Respektvolle Bundestagsdebatte zu assistertem Suizid – Kathrin Vogler erläutert, was ihrer Meinung nach gesetzlich geregelt werden muss

Rede im Bundestag

Kathrin Vogler plädierte in ihrer Rede zum assistierten Suizid dafür, die geschäftsmäßige, organisierte und auf Wiederholung abzielende, Suizidassistenz und die Werbung dafür wirksam zu verbieten. Gleichzeitig sollen Personen, die aus einer Vertrauensbeziehung heraus im Einzelfall einem Menschen helfen, sein Leben zu beenden, auch in Zukunft straffrei bleiben.

Zudem wünscht sie sich, dass der Bundestag nicht nur für Überlegungen zum Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende Energie aufbringt, sondern insbesondere auch dafür, um mit guten Renten, guter Pflege, flächendeckender Palliativversorgung und einer Kultur des solidarischen Zusammenhalts die Bedingungen für ein würdevolles, lebenswertes Leben bis zum Ende zu verbessern.

 

Noch liegen dem Bundestag keine Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid vor. Derzeit finden sich Abgeordnete ohne Fraktionszwang zu Gruppen zusammen, um konkrete Ausformulierungen von Gesetzentwürfen vorzubereiten. In einer ersten, sehr respektvollen Orientierungsdebatte legten die Bundestagsabgeordneten heute ihre Vorstellungen vor, welche Regelungen sie für nötig halten.

Kathrin Vogler plädierte in ihrer Rede dafür, die geschäftsmäßige, organisierte und auf Wiederholung abzielende, Suizidassistenz und die Werbung dafür wirksam zu verbieten.  Gleichzeitig sollen Personen, die aus einer Vertrauensbeziehung heraus im Einzelfall einem Menschen helfen, sein Leben zu beenden, auch in Zukunft straffrei bleiben.

Zudem wünscht sie sich, dass der Bundestag nicht nur für Überlegungen zum  Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende Energie aufbringt, sondern insbesondere auch dafür, um mit guten Renten, guter Pflege, flächendeckender Palliativversorgung und einer Kultur des solidarischen Zusammenhalts die Bedingungen für ein würdevolles, lebenswertes Leben bis zum Ende zu verbessern.

Die Rede im Wortlaut

Kathrin Vogler (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, mir ist die Vorbereitung auf eine Rede hier im Plenum noch nie so schwer gefallen wie heute.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

Denn wenn wir über das Sterben reden, dann wird es einfach persönlich; das kann man gar nicht verhindern. Selbst wenn es am Ende um konkrete Gesetze und Paragrafen gehen muss: Niemand von uns weiß, wie das geht, das Sterben.

Doch es kommt unwiderruflich auf jeden und jede von uns zu. Auch die modernste Medizin kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leben endlich ist. Sie kann die Lebenserwartung erhöhen, die Lebensqualität verbessern, Leiden lindern; aber den Tod, den kann sie nicht überwinden. Das Recht auf Leben, das ist wahrscheinlich das grundlegendste Menschenrecht; denn es ist die Voraussetzung dafür, dass wir andere Menschenrechte überhaupt wahrnehmen können.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Dennoch ergibt sich daraus für mich keine Pflicht zum Leben, jedenfalls nicht für Menschen wie mich, die zu keiner Religionsgemeinschaft gehören. Es gibt aber auch andererseits keine Verpflichtung für die Gesellschaft, den Tod für Sterbewillige zu einer möglichst leicht erreichbaren Dienstleistung zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ihren Lebenssinn oder gar ihren Lebensunterhalt daraus gewinnen, anderen den Tod zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Die Selbsttötung ist in unserer Gesellschaft zum Teil noch immer tabuisiert. Doch es gibt auch die andere Seite: Es führt zu einer gewissen Faszination, und es führt zu dem, was wir den Werther-Effekt nennen. Untersuchungen belegen, dass Berichte, ja sogar fiktive Erzählungen über Selbsttötungen zur Nachahmung anregen können. Schon dies belegt, dass die Frage, welcher Suizid wirklich aus eigenem, wohlerwogenem Willen vollzogen wird, für Außenstehende ganz schwer zu entscheiden ist.

Wir haben in dem, was und wie wir heute hier debattieren, eine große nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung. Wir müssen offen und frei über das Sterben sprechen; aber wir sollten den Tod nicht verklären. Wenn wir das täten, liefen wir Gefahr, Menschen in Not nicht das Recht auf bestmögliche Hilfe zum Leben zuzusprechen; sondern dass ihnen eines Tages mehr oder weniger subtil vermittelt wird, wann es für sie Zeit wird, freiwillig sterben zu wollen - und das möchte ich nicht.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Nicht nur, dass unser gesamtes Gesundheitswesen in den letzten Jahren mehr und mehr in einen profitorientierten, wettbewerbsgetriebenen Wirtschaftszweig umgebaut worden ist: Soll nun auch noch der wortwörtlich letzte potenzielle Markt erschlossen werden?

Wenn ich mir die Werbung eines der Vereine ansehe, die in diesem Bereich unterwegs sind, dann kann ich mich dieses Eindrucks nicht erwehren. Dabei habe ich zum Beispiel ein Video vor Augen, in dem ein sehr alter Mann mit einer deutlich jüngeren Beraterin spricht - einer sogenannten Beraterin. Diese versichert ihm immer wieder, dass seine Entscheidung, zu sterben, richtig sei. Seine vorsichtig geäußerten Zweifel wischt sie resolut beiseite. Seine demenzkranke Frau würde es ja gar nicht merken, ob er bei ihr sei oder ob das jemand anders sei.

Auf mich macht dieses Video den Eindruck, dass hier jemand Kontakt zu diesem Verein gesucht hat, weil ihm das die Gelegenheit für ein intellektuell anregendes und menschlich zugewandtes Gespräch bietet. Auf jeden Fall hat er für diese Gespräche gut bezahlt: zwischen 1 000 und 7 000 Euro nach der Satzung dieser Organisation - je nachdem, wie lange er dort Mitglied ist - plus einiges an Honoraren für die Ärzte, die ihm bescheinigen, dass er in der Lage ist, für sich selbst zu entscheiden. Die sogenannte Beraterin will offenbar ganz dringend zu einem Abschluss kommen.

Wollen wir wirklich zulassen, Kolleginnen und Kollegen, dass mit solchen Methoden in unserem Land neue Geschäftsfelder erschlossen werden? Ich möchte das nicht.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Für mich widerspricht das zutiefst der Menschenwürde, und ich möchte daher einen Gesetzentwurf unterstützen, der die geschäftsmäßige, organisierte und auf Wiederholung abzielende Suizidassistenz und die Werbung dafür wirksam verbietet. Gleichzeitig sollen Personen, die aus einer Vertrauensbeziehung heraus im Einzelfall Menschen helfen, zu sterben, auch in Zukunft straffrei bleiben. Auch Ärztinnen und Ärzte, die einer ihrer Patientinnen oder einem ihrer Patienten auf keine andere Art das Leiden erleichtern können, sollen diese letzte Möglichkeit legal haben. Das erscheint mir einfach menschlicher, als Kriterienkataloge und festgelegte Verfahren zu etablieren und damit das Aufgabenspektrum für die Ärzteschaft insgesamt zu erweitern, was wir auch noch gegen den Willen einer zumindest deutlichen Mehrheit der Ärzteschaft täten.

Als Gesetzgeber sollten wir das Recht auf Selbstbestimmung auch am Lebensende sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit miteinander in Einklang bringen, soweit uns das irgend möglich ist, und ich finde, wir sollten mindestens dieselbe Energie aufwenden, um mit guten Renten, guter Pflege, flächendeckender Palliativversorgung und einer Kultur des solidarischen Zusammenhalts die Bedingungen für ein würdevolles, lebenswertes Leben bis zum Ende zu verbessern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Video der Rede

bundestag.de

youtube.com

Links

Worum es bei der Debatte um Hilfe zur Selbsttötung wirklich geht, 25. Juli 2014