Naziaufmarsch in Münster - Polizei drängt zivile Gegenaktionen massiv zurück

Persönlicher Bericht von Kathrin Vogler, MdB

Als parlamentarische Beobachterin der Linken im Bundestag bin ich mit meinem Mitarbeiter im Sperrbezirk im Rumphorstviertel unterwegs gewesen. Es war gespenstisch: Alle 50 Meter ein Polizeiposten, der uns kontrollierte und alle, die nicht im Viertel wohnen, des Platzes verwies. Das Rumphorstviertel ist ein reines Wohnviertel, eigentlich eine ruhige stadtnahe Lage. In einer Straße wohnen noch vorwiegend britische Soldaten und ihre Familien.

Die Route der Nazis war in zwei Ringen abgesperrt, einmal unmittelbar daran und einmal ein Stück weiter außerhalb. Ich habe, außer beim Besuch des US-Präsidenten in Berlin und beim NATO-Gipfel in Straßburg, noch nie so viel Polizei auf einem Haufen gesehen.

Wir gingen durch das Viertel, das von den AnwohnerInnen und ihren Kindern bunt und antifaschistisch dekoriert war. Im Hagenfeld in der Nähe des Bahnhaltepunkts Zentrum Nord sammelten sich ab 9 Uhr AnwohnerInnen, DemonstrantInnen und Neugierige, um die Nazis bei der Ankunft in Empfang zu nehmen.

Ein Stück weiter unten war an einem Haus eine größere Gruppe Menschen zu einem Geburtstagsbrunch versammelt. Etwa 30 der 70 Gäste waren von den Beamten an den Sperren trotz Einladung nicht durchgelassen worden. Als wir mit den Leuten sprachen, kam ein Beamter und wies sie an, die Straße zu verlassen. Auf ihre Rückfrage, ob es denn ok sei, sich auf dem Grundstück der Gastgeber aufzuhalten, bekamen sie die Auskunft, das ginge. Etwa eine Stunde später kam aber wieder die Polizei und drohte ihnen sogar auf dem Privatgrundstück einen Platzverweis an.

Eine weitere Gruppe hielt sich auf dem Gelände des ehemaligen Pastors der Epiphanias-Gemeinde zur Chorprobe auf. Die Polizisten an den Sperren ließen allerdings den Chorleiter und etliche SängerInnen nicht durch. Ein weiterer Pastor wurde von den BeamtInnen gehindert, ein Gemeindemitglied aufzusuchen, das um ein seelsorgerliches Gespräch gebeten hatte.

Viele AnwohnerInnen und BürgerInnen wurden am 3.3. massiv in ihrer Bewegungsfreiheit und ihren Grundrechten eingeschränkt, um den Nazis eine ungestörte Demonstration zu ermöglichen. So wurde ein 15-Jähriger, der vom Brötchenholen kam, nicht mehr nach Hause durchgelassen, weil er natürlich keinen Personalausweis besitzt.

Eine gewaltfreie Sitzblockade, die sich gegen 10 Uhr im Hagenfeld bildete, wurde um 11:00 von der Polizei für aufgelöst erklärt. Der leitende Beamte drohte den TeilnehmerInnen die Anwendung einfacher körperlicher Gewalt (bis zum Einsatz des „Mehrzweckstocks“) an und behauptete, sie befänden sich in einer „Verhinderungsblockade“, die nach dem Versammlungsrecht strafbar sei. Daraufhin verließen ca. 15 Menschen eingeschüchtert den Platz. Etwa 25 entschieden sich zu bleiben. Sie wurden auf der Straße sitzend von PolizistInnen umzingelt und direkt am Ort in Gewahrsam genommen. Die eintreffenden Nazis wurden in Gruppen an ihnen vorbeigeführt, einer der Veranstalter sogar einzeln in einer Art von „Besichtigungstour“, während der er auch Fotos von den Menschen in der Blockade machte. Der Vorwurf der „Verhinderungsblockade“ ist schon deshalb vollkommen an den Haaren herbeigezogen, weil die 25 Leute auf der Straße den Zugang der Nazis zum Aufmarschpunkt nicht einmal behindern konnten. Außerdem ist es eine rechtlich völlig unklar, ob gewaltfreie Blockaden einen strafbaren Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellen können.

Während die Nazis in die Durchsuchungszelte geführt wurden, machte einer von Ihnen mit einem großen Teleobjektiv Bilder von den Nazis, von den AntifaschistInnen, von AnwohnerInnen, Presseleuten und PolizeibeamtInnen.

Später haben wir gehört, dass auch protestierende AnwohnerInnen gefilmt und fotografiert wurden, sowohl von der Polizei  als auch von Nazis.

Etliche Nazis haben sich vermummt, während sie an den Fernsehkameras vorbeigingen. Dies belegen auch die Aufnahmen von WDR und anderen Sendern. Meines Wissens wurde keine/r von Ihnen deswegen verhaftet oder angezeigt, obwohl es sich bei Vermummung um ein Offizialdelikt handelt.

Auch diejenigen Nazis, die die GegendemonstrantInnen etwa mit dem Spruch „Linkes Gezeter – Neun Millimeter“ bedrohten, was m.E. mindestens den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, wurden nicht belangt.

Gegen 13 Uhr waren alle Nazis von der Polizei zum Aufmarschpunkt geleitet worden und die Polizei  entließ die festgehaltenen BlockiererInnen aus dem Gewahrsam. Zuvor wurden deren Personalien aufgenommen. Wir begleiteten sie aus dem gesperrten Bereich.

Kurz danach erreichte mich ein Anruf von meiner Kollegin Ingrid Remmers, MdB, die noch hörbar geschockt berichtete, wie sie während eines Deeskalationsversuchs von einer Beamtin angegriffen, gefesselt und verhaftet worden sei. Sie habe sich im Polizeipräsidium ausziehen müssen und sei erkennungsdienstlich behandelt worden, die Polizistin habe sie angezeigt, weil sie angeblich von ihr geschlagen worden sei.

Danach sind wir zu den DemonstrantInnen am Demopunkt West gegangen und bis zur Abfahrt der Nazis dort mit den DemonstrantInnen geblieben. Anschließend bin ich wieder in den (nun offenen) Sperrbezirk gegangen und habe mich dort mit AnwohnerInnen getroffen, die über ihre Erfahrungen berichtet haben. Sie waren extrem wütend darüber, dass die Polizei sich in keiner Weise an Zusagen gehalten hatte. Auch dass die Polizei morgens ihre Häuser und Gärten gefilmt und Menschen anlasslos auf Privatgelände festgenommen hat, empörte sie.

Dass Nazis sie fotografieren und bedrohen konnten, sich selbst vermummen konnten, ohne dass die Polizei eingriff, ließ sie an der Unparteilichkeit der Polizei zweifeln. Besonders empört waren sie, als sie dann über die Medien das Statement von Polizeipräsident Wimber hörten, der sich in ihren Augen mit fremden Federn schmückte. Wimber sagte sinngemäß: „Wir haben zugelassen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Protest ganz nahe an der Aufmarschroute zum Ausdruck bringen konnten.“ Für die AnwohnerInnen war das Spott und Hohn, denn sie hatten die Strategie der Polizei als absolut auf Verhinderung von Protest ausgerichtet erlebt.

Einer meinte sogar: „Wenn sie so agieren, dann verhindern sie, dass wir gemeinsam mit den jungen Antifas friedlich protestieren. Wollen sie vielleicht, dass die Jugendlichen nur noch Gewalt für hilfreich halten?“ 

Interessant ist noch, dass die AnwohnerInnen ihre Gäste vorab namentlich bei der Polizei melden sollten. Einige haben dies getan, andere haben sich geweigert, aber allen wurde der Zugang nur willkürlich gestattet oder verwehrt, Die Anmeldelisten lagen den BeamtInnen vor Ort nicht vor. Die Vereinbarungen, die die Polizei im Vorfeld mit den AnwohnerInnen getroffen hatten, waren den BeamtInnen vor Ort nicht bekannt. Es wäre sinnvoll, herauszufinden, was mit den Namenslisten der AnwohnerInnen geschehen ist und ob diese irgendwo aufbewahrt oder nach dem Tag vernichtet wurden.

In beinahe alle Berichten fiel der Begriff „unverhältnismäßig“. Den Nazis sei mit maximalem Aufwand zu ihrem Versammlungsrecht verholfen, die Rechte der BürgerInnen und der AntifaschistInnen dabei gering geachtet worden.

Die Gerüchte, die gestreut wurden, dass eine Polizistin von einer Demonstrantin mit Pfefferspray verletzt worden sei, erwiesen sich bald als Fake: Die durch Pfefferspray verletzten PolizistInnen waren samt und sonders „friendly fire“ aus den eigenen Reihen zum Opfer gefallen. Kein Wunder, denn welche Demonstrantin bei klarem Verstand nimmt schon Pfefferspray mit auf eine Demo.

Erheblichen Missmut gab es bei vielen DemonstrantInnen an der Westseite des Bahnhofs über die vom DGB angemeldete Kundgebung am Hohen Heckenweg. Dort habe der Veranstalter sich geweigert, ein Banner des Keinenmeter-Bündnisses aufzuhängen. Außerdem sei die Veranstaltung viel zu früh beendet worden, die TeilnehmerInnen seien nicht aufgefordert worden, an den anderen Kundgebungspunkten weiter zu demonstrieren.

In der Berichterstattung der Medien wurden AktivistInnen, die versucht hatten, an der Polizei vorbei in den Sperrbereich einzudringen, um sich an Aktionen Zivilen Ungehorsams zu beteiligen, vollkommen undifferenziert als „gewaltbereit“ diffamiert. Bis auf einen einzigen Flaschenwurf auf die Nazidemo ist aber von den GegendemonstrantInnen keinerlei Gewalt ausgegangen.

Fazit:

-        In Münster hat die Polizei am 3.3.2012 mit massiven Eingriffen in die Grundrechte Hunderter BewohnerInnen und Tausender GegendemonstrantInnen durchgesetzt, dass der Naziaufmarsch ungestört stattfinden konnte. Straftaten seitens der Nazis wurden ignoriert, Tausende Menschen aber unter Straftäterverdacht gestellt, 24 verhaftet, eine Abgeordnete bei der Ausübung ihrer Beobachterrolle verhaftet, ein Zwanzigjähriger durch massiven Gewalteinsatz schwer verletzt, PolizeibeamtInnen und AntifaschistInnen durch Pfeffersprayeinsatz der Polizei verletzt.

-        Der Polizeieinsatz gegen im Grundsatz friedliche BürgerInnen war absolut unangemessen, sowohl im Umfang, als auch in der konkreten Ausgestaltung. Die Polizeistrategie war geeignet, den BürgerInnen zu signalisieren, dass der Staat mit maximaler Härte gegen antifaschistisches Engagement vorgeht, die Nazis aber mit Samthandschuhen anfasst.

-        Für die Nazis ist dies ein großer Erfolg, den sie auf ihren Websites euphorisch feiern. Sie werden voraussichtlich versuchen, dies zu wiederholen.

-        Das erklärte Ziel, den Naziaufmarsch zu verhindern, konnte das Bündnis so nicht erreichen. Dazu trägt auch bei, dass noch zu wenig Menschen bereit waren, sich an Aktionen Zivilen Ungehorsams zu beteiligen und dass ein Teil des Bündnisses darauf auch gar keinen Wert gelegt hat.

-        Dennoch waren die Aktionen mit etwa 7000 Menschen ein organisatorischer und politischer Erfolg. Wenn die Nazis wiederkommen, gibt es jetzt Strukturen, die reaktiviert werden können, Erfahrungen, auf die zurückgegriffen werden kann. Beim nächsten Mal werden sich die AnwohnerInnen nicht mehr auf Zusicherungen der Polizei im Vorfeld verlassen.

-        Politisch muss darüber nachgedacht werden, ob ein solch massiver Polizeieinsatz und eine derart massive Einschränkung der Grundrechte tausender Menschen für die Durchsetzung des Demonstrationsrechts von 300 Rechten noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Bei einer Demonstration von 300 Menschen in Münster stellt die Polizei normalerweise etwa 3 Streifenwagen und zwei Motorräder zur Sicherheit ab.

-        Juristisch müssen die massiven Übergriffe einzelner PolizistInnen auf AntifaschistInnen m.E. ebenso Folgen haben wie die Untätigkeit gegenüber Straftaten der Nazis.

-        Gesellschaftlich brauchen wir eine Ermutigung zum Ungehorsam. Wenn uns jemand hindern will, uns den Nazis in den Weg zu stellen, dann brauchen wir viele Hundert oder Tausend, die sich dagegen gewaltfrei wehren und dafür auch bereit sind, die juristischen Konsequenzen zu tragen. Dieser Mut kommt aber nicht von allein, sondern nur aus einem Gefühl der Solidarität und der Gemeinschaft, wie dies bei den AnwohnerInnen des Rumphorstviertels zu spüren war. 

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