TTIP-Stoppen!-Konferenz war ein voller Erfolg

Unter dem Motto „TTIP stoppen“ diskutierten am Samstag, den 3. Oktober, rund 150 Interessierte in Münster über Hintergründe und möglichen Gegenstrategien zum geplanten transatlantischen TTIP-Abkommen. Zur Konferenz eingeladen hatte die Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Mit dabei war auch Sahra Wagenknecht (MdB,  stellv. Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE), die zum Abschluss der Konferenz sehr eindringlich vor den Folgen des Abkommens mit den USA warnte.

Zuvor wurde in verschiedenen Workshops über die unterschiedlichen Gefahren von TTIP diskutiert. Hubertus Zdebel (MdB, DIE LINKE) und Thorben Gruhl (No Moor Fracking, Niedersachsen) warnten vor den ökologischen Folgen von Erdgasförderung mittels Fracking. Flächendeckendes Fracking könnte demnach mit Abschluss des TTIP-Abkommens auch in Deutschland wahrscheinlicher werden. Im zweiten Workshop referierte Jörg Rostek (Mehr Demokratie e.V.) zu möglichen Auswirkungen von TTIP und anderer Handelsabkommen wie CETA und TISA auf die Demokratie. Insbesondere die geplanten Schiedsgerichte bei TTIP und CETA stellen demnach eine besondere Bedrohung für den Erhalt von demokratischen Entscheidungsprozessen dar.

Mit Interesse wurde auch der Workshop zu den „militärisch-machtpolitischen“ Motiven bei TTIP verfolgt. Die LINKE Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Mitglied im Auswärtigen Ausschuss) warnte vor einer „Wirtschafts-NATO“. TTIP sei „friedensgefährdend“ und würde die machtpolitische Konkurrenz – vor allem zwischen dem Westen auf der einen sowie Russland und China auf der anderen Seite – noch weiter verschärfen.  Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, kritisierte im vierten Workshop, dass Gesundheit immer stärker zur Ware verkommt. Mit TTIP würden derartige Prozesse noch weiter verstärkt.

Die Konferenz bot Gelegenheit, über weitere Perspektiven des Widerstandes zu diskutieren. Klaus Ernst (MdB, stellvertretener Fraktionsvorsitzender) und Alexis Passadakis (Attac) sprachen über parlamentarische und außerparlamentarische Widerstandsmöglichkeiten. Dabei herrschte große Einigkeit, dass die Demonstration am 10. Oktober nur ein erster Schritt sein kann und weitere Schritte der Vernetzung gegangen werden müssen.

Zum Abschluss der Konferenz sprach Sahra Wagenknecht zu den Teilnehmenden. Sie warnte eindringlich vor den Folgen des TTIP-Abkommens und kritisierte den drohenden Abbau vom Standards im Bereichen wie Daten-, Umwelt- oder VerbraucherInnenschutz. Wagenknecht appellierte an die Teilnehmenden, sich keinen Sand in die Augen streuen zu lassen: Selbst wenn die viel kritisierten Schiedsgerichte aus dem TTIP-Abkommen rausgenommen werden würden, gebe es immer noch die Möglichkeit über das CETA-Abkommen mit Kanada, dass Konzerne über Sondergerichte gegen sogenannte „Handelshemmnisse“ klagen: Viele internationale Konzerne hätten bereits Zweigstellen in Kanada. Die eindeutige Botschaft der Konferenz: TTIP, CETA und Co. bedrohen die Demokratie und haben lediglich das Ziel, Konzerninteressen auch institutionell abzusichern. Das Bündnis „Münster gegen TTIP“ verkaufte am Rande der Konferenz zahlreiche Bustickets für die Großdemo nach Berlin.

linksfraktion.de, 6. Oktober 2015

 

Kathrin Voglers Beitrag zur Konferenz:

 

TTIP: Schwere Risiken für ein demokratisches, solidarisches Gesundheitswesen im Interesse der Patientinnen und Patienten

Grundsätzlich können wir, da die Vertragstexte dem Bundestag nicht vorliegen und sich die Bundesregierung bei entsprechenden Nachfragen eher zugeknöpft zeigt, keine verlässlichen Aussagen treffen, wie sich TTIP auf einzelne gesellschaftliche Bereiche auswirken wird. Es gibt aber durchaus Anhaltspunkte aus den Erfahrungen mit anderen ähnlichen Abkommen und Hinweise auf Risiken und (Neben?)Wirkungen, welche die Gesundheitswesen dies- und jenseits des Atlantiks betreffen. Das soll hier versucht werden:

Das EU-USA-Investitionsschutzabkommen TTIP soll vor allem den gegenseitigen Marktzugang von Unternehmen regeln. Dabei wird eine Liberalisierung aller Marktbereiche angestrebt, die nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind. Im Gesundheitsbereich ist eine solche Ausnahme bislang ausschließlich für die Rettungsdienste vorgesehen.

Krankenhäuser

Mit TTIP droht nicht nur ein weiterer Privatisierungsschub im Gesundheitswesen, es könnte auch ein Hebel sein, mit dem die Rücknahme bisheriger Privatisierungen - etwa im Krankenhausbereich - verhindert werden soll. Mit den Investitionsschutzklauseln und den außergerichtlichen Schiedsverfahren könnten sich z.B. die Klinikketten Rhön und Fresenius, deren AnteilseignerInnen auch in den USA sitzen, gegen eine Kommunalisierung von Krankenhäusern wehren.

Auch eine gesetzliche Personalbemessung in den Kliniken, wie sie DIE LINKE und die Gewerkschaft ver.di fordern, könnte dann - wegen höherer Kosten - zu einer Klage auf entgangene Gewinne führen und zu entsprechenden Schadenersatzforderungen gegen den Bund.

Eine Umstellung der Krankenhausfinanzierung von den fatalen Fallpauschalen etwa auf ein Modell das Gewinne ausschließt, würde ganz schwierig sein.

Prävention

Die Vorbeugung von vermeidbaren Krankheiten könnte auf beiden Seiten des Atlantiks schwieriger werden. So fordert der Tabakkonzern Philipp Morris von Uruguay derzeit vor einem solchen Schiedsgericht Schadenersatz wegen entgangener Gewinne, weil der Staat großflächige Warnhinweise auf Tabakprodukten vorgeschrieben hat. Die Grundlage dafür ist ein solches Freihandelsabkommen zwischen den USA und Uruguay.

Krankenversicherungen

Bei den Privaten Krankenversicherungen soll es, das hat die Bundesregierung bereits bekannt gegeben, keinerlei Ausnahmen vom gemeinsamen Markt geben. Bei den gesetzlichen Krankenkassen ist das noch unklar. TTIP sieht sehr wohl Ausnahmen für öffentliche Einrichtungen ("public entities"), öffentliche Dienste ("public utilities") oder für staatliche Leistungen ("public funding") vor.

Inwieweit diese Ausnahmeregelungen aber für das deutsche System der gesetzlichen Krankenkassen gelten, ist offen. Denn dieses System ist ja kein staatliches, sondern weitgehend beitragsfinanziert. Zwar gibt die Bundesregierung an, für das deutsche Sozialversicherungssystem Schutzklauseln aushandeln zu wollen, sagt aber noch nicht genau, wie dieses sichergestellt werden kann. Die Gefahr, dass sich gewinnorientierte Konzerne in den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen einklagen können, kann man daher jetzt noch nicht ausschließen.

Arzneimittel

Arzneimittel sind derzeit der am stärksten wachsende Kostentreiber in den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland und in vielen anderen EU Mitgliedsländern. Dabei sind es vor allem die neuen, patentgeschützten Produkte, die die Kosten nach oben treiben. Die Investitionsschutzklauseln in TTIP könnten Versuche hintertreiben, diese Kosten zu bremsen, etwa indem sie kürzere Patentlaufzeiten verhindern oder eine staatliche Preisregulierung unmöglich machen. So fordert z.B. der Pharmakonzern Ely Lilly vom kanadischen Staat 500 Millionen US-Dollar, weil ihm dort zwei Patente wegen zu geringer Innovation aberkannt wurden. Auch besteht die Gefahr, dass europäische Konzerne ihre Gewinnerwartungen gegenüber der US-Regierung geltend machen, wenn die dort zuständige Food and Drug Administration mal wieder Medikamente, die sich als nicht ausreichend sicher erwiesen haben, vom Markt nimmt, während dieselben Medikamente in Europa weiterhin verkauft werden dürfen.

Medizinprodukte

Bei den Medizinprodukten, also z.B. Herzschrittmachern, Implantaten oder Infusionsbestecken gibt es bisher ganz unterschiedliche Zulassungsverfahren in den beiden Wirtschaftsräumen. Bei einer Harmonisierung droht eine Angleichung der Standards nach unten mit entsprechend schlechterer Versorgung der PatientInnen in der EU und in den USA.

Patente

In den USA dürfen auch medizinische Verfahren patentiert werden. Das bedeutet, dass wesentliche Innovationen in Diagnose- und Behandlungsverfahren nicht mehr frei zur Anwendung und Weiterentwicklung zur Verfügung stehen, sondern dass dafür Lizenzgebühren verlangt werden können. Das gefährdet die Therapiefreiheit und die kollektive Weiterentwicklung von medizinischen Standards. Und es droht ein Kostenschub durch eine weitere Umverteilung in private Taschen auf Kosten der Versicherten und PatientInnen.

Fazit

Mit TTIP besteht die Gefahr, dass die Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens verschärft und unumkehrbar gemacht wird und dass Prävention verhindert wird. Mit TTIP werden Profite über Gemeinwohlinteressen gestellt. Durch die Drohung von hohen Schadenersatzklagen werden demokratische Entscheidungen über Bereiche der Daseinsvorsorge faktisch unmöglich gemacht. Die Investitionsschutzabkommen sind ein Ausdruck eines "Vollkasko-Kapitalismus", der Profite garantiert, unternehmerische Risiken der Allgemeinheit auflädt und sich gegen jede grundlegende politische Veränderung immunisiert. Deswegen muss man sich jetzt gegen TTIP, CETA und ähnliche Abkommen zur Wehr setzen.