TTIP und die Gefahren für die Gesundheitsversorgung

TTIP und CETA bedeuten einen breit angelegten Angriff auf soziale Rechte, unsere Kultur, den Umwelt- und Verbraucherschutz, aber auch auf die öffentliche Daseinsvorsorge, im Interesse der Industrie und von Kapitalanlegern. Die Gefahren von Vertragswerken wie TTIP und CETA beruhen nicht nur darauf, dass die Intransparenz riesig ist und Parlamente nicht beteiligt werden. Bei dem, was geleakt und als Zwischenergebnis bekannt geworden ist, gibt es jede Menge brisanter Punkte, auch für das Gesundheitswesen.

Der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen wird immer breiter. Auch im Gesundheitswesen warnen jetzt Ärzteorganisationen und Apothekerschaft vor schwerwiegenden Eingriffen, die TTIP für das Gesundheitssystem haben könnte.

Nebelkerzen der Bundesregierung

Gerade weil die Bundesregierung durch eine gebetsmühlenartige Wiederholung einlullen und suggerieren will, dass im Gesundheitswesen angeblich nichts geändert würde, ist es notwendig, genau hinzusehen.

So erklärt sie in der Antwort auf eine Frage des gesundheitspolitischen Sprechers der Linksfraktion Harald Weinberg, "aus Sicht der Bundesregierung" würde TTIP die Gesundheitsversorgung und den Patientenschutz nicht einschränken. Das klingt schön, ist aber überhaupt keine Garantie. Denn was "aus Sicht der Bundesregierung" mit Stand 26. Mai 2015 gilt, kann am Ende der Verhandlungen der EU mit den USA wieder anders aussehen.

Die Bundesregierung schreibt weiter, sie sähe durch TTIP keine Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung, und sie wolle keine Verpflichtungen zu einer Marktöffnung im Gesundheitssektor. Im Nachsatz wird allerdings ergänzt bzw. eingeschränkt, dass sie lediglich "keine Verpflichtungen, die über das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS hinausgehen", unterzeichnen würde. Auch hier gilt es doppelt hinzuschauen: Welche Einschränkungen sind bei GATS verhandelt worden? Welche Auswirkungen hatten sie bislang? Oder hatten diese Einschränkungen zwar bislang noch keine Auswirkungen, könnten jedoch nach den durch TTIP geänderten Rahmenbedingungen welche entfalten?

Unwägbarkeiten und Zeitbomben

Denn die Folgen dieses Abkommens, die Festlegungen, was zur Anwendung kommt und in welcher Ausgestaltung Umsetzungen erfolgen, werden nicht nur durch den Vertragstext, sondern auch durch Anhänge, weitere Protokolle und Annexe festgelegt. Das heißt, viele der ultra-kritisch zu sehenden Punkte werden erst später auftauchen und dann auf dem Verwaltungswege ggf. bürger- und demokratiefern geregelt.

Wenn sich dann die administrative Ebene und irgendwelche Regulierungsbehörden vom Parlament verselbständigen, ist das das Ende der Demokratie. Was zunächst ganz harmlos und unverbindlich daherkommt, kann später unter Umgehung der Volksvertreterinnen und -vertreter ratifiziert und umgesetzt werden. Das ist Verfassungsbruch!

Ungenauigkeiten im Vertragstext

Eine Grundkritik richtet sich nicht zuletzt gegen unklare Begriffe bei TTIP:

  • Was ist z.B. unter "public utilities", "public entities" oder "public funding" zu verstehen?
  • Wird später einmal vor irgendwelchen Schiedsgerichten darüber entschieden, und sind deshalb alle beschwichtigenden Worte der Bundesregierung nichts wert?

Die Bundesregierung betont zwar, für "public utilities" würden Ausnahmeregelungen getroffen. Der Begriff entspräche dem, was in Deutschland unter öffentlicher Daseinsvorsorge verstanden würde, und dieser Terminus wäre auch schon bei GATS so definiert. Doch das reicht nicht aus, um die berechtigte Angst vor fatalen Folgen durch TTIP fallen zu lassen. Zu unwägbar sind die Folgen aus den Geheimverträgen.

Krankenkassen

So bestehen berechtigte Zweifel, dass das alles so harmlos sein wird, wie es die Bundesregierung behauptet:

  • Gelten die behaupteten Ausnahmeregelungen für die Sozialversicherungssystem auch für das Konstrukt in Deutschland, wo nicht staatliche Organisationen, sondern vorwiegend die Selbstverwaltung für das Gesundheitssystem zuständig ist, also Krankenkassen, Kassenärztliche Bundesvereinigung etc., und wo nebenbei auch noch das Parallelsystem mit der privaten Krankenversicherung anstelle einer solidarischen Gesundheitsversicherung praktiziert wird?
  • Werden auch für beitragsfinanzierte Sozialversicherungssysteme, bei denen kein oder nur ein kleiner Teil an Steuerzuschüssen und Staatsfinanzierung besteht, entsprechend sichere Ausnahmebestimmungen erlassen?

Das schlimmste Szenario wäre, dass die Ausnahmeregelungen für die Selbstverwaltung gar nicht oder nur sehr eingeschränkt gelten. So kann es durchaus sein, dass amerikanische Versicherungskonzerne dies zu einem späteren Zeitpunkt erstreiten, und zwar nicht vor öffentlichen Gerichten.

PKV forever

Für das Segment der privaten Krankenversicherungen soll es auf keinen Fall Ausnahmeregelungen geben. Somit wird zumindest alles, was den Neuzugang zum PKV-Markt beschneiden würde, nach TTIP verboten sein. Anhebungen der Versicherungspflichtgrenze oder längere Fristen bei der Wechselmöglichkeit wären dann untersagt.

Bürgerversicherungsmodell good night

Aber vor allem wäre TTIP das Ende eines Bürgerversicherungsmodells, so wie sich DIE LINKE eine solidarische Gesundheitsversicherung vorstellt: Nämlich EINE Versicherungsform für alle, bei Abschaffung der privaten Krankenversicherung für den Bereich der umfassenden medizinischen Versorgung. Die private Krankenversicherung soll es nach unseren Vorstellung nur noch für den Zusatzbereich wie Einbettzimmer, Chefarztbehandlung usw. geben. Das wäre unter TTIP nicht zu machen.

Auch wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass Investitionsschutzklagen nicht darauf gerichtet sein könnten, Marktzugang einzuklagen, sondern nur dem Schutz bereits getätigter Investitionen gegen nachträgliche Beeinträchtigungen durch staatliche Maßnahmen dienen sollen, ist dies leider keine wirklich tröstende Aussage. Denn damit würde es einem transatlantischen Konzern reichen, notfalls mit einem Mini-Standbein schon auf dem Versicherungs- oder Krankenhausmarkt vertreten zu sein, um eine Klagemöglichkeit zu haben gegen jede Maßnahme, die staatlicherseits die Gesundheitsversorgung regeln will. TTIP würde zum Würgegriff für jegliche Bemühungen, das Gesundheitssystem zu demokratisieren.

Werden Medizinprodukte sicherer?

Die Bundesregierung sieht angeblich die Chance, dass auch Medizinprodukte "auf beiden Seiten gesundheitsgerechter und sicherer" werden könnten. Heutzutage werden Patientinnen und Patienten durch amerikanische Regelungen oft besser geschützt als in Europa. Wenn nun laut Bundesregierung die geltenden Bestimmungen harmonisiert und somit Wettbewerbsregelungen zwischen der EU und den USA vereinheitlicht würden, dann heißt das noch lange nicht, dass die höheren Standards zur Regel werden. Es kann auch genau in die andere Richtung gehen!

Was die Bundesregierung nicht zugibt: Auf europäischer Ebene ist es nicht zuletzt die industriefreundliche Haltung der deutschen Bundesregierung, durch die eine Stärkung des Patientenschutzes bei der Überarbeitung der EU-Medizinproduktrichtlinie verhindert wird. Darum kann befürchtet werden, dass es durch TTIP im Bereich Medizinprodukte auf beiden Seiten des Atlantiks zukünftig industriefreundlicher und patientengefährdender zugehen kann.

Wildwuchs bei Krankenhäusern befürchtet

Noch ist nach Äußerungen der Bundesregierung keine Formulierung für eine öffentliche finanzielle Unterstützung defizitärer kommunaler Krankenhäusern gefunden, aber diese Möglichkeit der öffentlichen Finanzierung soll angeblich nicht gekappt werden. Private Klinikkonzerne versuchen jedoch schon heute, über die europäische Ebene gegen kommunale Defizitausgleiche zu klagen. TTIP wird ihnen noch mehr Munition liefern, auch wenn die Bundesregierung beteuert, dass sie das ausschließen will.

Projekte wie die Rekommunalisierung von Krankenhäusern, die bereits in privater Hand sind, würden durch TTIP zusätzlich erschwert bzw. unmöglich gemacht. Unter Verweis auf das CETA-Abkommen mit Kanada behauptet die Bundesregierung zwar, der Spielraum für die Politik würde nicht geschmälert. Doch ist zu befürchten, dass kleine Kommunen im Rechtsstreit gegen US-amerikanische Konzerne und deren Rechtsanwälte-Stab nach TTIP kaum eine Chance haben würden.

Fraglich bleibt zudem, ob die Bundesländer nach TTIP überhaupt noch eine Krankenhausplanung vornehmen dürften. Fachleute bezweifeln dies, und das wäre für die flächendeckende Sicherstellung der stationären Versorgung und für die Ausgabenseite der Krankenkassen katastrophal.

Der Arzneimittelmarkt als Gelddruckmaschine?

Im Bereich Arzneimittel gibt es gleich eine ganze Reihe von Befürchtungen, die von der Bundesregierung nicht ausgeräumt werden:

  • Werden staatliche Eingriffe auf dem Medikamentenmarkt überhaupt noch möglich sein oder wird gegen jegliche staatliche Regulierung wegen Behinderung von Investitionsabsichten und entgangenen Profiten geklagt werden?
  • Werden Zwangsrabatte, staatliche Preisfestsetzungen oder Festbeträge bei den exorbitant teuren neuen Pillen durch TTIP verboten?
  • Dürfte der Staat einspringen oder eine Zwangszulassung verfügen, wenn Hersteller einige Medikamente vom deutschen Markt zurückziehen, nur weil ihnen die Bewertung des Zusatznutzens durch das unabhängige Institut IQWiG nicht positiv genug war und demzufolge der Preis, den die Krankenkassen zahlen, zu niedrig ist?
  • Darf sich der Staat nach TTIP überhaupt noch an der Entwicklung und ggf. auch Patentierung von Arzneimitteln beteiligen?
  • Wird die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch TTIP freigegeben?
  • Und droht durch TTIP der Ausbau des Patentschutzes, was den großen Konzernen höhere Rendite bescheren, aber den Sozialsystemen sowie den Patientinnen und Patienten höhere Kosten bereiten würde, schlimmstenfalls gar aufgrund des höheren Preises den Zugang zu diesen Medikamenten versperren würde?
  • Wären ggf. horrende Schadensersatzklagen zu befürchten, wenn staatlicherseits wegen des Patientenschutzes eine Zulassung verweigert oder zurückgezogen würde?

Dass die USA durchaus Regelungen zur Preisfestsetzung und Erstattung bei Arzneimitteln in TTIP verankern wollen, ist bekannt geworden. Ein konkreter Text scheint aber bislang noch nicht vorzuliegen. Die Äußerungen der Bundesregierung zu diesem Thema bleiben schwammig und unzureichend:

  • "... sind nach Kenntnis der Bundesregierung bislang kein Verhandlungsgegenstand"
  • "... wird die Bundesregierung auch in TTIP entsprechende Regelungen nicht anstreben"

Das Schlimmste befürchten lässt folgende Äußerung der Bundesregierung zu dem Abkommen mit Kanada, das an vielen Punkten zum Vorbild genommen wird: "Das CETA-Abkommen enthält keinerlei Regelungen, die künftig allgemeingültige und verhältnismäßige Änderungen des gesetzlichen Rahmens des Arzneimittelmarktes ausschließen würde".

Es sollen also nur noch "verhältnismäßige" Eingriffe des Staates erfolgen dürfen, was eine Beschränkung der oft extrem hohen Gewinnmargen oder gar Eingriffe in das Eigentumsrecht, Zwangszulassungen etc. ausschließt. Das heißt im Klartext: Staatliche Maßnahmen mit dem Ziel, die Nutzenbewertung von Arzneimitteln auszubauen, eine Orientierung der Mondpreise auch an den Kosten für Forschung und Entwicklung vorzusehen oder die Preise vor allem für jene neuen Arzneimittel, die oft 30.000 oder gar 100.000 Euro pro Patient im Jahr kosten und zu einem Ausbluten der Krankenkassen führen, durch den Staat festzusetzen, wären zukünftig für immer und ewig ausgeschlossen. Das darf nicht sein.

Auch für die Beschäftigten im Gesundheitswesen wird es nicht besser

Zusätzlich müssen natürlich die Auswirkungen von TTIP auf Arbeitsschutz und Löhne derjenigen, die im Gesundheitssystem arbeiten, sowie beispielsweise seine Folgen für die Umwelt beleuchtet werden. Dazu und zu vielen anderen Aspekten, die durch TTIP betroffen sind, hat die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag eine Sonderseite eingerichtet.



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