SPD-Vorschläge zur Korruption im Gesundheitswesen unzureichend

Rede

Kathrin Vogler erläutert in ihrer Bundestagsrede vom 30. November 2012, was über die SPD-Vorschläge hinaus getan werden muss, um Korruption im Gesundheitswesen wirklich effektiv zu bekämpfen. Gleichzeitig appelliert sie an die schwarz-gelbe Koalition, endlich auch die Bestechlichkeit von Abgeordneten unter Strafe zu stellen.


Text der Rede:

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Frühjahr hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die „Bestechung“ von niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzten durch die Pharmaindustrie nach der jetzigen Gesetzeslage nicht strafbar sei.

Wohlgemerkt: nach der jetzigen Rechtslage. Aber das bedeutet auf keinen Fall, dass das so bleiben muss.

Die Folge war, dass die Staatsanwaltschaften reihenweise Ermittlungsverfahren gegen Ärzte und Pharmavertreter einstellen mussten, und das zeigt ein bisschen die Dimension des Problems. Dieses Problem scheint bei dieser Bundesregierung und der schwarz-gelben Koalition noch gar nicht angekommen zu sein.

Ich habe hier eine Kleine Anfrage, die die Kollegin Ulrike Flach, die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, beantwortet hat. Da heißt es in der Vorbemerkung zum Beispiel, das BMG, also das Bundesministerium für Gesundheit, prüfe die Wirksamkeit der dargestellten berufs- und sozialrechtlichen Vorschriften.

An weiterer Stelle heißt es, das BMG habe keine konkreten Erkenntnisse zur Anzahl von Zulassungsentziehungen, und auch das wolle es über eine Anfrage bei den Ländern usw. prüfen.

Seit dem Urteil sind inzwischen acht Monate und nach der Antwort auf diese Kleine Frage immerhin ein Vierteljahr ins Land gegangen. Ich frage mich: Wann kommen denn Ihre Prüfungen, wann kommen Ihre Abfragen endlich zu Erkenntnissen, die Sie auch zum Handeln leiten könnten?

Aber Sie wollen an das Thema nicht heran. Sie meinen, die Regelungen im Sozial- und Standesrecht würden reichen. Sie reichen eben nicht. Wenn wir noch nicht einmal wissen, wie viele Ärzte und Ärztinnen ihre Approbation verlieren, dann zeigt das doch, dass wir hier ganz dringend handeln müssen.

Denn wenn wir das nicht tun, kann dieser Zustand von Ärzten und Pharmaindustrie geradezu als Freibrief für diese unzulässige Zusammenarbeit gedeutet werden. Vor kurzem hat es eine Studie gegeben, in der viele Ärzte und Ärztinnen und auch Pharmareferenten und Heilmittelerbringer befragt worden sind. Uns muss zu denken geben, was dabei herausgekommen ist. Viele Ärztinnen und Ärzte denken: Wenn das nicht strafbar ist, dann ist es ja nur ein Kavaliersdelikt. Wenn wir damit Schluss machen wollen, dann brauchen wir dringend eindeutig schärfere Gesetze.

Deswegen danke ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD auch ausdrücklich dafür, dass sie ihren Antrag „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“ heute hier zur Abstimmung stellen. Zu Recht führen Sie aus, dass es eben nicht um Kleinkram geht, sondern dass der mögliche Schaden allein für die gesetzliche Krankenversicherung zwischen 5 Milliarden und 18 Milliarden Euro im Jahr liegt. Ihre Vorschläge gehen in die richtige Richtung, aber sie reichen uns leider nicht aus. Deswegen werden wir uns heute enthalten.

Sinnvoll finde ich die Forderung, Korruption von niedergelassenen Ärzten als Straftatbestand aufzunehmen. Allerdings frage ich mich und frage auch Sie, warum Sie entsprechende Regelungen auf die Kassenärzte begrenzen wollen und warum Sie zum Beispiel die Zahnärzte außen vor lassen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag ganz richtig, dass es nicht nur um finanziellen Schaden geht, sondern dass es auch um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient geht und darum, dass ein Arzt, der sich in seinem Verordnungsverhalten durch finanzielle Vorteile steuern lässt, möglicherweise seinen Patienten nicht immer die beste Therapie zur Verfügung stellt. Ich frage mich natürlich: Sollen nicht auch Privatversicherte das gleiche Recht auf optimale Versorgung nach medizinischen Gesichtspunkten und nicht nach Profitkriterien erhalten?

Darum sollte die Forderung umfassender sein und sich nicht nur auf Kassenärzte beschränken; denn alle Menschen haben ein Recht auf gute medizinische Versorgung.

Vergeblich habe ich auch danach gesucht, wie Sie die hauptsächlichen Nutznießer von Bestechung und Vorteilsgewährung zur Rechenschaft ziehen wollen. Was ist mit Klinikleitungen, die Ärzte für die Einweisung von Patienten vergüten, also die sogenannten Fangprämien zahlen, oder was ist mit der Pharmaindustrie? Was sonst als Bestechung ist es, wenn Ärzte für die Verordnung bestimmter Mittel - wie die Kollegin Ferner beschrieben hat - mit Geschenken, schönen Reisen, Fortbildungen oder gleich mit Cash entlohnt werden? Auch die sogenannten Anwendungsbeobachtungen, bei denen es in der Regel nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um die Steuerung des Verschreibungsverhaltens geht, gehören meines Erachtens verboten.

Es ist doch so: Tag für Tag stürmen 15 000 Pharmareferentinnen und Pharmareferenten die Praxen, halten die Ärztinnen und Ärzte von ihren eigentlichen Aufgaben ab und gaukeln ihnen vor, dass der 17. Lipidsenker viel besser sei als die anderen 16, obwohl die Inhaltsstoffe eigentlich gleich sind. Da werden viele Milliarden Euro für Marketing ausgegeben, damit noch mehr Milliarden zulasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgegeben werden. Und die Kranken, was haben die davon? Nichts. Deswegen müssen wir dagegen etwas unternehmen.

Ich finde es auch ein bisschen schade, dass Sie von der SPD vergessen haben, die Ursachen für die zunehmende Korruption im Gesundheitswesen etwas näher zu analysieren.

An etlichen Stellschrauben hat nicht zuletzt auch Ihre Fraktion gedreht. Denn Sie haben aktiv daran mitgewirkt, das Gesundheitswesen von einem sozialen Sicherungssystem zu einem Gesundheitsmarkt umzubauen.

Sie haben dazu beigetragen, dass manche Arztpraxis und manches Krankenhaus heute eher ein medizinisches Warenhaus ist und dass privates Profitstreben mehr und mehr Vorrang vor der Sorge um die Patienten erhält.

Sie haben doch die Privatisierung der Krankenhäuser und die Konzentration in den großen Krankenhausketten vorangetrieben.

Davon wollen Sie heute nichts mehr wissen; glücklicherweise haben Sie dazugelernt. - Sie haben auch die individuellen Gesundheitsleistungen zugelassen, die Sie heute scharf kritisieren.

Sie preisen den ökonomischen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen und zwischen den Leistungserbringern. Jetzt haben Sie das, was Sie wollten: Sie haben einen Markt, Sie haben Marktteilnehmer, die miteinander konkurrieren und ihre Geschäftsgeheimnisse gewahrt sehen wollen, etwa wenn es etwa um Rabattverträge oder Versorgungsverträge geht. Im Interesse der Korruptionsbekämpfung wäre es doch sinnvoll, alle diese Verträge auch offenzulegen, um alle finanziellen Abhängigkeiten erkennen und Korruption einfach den Boden entziehen zu können.

Mehr Transparenz und Sauberkeit brauchen wir auch in den Gremien, in denen wichtige Entscheidungen für das Gesundheitswesen getroffen werden. Diese Entscheidungen müssen unabhängig von Industrieinteressen getroffen werden, sie sollten nur nach fachlichen Gesichtspunkten getroffen werden. Ich erinnere da nur an die Interessenkonflikte in der Ständigen Impfkommission, STIKO, und in der Weltgesundheitsorganisation. Es ist doch sehr anrüchig, wenn solche Gremien Beschlüsse fassen, bestimmte Impfstoffe in gigantischem Ausmaß anzuschaffen, während einige Mitglieder dieser Gremien gleichzeitig oder wenig später auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie auftauchen. Wir brauchen meines Erachtens auch hier Transparenz auf Euro und Cent sowie eine Karenzzeit, bevor Entscheider in die Industrie wechseln dürfen.

Apropos Gehaltslisten: Die SPD hat diesen Antrag wahrscheinlich nicht zufällig heute auf die Tagesordnung gesetzt; eigentlich wollten Sie ja heute etwas anderes diskutieren lassen. Wir haben am Montag im Focus gelesen, dass einige Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss doch eine ganze Menge Nebentätigkeiten ausüben. Wenn wir uns hier einig sind, dass die therapeutischen Entscheidungen von Ärztinnen und Ärzten nicht von finanziellen Zuwendungen der Industrie abhängig sein sollen, dann frage ich Sie jetzt - insbesondere in Richtung der Union -: Stimmen Sie mir dann auch zu, dass Gleiches für die Entscheidungen von Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern gelten sollte, also dass Abgeordnetenverhalten nicht durch Lobbygruppen und Geldflüsse beeinflusst werden darf?

Da möchte ich Sie jetzt fragen: Wie soll das gehen, wenn jemand aus Nebenjobs fünf- oder gar sechsstellige Beträge erhält, wenn bei jemandem, wie zum Beispiel beim Kollegen Henke, die Abgeordnetentätigkeit vom Einkommen her eher der Nebenjob ist?

Wenn man sich einmal die Vortragsliste des Kollegen Koschorrek anschaut, stellt man fest: Sie liest sich wie das Who is Who der Gesundheitswirtschaft.

Sie haben das alles veröffentlicht, wie es sich gehört, auch wenn wir nicht genau wissen, was sie denn für welchen Vortrag von wem bekommen haben.

Jens Spahn hat mir in einem persönlichen Gespräch versichert, er habe durch seine frühere Teilhaberschaft in einer Beratungsfirma keinen Interessenkonflikt gehabt. Ich glaube Ihnen, Herr Kollege, dass Sie davon selber überzeugt sind; den anderen Kollegen glaube ich es auch.

Aber wenn, wie wir wissen, auch die allermeisten Ärzte glauben, Zuwendungen der Pharmaindustrie würden ihr Verhalten gegenüber dem Patienten nicht beeinflussen, dann müssen wir doch auch vor der eigenen Tür kehren.

Wenn das Verschreibungsverhalten nicht beeinflusst würde, würde sich die Industrie den Aufwand doch sparen. Ich denke, sie würde sich auch den Aufwand sparen, vierstellige Honorare für Vorträge zu zahlen, wenn sie sich nichts davon versprechen würden.

Wenn im Stadtrat meiner Heimatstadt Emsdetten über die Schließung einer Grundschule entschieden wird, hat die Ehefrau des Schulhausmeisters als Ratsfrau den Ratssaal zu verlassen und darf sich nicht an der Abstimmung beteiligen. Aber im Gesundheitsausschuss des Bundestages stimmen der Ärzteverbandspräsident, der Klinikaufsichtsrat oder der Berater der Medizintechnikbranche über Gesetze ab, die Milliarden von Einnahmen oder Ausgaben für ihre Klientel, für ihre Mitglieder, für ihre Kunden bedeuten.

Das können Sie doch nicht wirklich ausblenden.

Vielleicht ist diese lange Reihe von Nebentätigkeiten für Unternehmen und Lobbyverbände ein Grund dafür, warum sich Ihre Fraktionen so hartnäckig gegen strengere Transparenzregeln im Bundestag gewendet haben und warum Sie auch seit Jahren verhindern, dass Deutschland endlich die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert.

Ich finde, dieses Haus sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Was wir von Ärzten erwarten, sollten auch wir Abgeordnete leisten. Lassen Sie uns gemeinsam die Bestechlichkeit von Ärzten und Abgeordneten unterbinden und die UN-Konvention gegen Korruption endlich ratifizieren!

Ich danke Ihnen.


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