Auslandseinsätze rundweg ab. Angesichts dessen kehrt die Bundesregierung anscheinend zur Legitimierungsstrategie von 1991 zurück: Kleine, überschaubarere Einsätze ohne offensichtlichen Kampfauftrag sollen die Akzeptanz der Auslandseinsätze insgesamt sowie der Einbindung in NATO-Kommandostrukturen und der Ausgestaltung der Truppe als „Einsatzarmee“ wieder erhöhen. Selbst aus Regierungskreisen wird unverhohlen der hohe „symbolische“ Wert dieses Einsatzes betont. Das widerspricht der auf der anderen Seite getätigten Argumentation von der Notwendigkeit diametral.


  1. Gibt es Alternativen?

Statt die Fregatte „Augsburg“ in diesen Einsatz zu entsenden, könnte die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass wie geplant die russische Marine zum Schutz der „Cape Ray“ eingesetzt wird. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Russland und der NATO wäre dies ein Beitrag zu Konfliktbearbeitung, dessen Wert nicht hoch genug einzuschätzen wäre. Auch muss hinterfragt werden, ob dieser Einsatz überhaupt notwendig ist, angesichts der eher abstrakten Bedrohungsszenarien.
Die Aktion könnte, statt unter einziger Verantwortung der USA, unter Leitung und Kontrolle der OPCW als multilaterale Mission durchgeführt werden.

Auch könnten die 7,2 Millionen Euro, welche für die Finanzierung des Einsatzes vorgesehen sind, zur Erhöhung der Unterstützung für die Vernichtung derzeit in Russland weitgehend ungeschützt lagernder C-Waffen-Bestände verwendet werden. Stattdessen wurden die Mittel dafür in den letzten Jahren systematisch verringert.



Zusammenfassung:

Der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen an Bord der Cape Ray und der Entsorgung der Reststoffe im deutschen Munster stimme ich vorbehaltlos zu.

Der Einsatz der Bundeswehr im Mittelmeer im Rahmen dieser Aktion ist für mich jedoch unter Berücksichtigung der Fragen nach dem Nutzen, der Notwendigkeit, der Verhältnismäßigkeit, möglicher Alternativen und vor allem des politischen Gesamtzusammenhangs abzulehnen.

Deswegen stimme ich mit NEIN.



Berlin, den 9.4.2014

Kathrin Vogler