Debatte um Organspende muss offen und transparent sein – Änderungen zum Gesetzentwurf angekündigt

Rede

Kathrin Vogler erklärt, warum sie den Gesetzentwurf zur Einführung der Entscheidungslösung bei der Organspendeerklärung so nicht mittragen kann, auch wenn sie das Grundanliegen teilt: Zentrale Fragen werden mit diesem Gesetzentwurf nicht angegangen, Transparenz, Offenheit und Vertrauen nicht hergestellt.

Die Zweifel an Hirntodkonzept und -diagnostik bleiben ausgeklammert, stattdessen setzen die Initiatoren des Gesetzentwurfs auf „intensives Konfrontieren und Nachhaken“ bei allen Bürgerinnen und Bürgern sowie auf eine Dokumentation der Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte. Für die notwendige Beratung und Aufklärung, die ergebnisoffen sein muss, wird kein Cent bereitgestellt, dafür aber Geld für eine technische Ausweitung der e-Card. Das macht nur Sinn, wenn für die Zukunft noch mehr Druck und auch Kontrolle angedacht wird.

Kathrin Vogler hält dagegen ein solidarisches Gesundheitssystem für das beste Mittel zur Förderung der Organspendenbereitschaft und kündigt Änderungsanträge von Abgeordneten der LINKEN an.


Rede im Wortlaut:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute reden wir über den Gesetzentwurf zur Einführung der Entscheidungslösung bei der Organspende. Ich möchte erklären, warum ich ‑ wie viele Mitglieder meiner Fraktion ‑ diesem so nicht zustimmen kann, und möchte für Veränderungen werben.

Wenn wir über Organspende reden, dann müssen wir auch über Ethik reden. Wir dürfen uns als gewählte Abgeordnete bei Fragen von Leben und Tod nicht darum herumdrücken, dass uns das Grundgesetz in Art. 1 einen besonderen Auftrag gegeben hat. Da heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Den Anspruch auf Würde kann ein Mensch nicht verlieren. Sie steht ihm jederzeit und uneingeschränkt zu, und es ist unser Auftrag, sie zu schützen. Weil der Prozess des Sterbens ein Teil des Lebens ist, gilt das Gebot des Würdeschutzes gerade auch für Sterbende. Im Umgang mit Sterben und Tod offenbart sich unser Verständnis von Menschlichkeit. Menschen dürfen nicht zum Objekt fremder Interessen gemacht werden, weil das ihre Würde verletzt.

Deswegen müssen wir beim Thema Organspende ganz besonders sensibel mit diesem Spannungsfeld umgehen. Auf der einen Seite gibt es die 12 000 schwerkranken Menschen, die sich von einer Organtransplantation die Chance auf wenigstens noch ein paar Lebensjahre, auf mehr Lebensqualität erhoffen. Die bloße Zahl gibt uns aber keine gute Vorstellung davon, was die Hoffnung auf ein Spenderorgan für diese Menschen und ihre Angehörigen bedeutet. Sie wissen: Damit ich leben kann, muss jemand anderes sterben ‑ jemand, der ein gesundes Herz, eine gesunde Niere oder eine gesunde Leber hat, die dann in meinem Körper weiterarbeitet und mich rettet. - Ich habe in meinem Bekanntenkreis, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehrere Betroffene, die diese Situation erleben oder erlebt haben. Ich wünsche jedem Einzelnen wirklich von Herzen das große Glück, durch ein passendes Organ gerettet zu werden.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, denen diese Organe entnommen werden sollen. Sie sind mit derselben Würde und denselben Rechten wie diejenigen ausgestattet, die die Organe empfangen sollen.

Das Kriterium des Hirntods - der Hirntod ist nach dem Transplantationsgesetz eine Voraussetzung für die Organentnahme - belässt uns einen Rest an Unsicherheit, ob ein Mensch noch lebend oder schon tot ist. Wir dürfen diesen Menschen also nicht zum Objekt machen, sondern müssen ihn so behandeln, wie er es vermutlich selbst entscheiden würde. Deswegen ist es ethisch absolut geboten, die Entscheidung, ob ich Organspender oder Organspenderin sein will, freiwillig, selbstbestimmt und gut informiert zu treffen, und zwar dann, wenn ich es noch selbst kann. Das haben schon mehrere Kolleginnen und Kollegen gesagt: Es entlastet die Angehörigen; es schafft Rechtssicherheit für das Krankenhauspersonal. Vor allem ist es für diejenigen, die die Organe bekommen sollen, wichtig, zu wissen, dass diese ihnen aus reiner Mitmenschlichkeit gegeben werden.

In einem Gesundheitswesen, das zunehmend nach rein wirtschaftlichen Erwägungen geführt wird, verlieren leider viele Menschen das Vertrauen, dass sie vom ersten bis zum letzten Moment ihres Lebens mit voller Achtsamkeit umsorgt und auch im Sterben als Mensch behandelt werden.

Ich bin überzeugt, dass das allerbeste Mittel zur Förderung der Organspendebereitschaft ein solidarisches Gesundheitssystem ist, eines, in dem der Mensch immer, unter allen Umständen und zu jedem Zeitpunkt im Mittelpunkt steht. Denn wer die Gewissheit hat, dass alles Notwendige getan wird, um ihn am Leben zu erhalten, um seine Würde zu wahren und ihn auch dann zu versorgen, wenn sich das einmal nicht mehr rechnet, der kann sich leichter mit dem Gedanken anfreunden, die eigenen Organe am Ende des Lebens jemand anderem zu überlassen und diesem damit weitere Lebenszeit zu schenken.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll jetzt die bisherige Zustimmungslösung durch eine Entscheidungslösung ersetzt werden. Das heißt, dass die Krankenversicherungen ihre Versicherten regelmäßig über Organspende informieren und zu einer Entscheidung auffordern sollen. So weit kann ich und kann auch die große Mehrheit meiner Fraktion absolut mitgehen. Schließlich ist Aufklärung die Voraussetzung für eine selbstbestimmte Entscheidung.

Aber es gibt bei uns auch erhebliche Kritik an diesem Gesetzentwurf. Selbstverständlich kann solch ein Gesetz, das von allen Fraktionsvorsitzenden gemeinsam eingebracht wird, immer nur ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Auffassungen sein. Aber ich habe den Eindruck: Hier wurde so lange nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, dass das Ergebnis nicht mehr den hohen Erwartungen entspricht.

So gibt es doch einen gewissen Widerspruch zwischen der ausgewiesenen Zielsetzung, die Zahl der Organspender zu erhöhen, und der Maßgabe, die Beratung ergebnisoffen zu führen. Auch können wir uns eine qualifizierte Beratung eigentlich nicht vorstellen, ohne dass es dafür Mittel gibt. Aber das ist gerade nicht vorgesehen. Wir brauchen doch ein Netz von Beratungsstellen, bei denen sich Menschen von Angesicht zu Angesicht beraten lassen können, ob sie eine solche Entscheidung treffen wollen.

Mittel in unbestimmter Höhe stellen Sie aber für den weiteren Ausbau der Telematikinfrastruktur für die elektronische Gesundheitskarte zur Verfügung. Zudem sollen künftig auch Krankenkassenmitarbeiter ein Schreibrecht bekommen. ‑ Auch wenn das zunächst geprüft werden soll: Wir haben Erfahrungen gemacht, wie in diesem Projekt mit Prüfungen umgegangen wird. - Ich meine, die Schaffung einer zentralistischen Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen ist und bleibt ein Irrweg; das wird auch nicht besser, wenn man die Karte mit weiteren Funktionen ausstattet.

Im Übrigen gibt es keinen sachlichen Grund, warum eine Organspendeerklärung in einer verschlüsselten Datei auf einem Chip oder Server zweckmäßiger sein sollte als der gute, alte Organspendeausweis, den uns Herr Brüderle vorhin gezeigt hat. Denn im Gegenteil: Die elektronisch gespeicherte Erklärung bedeutet weniger Selbstbestimmung, weniger Auseinandersetzung und weniger Sicherheit.

Wie muss ich mir das vorstellen? Wenn in Zukunft ein Azubi seine erste eigene Krankenversicherung abschließt, soll er erklären, ob er Organspender ist oder nicht. Weil er sich damit bisher noch nicht so richtig beschäftigt hat, trifft er vielleicht aus dem Bauch heraus die eine oder andere Entscheidung. Das wird auf der Karte eingetragen und ist damit für ihn erst einmal erledigt; aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn er dann mit 30 erstmals anfängt, sich mit der eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen, hat er vielleicht schon vergessen, dass er sich schon einmal entschieden hat. Wenn er mit 40 bei der Arbeit auf einer niederländischen Baustelle einen tödlichen Unfall erleidet, dann kann dort niemand feststellen, wie seine Entscheidung aussah; denn die deutsche E-Card funktioniert nur zusammen mit einem deutschen Heilberufsausweis. Außerdem schaffen Sie durch eine solche Regelung unterschiedliche Dokumentationsstandards nicht nur in Europa, sondern auch für gesetzlich und privat Versicherte; denn die privaten Versicherungsunternehmen machen bei der E-Card gar nicht mit.

Für mich ergibt dies alles nur einen Sinn, wenn man die Speicherung der Erklärung doch irgendwann nutzen will, um die Menschen zu kontrollieren und gegebenenfalls Druck auf sie auszuüben.

Herr Steinmeier hat darauf hingewiesen, dass es durchaus Debatten in diese Richtung gibt, zum Beispiel über finanzielle Anreize und Ähnliches. Er hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass eine solche Entwicklung unbedingt abzulehnen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Jens Spahn (CDU/CSU): Verschwörung! Verschwörung! Verschwörung!)

Es wäre auch absolut nicht geeignet, das Vertrauen in unser Gesundheitssystem zu verbessern und die Menschen davon zu überzeugen, dass eine Entscheidung zur Organspende für sie der richtige Weg und menschlich ist.

Es heißt, kein Gesetzentwurf verlasse dieses Haus so, wie er hineingekommen ist. Deswegen werde ich mich mit anderen Kolleginnen und Kollegen im weiteren Verfahren für die Streichung des Art. 2 des gemeinsamen Gesetzentwurfs einsetzen. Ich bitte dafür um Ihre Unterstützung.

Ich danke Ihnen.


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