Ostermarsch 2018: Rüstungs- oder Sozialstaat? Wir müssen uns entscheiden!

In ihrem Redebeitrag auf der Auftaktveranstaltung des Ostermarschs Rhein-Ruhr in Duisburg am 31. März 2018 konstatiert Kathrin Vogler: 60 Jahre nach den ersten Ostermärschen und viele Demonstrationen und Aktionen später, kämpft die Friedensbewegung immer noch gegen Aufrüstung, Atomwaffen und die Militarisierung der Außenpolitik. Und heute wie damals gilt: eine Welt, in der alle Menschen friedlich und würdevoll leben, ohne Armut und Zukunftsangst, ist möglich, wenn wir umverteilen, wenn wir abrüsten statt aufrüsten!

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor 60 Jahren, am 25. März 1958, stimmte der Deutsche Bundestag für die Aufstellung von Atomwaffen in der Bundesrepublik Deutschland.

Mit Demonstrationen, Mahnwachen, Gottesdienste und Plakataktionen begannen die Menschen sich gegen diese schicksalhafte Entscheidung zu wehren.

In Großbritannien hatte sich Anfang des Jahres die Kampagne für atomare Abrüstung gegründet. Und sie organisierte an Ostern, am ersten Aprilwochenende 1958 einen Protestmarsch mit 10.000 Menschen von London zum Atomforschungszentrum Aldermaston.

Eine Woche später protestierten in Westdeutschland sogar anderthalb Millionen Menschen mit Streiks und Demonstrationen und dem Slogan „Kampf dem Atomtod“ gegen die Atombewaffnung der NATO. Die Ostermarschbewegung war geboren.

Und heute, viele friedensbewegte Demonstrationen, Proteste, Unterschriftensammlungen und gewaltfreie Aktionen später, stellen wir fest:

Vielleicht ist es heute wieder mindestens ebenso wichtig wie vor 60 Jahren, oder vielleicht sogar wichtiger, gegen Aufrüstung und Kriegspolitik auf die Straße zu gehen. Denn heute geht es wie damals darum, einen Kalten Krieg und eine gigantische Aufrüstungswelle aufzuhalten.

Aber es geht noch um mehr, denn anders als vor 60 Jahren steht heute die Bundeswehr in 16 Auslandseinsätzen auf der Welt, sie marschiert mit der NATO an der Westgrenze Russlands auf und Deutschland ist auf jedem Kriegsschauplatz der Welt vertreten: Mit deutschen Waffen und Rüstungsgütern.

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es:

"Unser Land wird gemeinsam mit unseren Nachbarn in Europa in Zukunft mehr eigene Verantwortung für seine Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit übernehmen müssen"

Was heißt das wirklich? Sie reden von internationaler Verantwortung, von Sicherheit und Verteidigung und sie meinen mehr Rüstung, neue Atomwaffen, Anschaffung von Drohnen und die Militarisierung der Europäischen Union.

Nach dem Willen der NATO soll der Militärhaushalt in allen NATO-Ländern künftig auf zwei Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung steigen. Damit wäre er in Deutschland mit über 70 Mrd. Euro doppelt so hoch wie heute - jeder fünfte Euro, den wir mit unseren Steuern bezahlen, ginge ans Militär und in die Rüstungsindustrie. Zum Vergleich: Russland hat 2017 etwa 50 Milliarden Euro für sein Militär ausgegeben. Wenn jetzt wieder die Politiker*innen der Regierungsparteien von Nachrüstung und strategischem Gleichgewicht faseln, dann kann man das wirklich nur noch als Propagandalügen der Waffenlobby bezeichnen.

Dabei müssen wir uns doch nur hier in Duisburg umsehen und wir wissen, wofür dieses Geld eigentlich gebraucht wird:

Jedes vierte Kind im Grundschulalter kommt hier ohne Essen in die Schule. Weil die Familien arm sind. Weil die Eltern den Kindern nichts zu essen mitgeben können.

Die Schulen sind marode und es gibt zu wenig Lehrkräfte. Die Gewerkschaft GEW schrieb kürzlich einen Brandbrief an die NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, in dem sie vorrechnet, dass an den Duisburger Schulen mindestens 160 Sonderpädagog*innen fehlen, um Kinder mit besonderem Förderbedarf angemessen betreuen zu können. Auf diese Art und Weise kann die viel gerühmte Inklusion überhaupt nicht stattfinden!

Und diese Probleme gibt es natürlich nicht nur in Duisburg!

In der letzten Legislaturperiode genehmigte der Bundestag Rüstungsprojekte für rund 32 Milliarden Euro; also für durchschnittlich acht Milliarden Euro pro Jahr.

Das ist in etwa auch die Summe, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau als Investitionsbedarf an den maroden Schulen in NRW veranschlagt wird! [1]

Oder: Wenn die Bundesregierung nur auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr verzichten würde, dann könnten mit den eingesparten 800 Millionen Euro über 16.000 neue Vollzeitstellen für Erzieher*innen geschaffen werden. Eine gute Personalausstattung in den Kitas ist eine Voraussetzung dafür, dass Kinder einen guten Start auf ihrem Lernweg haben. [2]

Wer eine Bildungsrepublik Deutschland will, der muss den Einfluss der Rüstungslobby zurückdrängen und Mittel freimachen für Kitas, Schulen und Hochschulen!

Noch ein anderes Beispiel:

Um das NATO-Aufrüstungsziel zu erreichen, müssten die Rüstungsausgaben um mindestens 30 Milliarden Euro jährlich angehoben werden. Davon könnte man jedem Menschen die kostenfreie Nutzung des Nahverkehrs ermöglichen und noch 10 Milliarden jährlich in den Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs investieren. Zum Beispiel in die Barrierefreiheit von Bahnhöfen, in dichtere Netze und bessere Taktzeiten und so weiter. Damit würden unsere Städte und Dörfer auch ohne Auto lebenswert und auch ein geringes Einkommen würde nicht mehr bedeuten, dass man sich Mobilität nicht leisten kann.

Deswegen sage ich: Wir müssen uns entscheiden: Rüstungs- oder Sozialstaat?

Und ich sage klar: Ich möchte einen Staat, in dem die Schere zwischen Arm und Reich wieder geschlossen wird.

Ich möchte einen Staat, in dem jedes Kind das Recht auf eine erstklassige Bildung hat und jeden Tag eine kostenlose warme Mahlzeit bekommt.

Und ich möchte einen Staat, der die Bedürfnisse der Mehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt seines Handelns stellt und nicht die Interessen der Rüstungskonzerne und ihrer Eigentümer!

Dass jetzt, in diesem Augenblick, die Qualitätsprodukte der Firmen Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall in Afrin gegen die Kurdinnen und Kurden eingesetzt werden, und dass die Bundesregierung noch nach Beginn der türkischen Invasion in Nordsyrien Rüstungslieferungen an die Türkei im Wert von 4,4 Millionen Euro genehmigt hat, das ist eine Schande für Deutschland!

Während türkische Soldaten in deutschen Leopard-Panzern in Syrien Jagd auf Kurdinnen und Kurden machen, schweigt die Bundesregierung. Sie hat es noch nicht einmal geschafft, dieses Vorgehen als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich völkerrechtswidrig! Das ist Hilfestellung zum Völkerrechtsbruch!

Und schlimmer noch: Die deutschen Behörden verfolgen diejenigen, die hier im Land auf das Unrecht hinweisen und schränken die Demonstrationsfreiheit ein, um Erdogan politisch den Rücken freizuhalten. Neuerdings werden Menschen, die eine Friedensdemonstration anmelden wollten, von der Polizei gefragt, ob denn da auch Kurd*innen teilnehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Polizei, sehr geehrter Herr Innenminister Reul, von dem diese Anordnung kommt: Selbstverständlich fragen wir hier niemanden nach seiner Nationalität. Wir sind die Friedensbewegung und nicht die AfD!

Und natürlich nehmen an unseren Friedensdemos auch Kurdinnen und Kurden teil, das ist doch gar keine Frage! Und wenn zufällig niemand der Kurdinnen und Kurden Zeit hat, dann bin ich halt heute eine Kurdin; und die Kolleg*innen von der Band sind heute auch Kurd*innen. In dieser Zeit sind wir alle Kurden, Jesiden oder Armenier. Und wir sind Syrer, Südsudanesen, Jemeniten und Kongolesen. Überall, wo mit deutschen Waffen gemordet wird, da stirbt ein Teil von uns.

Wir sind nicht auf der Seite der Herrschenden hier oder dort, wir sind niemandes fünfte Kolonne. Wenn wir auf einer Seite sind, dann ist das die Seite der Opfer, die Seite der Zivilbevölkerung. Im Gegensatz zu unserer Regierung, die sich immer und immer wieder auf die Seite der Täter stellt:

Zum Beispiel durch die Genehmigung von 8 Patrouillenbooten für Saudi-Arabien, trotz des verbrecherischen Kriegs in Jemen, der im Wesentlichen von Saudi-Arabien ausgeht und der mörderischen Blockade, die die Bevölkerung an Hunger und Krankheiten sterben lässt. Und auch da hat sich die Bundesregierung bis heute nicht erklärt, welche Länder direkt an diesem Krieg beteiligt sind – so direkt, dass man ihnen keine Waffen mehr liefern darf.

Deswegen sagen wir heute ganz deutlich: Wir wollen nicht, dass Deutschland Waffen exportiert! Nicht in die Türkei, nicht nach Saudi-Arabien und eigentlich nirgendwo hin!

Und dabei haben wir die Mehrheit der Menschen in Deutschland auf unserer Seite:

73 Prozent der Deutschen möchten nicht, dass Deutschland Waffen in die Türkei exportiert. [3]

55 Prozent möchten nicht, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben in den kommenden Jahren erhöht. [4]

63 Prozent der Deutschen sind dafür, dass die in Deutschland verbliebenen US-Atombomben abgezogen werden. [5]

Und 71 Prozent möchten, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag der UN beitritt. [6]

Das sollte uns doch Mut machen, weiter für unsere Ziele zu kämpfen!

Lasst uns weiter dafür eintreten, dass noch mehr Menschen einsehen, dass Krieg kein einziges Problem löst.

Der Krieg selbst ist die Mutter aller Probleme und Konflikte! Er ist und bleibt das ultimative Verbrechen an der Menschheit.

Deswegen wollen wir dem Krieg die Legitimation und den Boden entziehen!

Lasst uns das lukrative Geschäftsmodell Krieg ein für alle Mal zerstören!

Wir kämpfen für eine andere Politik!

Eine Politik, die ein friedliches, soziales und würdevolles Leben, ohne Armut und Zukunftsangst ermöglicht!

Eine Politik, die zivile Konfliktlösungen zum Standard ihrer Außenpolitik macht und nicht zur Ausnahme!

Diese andere Politik ist möglich, wenn wir umverteilen, wenn wir abrüsten statt aufrüsten.

Den Aufruf, der diesen Titel trägt, haben jetzt schon über 30.000 Menschen unterschrieben. Aber ich bin sicher: Da geht noch mehr!

Lasst uns alle Nachbarinnen und Nachbarn, alle Kolleginnen und Kollegen ansprechen, ob sie nicht mithelfen wollen, dass aus einigen Zehntausend wieder Hunderttausende werden. Wir brauchen jetzt jede und jeden, um die Aufrüstungs- und Kriegspolitik der Bundesregierung zu beenden.

Im Gründungsaufruf der Kampagne "Kampf dem Atomtod" vom 10. März 1958 hieß es damals: „Wir rufen das gesamte deutsche Volk ohne Unterschied des Standes, der Konfession oder der Partei auf, sich einer lebensbedrohenden Rüstungspolitik zu widersetzen und statt dessen eine Politik der friedlichen Entwicklung zu fördern.“

In diesem Sinne und in dieser Tradition wollen wir heute und in den nächsten Tagen wieder auf die Straße gehen!

Ich wünsche Euch einen starken, kämpferischen, einen erfolgreichen Ostermarsch!

Glück auf!